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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wieder unter vier Augen sehen. Wo käme ich hin bei solcher Leidenschaft!

Und doch war sie glücklich, wie sie es noch nie gewesen war. Wie von einem Glorienschein umflossen, strahlte ihr ganzes Wesen von Lieblichkeit, und ihr Besuch, ein, alter General, fühlte sein erkaltetes Herz neu aufleben unter dem erwärmenden Hauche dieser unwiderstehlichen Anmuth.

Fast unmittelbar darauf trat ihr Vater ein und blieb betroffen vor ihr stehen.

Ich mache eben die Bemerkung, daß ich die Gräfin noch nie so reizend gesehen! sagte der General. Der alte Graf nickte zustimmend, doch sprach er nicht. Er setzte sich, sein Blick streifte noch einmal seine Tochter und irrte dann wie suchend im Zimmer umher.

Eine Blume, welche die Gräfin im Haare oder an der Brust gehabt, lag welk und zerknickt auf dem Teppich. Bei dieser Blume blieben seine Gedanken stehen. Er bückte sich danach, hob sie auf, zog die zerdrückten Blätter auseinander und blickte in den verwüsteten Kelch, als wolle er darin das Geheimnis lesen, dessen leise Spur ihm mehr in einem Traume zu schweben, als in der Wirklichkeit zu bestehen schien.

Was hatte ihn heute an seiner Tochter überrascht? Ein scheinbares Nichts, ein Etwas, unbestimmt und unfaßbar wie die Lust, dem er vergebens durch Worte eine bestimmte Gestalt zu geben rang, und das doch wie ein dunkler Schatten über dem schimmernden Haupte stand. Es war Etwas, das ihn an ihre Mutter erinnerte. Und wie er jetzt den kleinen, verwelkten Kelch dieser Blume sah, war es das Bild dieser Mutter, welches ihm zu entsteigen schien, schön und blühend, wie er sie in früheren Jahren gesehen, als sie noch die Freude seines Herzens war, -- aber mit einem spöttischen Zuge um den Mund. Kleine Eigenthümlichkeiten an ihr, wie deren jeder Mensch hat, suchte jetzt sein Gedächtniß aus der Vergangenheit her-

wieder unter vier Augen sehen. Wo käme ich hin bei solcher Leidenschaft!

Und doch war sie glücklich, wie sie es noch nie gewesen war. Wie von einem Glorienschein umflossen, strahlte ihr ganzes Wesen von Lieblichkeit, und ihr Besuch, ein, alter General, fühlte sein erkaltetes Herz neu aufleben unter dem erwärmenden Hauche dieser unwiderstehlichen Anmuth.

Fast unmittelbar darauf trat ihr Vater ein und blieb betroffen vor ihr stehen.

Ich mache eben die Bemerkung, daß ich die Gräfin noch nie so reizend gesehen! sagte der General. Der alte Graf nickte zustimmend, doch sprach er nicht. Er setzte sich, sein Blick streifte noch einmal seine Tochter und irrte dann wie suchend im Zimmer umher.

Eine Blume, welche die Gräfin im Haare oder an der Brust gehabt, lag welk und zerknickt auf dem Teppich. Bei dieser Blume blieben seine Gedanken stehen. Er bückte sich danach, hob sie auf, zog die zerdrückten Blätter auseinander und blickte in den verwüsteten Kelch, als wolle er darin das Geheimnis lesen, dessen leise Spur ihm mehr in einem Traume zu schweben, als in der Wirklichkeit zu bestehen schien.

Was hatte ihn heute an seiner Tochter überrascht? Ein scheinbares Nichts, ein Etwas, unbestimmt und unfaßbar wie die Lust, dem er vergebens durch Worte eine bestimmte Gestalt zu geben rang, und das doch wie ein dunkler Schatten über dem schimmernden Haupte stand. Es war Etwas, das ihn an ihre Mutter erinnerte. Und wie er jetzt den kleinen, verwelkten Kelch dieser Blume sah, war es das Bild dieser Mutter, welches ihm zu entsteigen schien, schön und blühend, wie er sie in früheren Jahren gesehen, als sie noch die Freude seines Herzens war, — aber mit einem spöttischen Zuge um den Mund. Kleine Eigenthümlichkeiten an ihr, wie deren jeder Mensch hat, suchte jetzt sein Gedächtniß aus der Vergangenheit her-

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[0150] wieder unter vier Augen sehen. Wo käme ich hin bei solcher Leidenschaft! Und doch war sie glücklich, wie sie es noch nie gewesen war. Wie von einem Glorienschein umflossen, strahlte ihr ganzes Wesen von Lieblichkeit, und ihr Besuch, ein, alter General, fühlte sein erkaltetes Herz neu aufleben unter dem erwärmenden Hauche dieser unwiderstehlichen Anmuth. Fast unmittelbar darauf trat ihr Vater ein und blieb betroffen vor ihr stehen. Ich mache eben die Bemerkung, daß ich die Gräfin noch nie so reizend gesehen! sagte der General. Der alte Graf nickte zustimmend, doch sprach er nicht. Er setzte sich, sein Blick streifte noch einmal seine Tochter und irrte dann wie suchend im Zimmer umher. Eine Blume, welche die Gräfin im Haare oder an der Brust gehabt, lag welk und zerknickt auf dem Teppich. Bei dieser Blume blieben seine Gedanken stehen. Er bückte sich danach, hob sie auf, zog die zerdrückten Blätter auseinander und blickte in den verwüsteten Kelch, als wolle er darin das Geheimnis lesen, dessen leise Spur ihm mehr in einem Traume zu schweben, als in der Wirklichkeit zu bestehen schien. Was hatte ihn heute an seiner Tochter überrascht? Ein scheinbares Nichts, ein Etwas, unbestimmt und unfaßbar wie die Lust, dem er vergebens durch Worte eine bestimmte Gestalt zu geben rang, und das doch wie ein dunkler Schatten über dem schimmernden Haupte stand. Es war Etwas, das ihn an ihre Mutter erinnerte. Und wie er jetzt den kleinen, verwelkten Kelch dieser Blume sah, war es das Bild dieser Mutter, welches ihm zu entsteigen schien, schön und blühend, wie er sie in früheren Jahren gesehen, als sie noch die Freude seines Herzens war, — aber mit einem spöttischen Zuge um den Mund. Kleine Eigenthümlichkeiten an ihr, wie deren jeder Mensch hat, suchte jetzt sein Gedächtniß aus der Vergangenheit her-

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/150>, abgerufen am 29.04.2024.