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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Muster eines Edelmannes in jeder Beziehung. Sie hatte geschwiegen dazu oder sogar geschienen auf sein Lob einzugehen. Das mußte anders werden, das war klar. Jene erste Achtung nach und nach in Mißtraunen zu verwandeln -- ja in Abneigung, wie es sich gerade fügen würde, war denn das gar so schwer? Nur die Gelegenheit dazu -- und würde die Gelegenheit nicht sehr leicht zu finden sein? Beruhigt spann sie den Faden der Möglichkeit weiter mit. Was würde ihr Vater thun, wenn auf diese Weise ihr nicht beizukommen war? -- Ein Duell? Mit einem Grafe schlüge sich Louis nicht! und Otto? der war ja ihres Vaters Schooskind. Ein verächtliches Lächeln zog hier um den süßen, kindlichen Mund -- den wurde ihr Vater selbst hüten vor Gefahr.

Einige Tage vergingen, Otto war zu einer Jagdpartie gefahren. Graf Hoheneck sollte bei einer Cabinetsberathung sein, die ihn wahrscheinlich den ganzen Vormittag festhalten würde; da erschien er schon am frühen Morgen unerlaubt bei dem Marquis.

Es ist eine eigene Sache, die sich immer wiederholt, daß eine schuldbeladene Seele stets glaubt, was ihr selbst so viel Unruhe mache, könne unmöglich für Andere ein Geheimnis sein. Louis erblaßte, als er seinen für ihn so unheimlichen Besuch in das Zimmer treten sah. Aber Niemand konnte ruhiger und gelassener sein, als der Graf.

Meine Frau behauptet, sagte er, Sie hätten ihr schon vor langer Zeit einige Lieder versprochen, hätten aber aus ungalanter Zerstreutheit Ihr Versprechen bis jetzt nicht erfüllt; da hat sie mir aufgetragen Ihr Gedächtnis aufzufrischen, und weil ich so des Weges gehe, habe ich es für besser gefunden, zu einer Stunde zu kommen, wo Sie noch nicht ausgeflogen sind. Sie wissen, Damen muß man den Willen thun, und so werden Sie gewiß die frühe Störung verzeihen.

Der junge Mann war in den letzten Tagen

Muster eines Edelmannes in jeder Beziehung. Sie hatte geschwiegen dazu oder sogar geschienen auf sein Lob einzugehen. Das mußte anders werden, das war klar. Jene erste Achtung nach und nach in Mißtraunen zu verwandeln — ja in Abneigung, wie es sich gerade fügen würde, war denn das gar so schwer? Nur die Gelegenheit dazu — und würde die Gelegenheit nicht sehr leicht zu finden sein? Beruhigt spann sie den Faden der Möglichkeit weiter mit. Was würde ihr Vater thun, wenn auf diese Weise ihr nicht beizukommen war? — Ein Duell? Mit einem Grafe schlüge sich Louis nicht! und Otto? der war ja ihres Vaters Schooskind. Ein verächtliches Lächeln zog hier um den süßen, kindlichen Mund — den wurde ihr Vater selbst hüten vor Gefahr.

Einige Tage vergingen, Otto war zu einer Jagdpartie gefahren. Graf Hoheneck sollte bei einer Cabinetsberathung sein, die ihn wahrscheinlich den ganzen Vormittag festhalten würde; da erschien er schon am frühen Morgen unerlaubt bei dem Marquis.

Es ist eine eigene Sache, die sich immer wiederholt, daß eine schuldbeladene Seele stets glaubt, was ihr selbst so viel Unruhe mache, könne unmöglich für Andere ein Geheimnis sein. Louis erblaßte, als er seinen für ihn so unheimlichen Besuch in das Zimmer treten sah. Aber Niemand konnte ruhiger und gelassener sein, als der Graf.

Meine Frau behauptet, sagte er, Sie hätten ihr schon vor langer Zeit einige Lieder versprochen, hätten aber aus ungalanter Zerstreutheit Ihr Versprechen bis jetzt nicht erfüllt; da hat sie mir aufgetragen Ihr Gedächtnis aufzufrischen, und weil ich so des Weges gehe, habe ich es für besser gefunden, zu einer Stunde zu kommen, wo Sie noch nicht ausgeflogen sind. Sie wissen, Damen muß man den Willen thun, und so werden Sie gewiß die frühe Störung verzeihen.

Der junge Mann war in den letzten Tagen

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[0143] Muster eines Edelmannes in jeder Beziehung. Sie hatte geschwiegen dazu oder sogar geschienen auf sein Lob einzugehen. Das mußte anders werden, das war klar. Jene erste Achtung nach und nach in Mißtraunen zu verwandeln — ja in Abneigung, wie es sich gerade fügen würde, war denn das gar so schwer? Nur die Gelegenheit dazu — und würde die Gelegenheit nicht sehr leicht zu finden sein? Beruhigt spann sie den Faden der Möglichkeit weiter mit. Was würde ihr Vater thun, wenn auf diese Weise ihr nicht beizukommen war? — Ein Duell? Mit einem Grafe schlüge sich Louis nicht! und Otto? der war ja ihres Vaters Schooskind. Ein verächtliches Lächeln zog hier um den süßen, kindlichen Mund — den wurde ihr Vater selbst hüten vor Gefahr. Einige Tage vergingen, Otto war zu einer Jagdpartie gefahren. Graf Hoheneck sollte bei einer Cabinetsberathung sein, die ihn wahrscheinlich den ganzen Vormittag festhalten würde; da erschien er schon am frühen Morgen unerlaubt bei dem Marquis. Es ist eine eigene Sache, die sich immer wiederholt, daß eine schuldbeladene Seele stets glaubt, was ihr selbst so viel Unruhe mache, könne unmöglich für Andere ein Geheimnis sein. Louis erblaßte, als er seinen für ihn so unheimlichen Besuch in das Zimmer treten sah. Aber Niemand konnte ruhiger und gelassener sein, als der Graf. Meine Frau behauptet, sagte er, Sie hätten ihr schon vor langer Zeit einige Lieder versprochen, hätten aber aus ungalanter Zerstreutheit Ihr Versprechen bis jetzt nicht erfüllt; da hat sie mir aufgetragen Ihr Gedächtnis aufzufrischen, und weil ich so des Weges gehe, habe ich es für besser gefunden, zu einer Stunde zu kommen, wo Sie noch nicht ausgeflogen sind. Sie wissen, Damen muß man den Willen thun, und so werden Sie gewiß die frühe Störung verzeihen. Der junge Mann war in den letzten Tagen

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/143>, abgerufen am 29.04.2024.