Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine lange Stille trat jetzt ein. Stunde um Stunde verrann. Die fieberheißen Augen der Gräfin flogen nach der kostbaren Pendeluhr, die auf dem Gesimse des Kamines stand. Louis kam noch immer nicht. Was hätte es jetzt auch genutzt? sagte sie sich, und doch -- welche Antwort lag in diesem Fernbleiben nach einem solchen Ruf!

Der Graf hatte die Augen geschlossen und athmete leise, als schliefe er. Sie saß schweigend, und die feinen Hände zerdrückten krampfhaft einen Fächer, ein Meisterwerk der französischen Kunst, während sie in finsterem Sinnen grübelte und in dem Schwanken der Angst und Unentschlossenheit ihre Seele hin und her wogte, wie ein dunkler See, bevor sie Ruhe, das heißt, einen Entschluß fand. Wie die Flut, die scheinbar machtlos an dem steinernen Wall ihres Ufers zerschellt, immer übermüdet ihre Wellen wieder sammelt zu erneuertem Anprall, so lebte auch in diesem ätherisch zarten Geschöpfe eine Kraft, welche durch nichts zu brechen war, als durch den Tod. Der Tod aber, das fühlte sie, konnte nur Louis für sie sein.

O es kann nicht so bleiben, sagte sie sich, was habe ich denn gethan, daß ich auf solche Weise leiden muß? -- Sie stützte den Kopf in die heiße, vor Aufregung leicht zitternde Hand, und allmählich kehrte ihres Denkens ganze Kraft zurück.

Da fuhr abermals ein Wagen vor. Sie sah auf, es war ihr Mann, der nach Hause kam. Er sah verstimmt und bekümmert aus.

Was giebt es? fragte Leonie, die ihm entgegenging.

Er legte den Arm um sie: Ich habe schlechte Nachrichten, sagte er. Er setzte sich und zog sie auf seinen Schoos.

Sein Schwiegervater öffnete jetzt die Augen und sah ihn fragend an.

Ich muß verreisen, antwortete er auf diesen Blick. Der König schickt mich nach L. Es kommt mir sehr ungelegen.

Eine lange Stille trat jetzt ein. Stunde um Stunde verrann. Die fieberheißen Augen der Gräfin flogen nach der kostbaren Pendeluhr, die auf dem Gesimse des Kamines stand. Louis kam noch immer nicht. Was hätte es jetzt auch genutzt? sagte sie sich, und doch — welche Antwort lag in diesem Fernbleiben nach einem solchen Ruf!

Der Graf hatte die Augen geschlossen und athmete leise, als schliefe er. Sie saß schweigend, und die feinen Hände zerdrückten krampfhaft einen Fächer, ein Meisterwerk der französischen Kunst, während sie in finsterem Sinnen grübelte und in dem Schwanken der Angst und Unentschlossenheit ihre Seele hin und her wogte, wie ein dunkler See, bevor sie Ruhe, das heißt, einen Entschluß fand. Wie die Flut, die scheinbar machtlos an dem steinernen Wall ihres Ufers zerschellt, immer übermüdet ihre Wellen wieder sammelt zu erneuertem Anprall, so lebte auch in diesem ätherisch zarten Geschöpfe eine Kraft, welche durch nichts zu brechen war, als durch den Tod. Der Tod aber, das fühlte sie, konnte nur Louis für sie sein.

O es kann nicht so bleiben, sagte sie sich, was habe ich denn gethan, daß ich auf solche Weise leiden muß? — Sie stützte den Kopf in die heiße, vor Aufregung leicht zitternde Hand, und allmählich kehrte ihres Denkens ganze Kraft zurück.

Da fuhr abermals ein Wagen vor. Sie sah auf, es war ihr Mann, der nach Hause kam. Er sah verstimmt und bekümmert aus.

Was giebt es? fragte Leonie, die ihm entgegenging.

Er legte den Arm um sie: Ich habe schlechte Nachrichten, sagte er. Er setzte sich und zog sie auf seinen Schoos.

Sein Schwiegervater öffnete jetzt die Augen und sah ihn fragend an.

Ich muß verreisen, antwortete er auf diesen Blick. Der König schickt mich nach L. Es kommt mir sehr ungelegen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <pb facs="#f0174"/>
        <p>Eine lange Stille trat jetzt ein. Stunde um Stunde verrann. Die fieberheißen Augen der Gräfin      flogen nach der kostbaren Pendeluhr, die auf dem Gesimse des Kamines stand. Louis kam noch      immer nicht. Was hätte es jetzt auch genutzt? sagte sie sich, und doch &#x2014; welche Antwort lag in      diesem Fernbleiben nach einem solchen Ruf!</p><lb/>
        <p>Der Graf hatte die Augen geschlossen und athmete leise, als schliefe er. Sie saß schweigend,      und die feinen Hände zerdrückten krampfhaft einen Fächer, ein Meisterwerk der französischen      Kunst, während sie in finsterem Sinnen grübelte und in dem Schwanken der Angst und      Unentschlossenheit ihre Seele hin und her wogte, wie ein dunkler See, bevor sie Ruhe, das      heißt, einen Entschluß fand. Wie die Flut, die scheinbar machtlos an dem steinernen Wall ihres      Ufers zerschellt, immer übermüdet ihre Wellen wieder sammelt zu erneuertem Anprall, so lebte      auch in diesem ätherisch zarten Geschöpfe eine Kraft, welche durch nichts zu brechen war, als      durch den Tod. Der Tod aber, das fühlte sie, konnte nur Louis für sie sein.</p><lb/>
        <p>O es kann nicht so bleiben, sagte sie sich, was habe ich denn gethan, daß ich auf solche      Weise leiden muß? &#x2014; Sie stützte den Kopf in die heiße, vor Aufregung leicht zitternde Hand, und      allmählich kehrte ihres Denkens ganze Kraft zurück.</p><lb/>
        <p>Da fuhr abermals ein Wagen vor. Sie sah auf, es war ihr Mann, der nach Hause kam. Er sah      verstimmt und bekümmert aus.</p><lb/>
        <p>Was giebt es? fragte Leonie, die ihm entgegenging.</p><lb/>
        <p>Er legte den Arm um sie: Ich habe schlechte Nachrichten, sagte er. Er setzte sich und zog sie      auf seinen Schoos.</p><lb/>
        <p>Sein Schwiegervater öffnete jetzt die Augen und sah ihn fragend an.</p><lb/>
        <p>Ich muß verreisen, antwortete er auf diesen Blick. Der König schickt mich nach L. Es kommt      mir sehr ungelegen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0174] Eine lange Stille trat jetzt ein. Stunde um Stunde verrann. Die fieberheißen Augen der Gräfin flogen nach der kostbaren Pendeluhr, die auf dem Gesimse des Kamines stand. Louis kam noch immer nicht. Was hätte es jetzt auch genutzt? sagte sie sich, und doch — welche Antwort lag in diesem Fernbleiben nach einem solchen Ruf! Der Graf hatte die Augen geschlossen und athmete leise, als schliefe er. Sie saß schweigend, und die feinen Hände zerdrückten krampfhaft einen Fächer, ein Meisterwerk der französischen Kunst, während sie in finsterem Sinnen grübelte und in dem Schwanken der Angst und Unentschlossenheit ihre Seele hin und her wogte, wie ein dunkler See, bevor sie Ruhe, das heißt, einen Entschluß fand. Wie die Flut, die scheinbar machtlos an dem steinernen Wall ihres Ufers zerschellt, immer übermüdet ihre Wellen wieder sammelt zu erneuertem Anprall, so lebte auch in diesem ätherisch zarten Geschöpfe eine Kraft, welche durch nichts zu brechen war, als durch den Tod. Der Tod aber, das fühlte sie, konnte nur Louis für sie sein. O es kann nicht so bleiben, sagte sie sich, was habe ich denn gethan, daß ich auf solche Weise leiden muß? — Sie stützte den Kopf in die heiße, vor Aufregung leicht zitternde Hand, und allmählich kehrte ihres Denkens ganze Kraft zurück. Da fuhr abermals ein Wagen vor. Sie sah auf, es war ihr Mann, der nach Hause kam. Er sah verstimmt und bekümmert aus. Was giebt es? fragte Leonie, die ihm entgegenging. Er legte den Arm um sie: Ich habe schlechte Nachrichten, sagte er. Er setzte sich und zog sie auf seinen Schoos. Sein Schwiegervater öffnete jetzt die Augen und sah ihn fragend an. Ich muß verreisen, antwortete er auf diesen Blick. Der König schickt mich nach L. Es kommt mir sehr ungelegen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/174
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/174>, abgerufen am 29.04.2024.