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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Du hast es nur nicht verstanden, entgegnete sie und zog nun die Krallen vorsichtig wieder ein. Sie lehnte den Kopf an seine Brust und weinte still fort. Du weißt nicht, wie mein Vater ist, sagte sie. Otto ist Alles für ihn, und Otto bildet sich ein, ich hätte bei Marie nicht mein Möglichstes für ihn gethan, weil ich früher den Marquis protegirt. Nun kann er den Marquis nicht leiden von jeher, und das hat seinen Haß noch gesteigert. Darum hat der Vater auch seine Versetzung so eifrig betrieben und kann's dem Marquis nicht verzeihen, daß er sie ausgeschlagen hat. Aber was kann ich dafür? Neulich schon gab es mit Otto einen Streit deswegen, -- kann ich den jungen Mann zwingen, meinem Bruder aus dem Wege zu gehen? Meinetwegen ginge er nur! was habe ich denn dabei? Mein ganzes Leben wird nur in Bitterkeit verkehrt!

Sie schlang die schönen Arme um den Hals ihres Mannes und fuhr in gebrochenen Worten leise zu klagen fort. Er küßte sie still und zog sie auf seinen Schooß. Bist du böse? sagte sie schüchtern und reuig wie ein verweintes Kind, dessen Trotz in Thränen gebrochen ist. Ich war nicht gut gegen dich, und du bist doch so gut! Daran ist nur die Ungerechtigkeit Schuld. Man fühlt sie doch, wenn man auch schweigt -- und ich hatte wohl immer schweigen sollen, es ist ja doch mein Vater! -- Was konnte ich nicht thun, um das Herz meines Vaters zu gewinnen -- du glaubst nicht, was ich Alles schon gethan, aber es nutzt nichts. Du bist Alles was ich habe -- willst du dich auch von mir wenden?

Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, und ihre Thränen drangen wieder heiser hervor, doch ohne Heftigkeit.

Er schloß sie inniger an sich, aber er schwieg. Er war zu gerührt, um Worte zu finden. Daß dieses junge, kindlich zarte Geschöpf, das nur geschaffen schien über Blumen zu gehen, den schweren Gram so lang in

Du hast es nur nicht verstanden, entgegnete sie und zog nun die Krallen vorsichtig wieder ein. Sie lehnte den Kopf an seine Brust und weinte still fort. Du weißt nicht, wie mein Vater ist, sagte sie. Otto ist Alles für ihn, und Otto bildet sich ein, ich hätte bei Marie nicht mein Möglichstes für ihn gethan, weil ich früher den Marquis protegirt. Nun kann er den Marquis nicht leiden von jeher, und das hat seinen Haß noch gesteigert. Darum hat der Vater auch seine Versetzung so eifrig betrieben und kann's dem Marquis nicht verzeihen, daß er sie ausgeschlagen hat. Aber was kann ich dafür? Neulich schon gab es mit Otto einen Streit deswegen, — kann ich den jungen Mann zwingen, meinem Bruder aus dem Wege zu gehen? Meinetwegen ginge er nur! was habe ich denn dabei? Mein ganzes Leben wird nur in Bitterkeit verkehrt!

Sie schlang die schönen Arme um den Hals ihres Mannes und fuhr in gebrochenen Worten leise zu klagen fort. Er küßte sie still und zog sie auf seinen Schooß. Bist du böse? sagte sie schüchtern und reuig wie ein verweintes Kind, dessen Trotz in Thränen gebrochen ist. Ich war nicht gut gegen dich, und du bist doch so gut! Daran ist nur die Ungerechtigkeit Schuld. Man fühlt sie doch, wenn man auch schweigt — und ich hatte wohl immer schweigen sollen, es ist ja doch mein Vater! — Was konnte ich nicht thun, um das Herz meines Vaters zu gewinnen — du glaubst nicht, was ich Alles schon gethan, aber es nutzt nichts. Du bist Alles was ich habe — willst du dich auch von mir wenden?

Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, und ihre Thränen drangen wieder heiser hervor, doch ohne Heftigkeit.

Er schloß sie inniger an sich, aber er schwieg. Er war zu gerührt, um Worte zu finden. Daß dieses junge, kindlich zarte Geschöpf, das nur geschaffen schien über Blumen zu gehen, den schweren Gram so lang in

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[0159] Du hast es nur nicht verstanden, entgegnete sie und zog nun die Krallen vorsichtig wieder ein. Sie lehnte den Kopf an seine Brust und weinte still fort. Du weißt nicht, wie mein Vater ist, sagte sie. Otto ist Alles für ihn, und Otto bildet sich ein, ich hätte bei Marie nicht mein Möglichstes für ihn gethan, weil ich früher den Marquis protegirt. Nun kann er den Marquis nicht leiden von jeher, und das hat seinen Haß noch gesteigert. Darum hat der Vater auch seine Versetzung so eifrig betrieben und kann's dem Marquis nicht verzeihen, daß er sie ausgeschlagen hat. Aber was kann ich dafür? Neulich schon gab es mit Otto einen Streit deswegen, — kann ich den jungen Mann zwingen, meinem Bruder aus dem Wege zu gehen? Meinetwegen ginge er nur! was habe ich denn dabei? Mein ganzes Leben wird nur in Bitterkeit verkehrt! Sie schlang die schönen Arme um den Hals ihres Mannes und fuhr in gebrochenen Worten leise zu klagen fort. Er küßte sie still und zog sie auf seinen Schooß. Bist du böse? sagte sie schüchtern und reuig wie ein verweintes Kind, dessen Trotz in Thränen gebrochen ist. Ich war nicht gut gegen dich, und du bist doch so gut! Daran ist nur die Ungerechtigkeit Schuld. Man fühlt sie doch, wenn man auch schweigt — und ich hatte wohl immer schweigen sollen, es ist ja doch mein Vater! — Was konnte ich nicht thun, um das Herz meines Vaters zu gewinnen — du glaubst nicht, was ich Alles schon gethan, aber es nutzt nichts. Du bist Alles was ich habe — willst du dich auch von mir wenden? Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, und ihre Thränen drangen wieder heiser hervor, doch ohne Heftigkeit. Er schloß sie inniger an sich, aber er schwieg. Er war zu gerührt, um Worte zu finden. Daß dieses junge, kindlich zarte Geschöpf, das nur geschaffen schien über Blumen zu gehen, den schweren Gram so lang in

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/159>, abgerufen am 28.04.2024.