Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

noch einmal an seine Brust. Einen solchen Kampf hatte der ruhige Mann, bei all seiner Liebe für das angebetete Weib, doch nicht vorausgesehen. Die Adern auf seiner Stirn schwollen, und seine Augen, die keine Thränen fanden, unterliefen mit Blut. Endlich wichen Leonie's Kräfte, die Stunde drängte, er mußte fort, und er legte sie in ihres Vaters Arme. Aber dreimal noch kehrte er zu ihr zurück und schloß sie von Neuem in seine Arme.

Behüten Sie sie wohl, sagte er zu seinem Schwiegervater, der schweigend daneben stand, es ist mein Leben, mehr, viel mehr als mein Leben, das ich ihnen anvertraue. Jedes Haar auf ihrem Haupte soll Ihnen heilig sein!

Verlassen Sie sich auf mich, erwiderte dieser; mein Leben und meine Ehre sollen Bürgen für die ihrigen sein.

Mit abgewandtem Gesicht sprang endlich Hoheneck in den Wagen. Er wagte nicht zurückzublicken, und in raschem Trabe zogen ihn die vier rüstigen Pferde davon. Mit thränenleeren Augen blickte ihm Leonie nach und wurde halb ohnmächtig in das Haus zurückgebracht. Die ganze Dienerschaft zerfloß in Thränen über die große Liebe und den rührenden Schmerz der jungen, immer so sanften und nachsichtigen Gebieterin; denn Leonie wußte, daß im Falle der Noth solche Verbündeten manchmal die nützlichsten sind. Selbst ihr Vater wurde irre an ihr.

Habe ich ihr Unrecht gethan, dachte er, so mag mir Gott meine Härte gegen das arme Wesen verzeihen.

Er war sehr bewegt und ging sachte mit ihr um. Es lag so viel Wahrheit in dieser tiefen Versunkenheit des Grames, die wortlos so rührend um Theilnahme bat! Wie sollte das Alles Verstellung sein? Und daß es keine Verstellung war, das war gerade die höchste Verstellung bei dieser Frau. So weit konnte er nicht

noch einmal an seine Brust. Einen solchen Kampf hatte der ruhige Mann, bei all seiner Liebe für das angebetete Weib, doch nicht vorausgesehen. Die Adern auf seiner Stirn schwollen, und seine Augen, die keine Thränen fanden, unterliefen mit Blut. Endlich wichen Leonie's Kräfte, die Stunde drängte, er mußte fort, und er legte sie in ihres Vaters Arme. Aber dreimal noch kehrte er zu ihr zurück und schloß sie von Neuem in seine Arme.

Behüten Sie sie wohl, sagte er zu seinem Schwiegervater, der schweigend daneben stand, es ist mein Leben, mehr, viel mehr als mein Leben, das ich ihnen anvertraue. Jedes Haar auf ihrem Haupte soll Ihnen heilig sein!

Verlassen Sie sich auf mich, erwiderte dieser; mein Leben und meine Ehre sollen Bürgen für die ihrigen sein.

Mit abgewandtem Gesicht sprang endlich Hoheneck in den Wagen. Er wagte nicht zurückzublicken, und in raschem Trabe zogen ihn die vier rüstigen Pferde davon. Mit thränenleeren Augen blickte ihm Leonie nach und wurde halb ohnmächtig in das Haus zurückgebracht. Die ganze Dienerschaft zerfloß in Thränen über die große Liebe und den rührenden Schmerz der jungen, immer so sanften und nachsichtigen Gebieterin; denn Leonie wußte, daß im Falle der Noth solche Verbündeten manchmal die nützlichsten sind. Selbst ihr Vater wurde irre an ihr.

Habe ich ihr Unrecht gethan, dachte er, so mag mir Gott meine Härte gegen das arme Wesen verzeihen.

Er war sehr bewegt und ging sachte mit ihr um. Es lag so viel Wahrheit in dieser tiefen Versunkenheit des Grames, die wortlos so rührend um Theilnahme bat! Wie sollte das Alles Verstellung sein? Und daß es keine Verstellung war, das war gerade die höchste Verstellung bei dieser Frau. So weit konnte er nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0180"/>
noch einmal an seine Brust. Einen solchen Kampf hatte der ruhige Mann, bei all seiner      Liebe für das angebetete Weib, doch nicht vorausgesehen. Die Adern auf seiner Stirn schwollen,      und seine Augen, die keine Thränen fanden, unterliefen mit Blut. Endlich wichen Leonie's      Kräfte, die Stunde drängte, er mußte fort, und er legte sie in ihres Vaters Arme. Aber dreimal      noch kehrte er zu ihr zurück und schloß sie von Neuem in seine Arme.</p><lb/>
        <p>Behüten Sie sie wohl, sagte er zu seinem Schwiegervater, der schweigend daneben stand, es ist      mein Leben, mehr, viel mehr als mein Leben, das ich ihnen anvertraue. Jedes Haar auf ihrem      Haupte soll Ihnen heilig sein!</p><lb/>
        <p>Verlassen Sie sich auf mich, erwiderte dieser; mein Leben und meine Ehre sollen Bürgen für      die ihrigen sein.</p><lb/>
        <p>Mit abgewandtem Gesicht sprang endlich Hoheneck in den Wagen. Er wagte nicht zurückzublicken,      und in raschem Trabe zogen ihn die vier rüstigen Pferde davon. Mit thränenleeren Augen blickte      ihm Leonie nach und wurde halb ohnmächtig in das Haus zurückgebracht. Die ganze Dienerschaft      zerfloß in Thränen über die große Liebe und den rührenden Schmerz der jungen, immer so sanften      und nachsichtigen Gebieterin; denn Leonie wußte, daß im Falle der Noth solche Verbündeten      manchmal die nützlichsten sind. Selbst ihr Vater wurde irre an ihr.</p><lb/>
        <p>Habe ich ihr Unrecht gethan, dachte er, so mag mir Gott meine Härte gegen das arme Wesen      verzeihen.</p><lb/>
        <p>Er war sehr bewegt und ging sachte mit ihr um. Es lag so viel Wahrheit in dieser tiefen      Versunkenheit des Grames, die wortlos so rührend um Theilnahme bat! Wie sollte das Alles      Verstellung sein? Und daß es keine Verstellung war, das war gerade die höchste Verstellung bei      dieser Frau. So weit konnte er nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0180] noch einmal an seine Brust. Einen solchen Kampf hatte der ruhige Mann, bei all seiner Liebe für das angebetete Weib, doch nicht vorausgesehen. Die Adern auf seiner Stirn schwollen, und seine Augen, die keine Thränen fanden, unterliefen mit Blut. Endlich wichen Leonie's Kräfte, die Stunde drängte, er mußte fort, und er legte sie in ihres Vaters Arme. Aber dreimal noch kehrte er zu ihr zurück und schloß sie von Neuem in seine Arme. Behüten Sie sie wohl, sagte er zu seinem Schwiegervater, der schweigend daneben stand, es ist mein Leben, mehr, viel mehr als mein Leben, das ich ihnen anvertraue. Jedes Haar auf ihrem Haupte soll Ihnen heilig sein! Verlassen Sie sich auf mich, erwiderte dieser; mein Leben und meine Ehre sollen Bürgen für die ihrigen sein. Mit abgewandtem Gesicht sprang endlich Hoheneck in den Wagen. Er wagte nicht zurückzublicken, und in raschem Trabe zogen ihn die vier rüstigen Pferde davon. Mit thränenleeren Augen blickte ihm Leonie nach und wurde halb ohnmächtig in das Haus zurückgebracht. Die ganze Dienerschaft zerfloß in Thränen über die große Liebe und den rührenden Schmerz der jungen, immer so sanften und nachsichtigen Gebieterin; denn Leonie wußte, daß im Falle der Noth solche Verbündeten manchmal die nützlichsten sind. Selbst ihr Vater wurde irre an ihr. Habe ich ihr Unrecht gethan, dachte er, so mag mir Gott meine Härte gegen das arme Wesen verzeihen. Er war sehr bewegt und ging sachte mit ihr um. Es lag so viel Wahrheit in dieser tiefen Versunkenheit des Grames, die wortlos so rührend um Theilnahme bat! Wie sollte das Alles Verstellung sein? Und daß es keine Verstellung war, das war gerade die höchste Verstellung bei dieser Frau. So weit konnte er nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/180
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/180>, abgerufen am 29.04.2024.