Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Gemächer des Schlosses, und der Kreis der Besuchenden, an dessen Freuden sie nicht mehr denselben Antheil nahm, lichtete sich zusehends.

Nun ist dein Frieden nicht mehr gestört, sagte sie einmal spottend zu ihrem Bruder, ist es jetzt mehr nach deinem Geschmack?

Aber Otto hatte andere Gedanken im Kopfe. Er hatte den beseligenden Befehl erhalten, nach der Hauptstadt zurückzukehren und seine Bewerbung um Marie wo möglich zum Abschluß zu bringen.

So Gott will, möchte ich noch meine Enkel sehen, hatte sein Vater zu ihm gesagt, und diese frohe Aussicht hätte den jungen Mann für größere Unannehmlichkeiten unempfindlich gemacht.

Seine Abreise störte die Gräfin nicht in der neuen Richtung, die ihr Leben genommen, sie versenkte sich immer tiefer in die ihr plötzlich so lieb gewordene Einsamkeit. Es war, als habe die unruhige Kraft, die bis jetzt verschlossen in ihr gelebt, endlich den rechten Ausweg gefunden, durch welchen sie naturgemäß abfloß. Ihr Vater beobachtete sie, aber er sagte nichts. Nur gedankenvoller schien er zu werden, je stiller und in sich harmonischer offenbar Leonie ward.

Verschiedene Kleinigkeiten zu ihrem Gebrauch waren aus der Stadt gekommen, sie schloß sich ein und packte selbst die Gegenstände aus. Darunter war ein Briefchen, das sie heftig an die Lippen drückte. Doch auch ihr Vater hatte Briefe erhalten, die ihn sehr beschäftigten.

Du könntest auch einmal mit mir gehen, sagte er den Morgen darauf zu ihr, ich habe mehrere Ausbesserungen in der Kirche vor, die ich erst in Augenschein nehmen will.

Sie machte sich bereit und begleitete ihn. Es war kühl und düster in der Kirche, die ihnen der Küster öffnete, und als der Graf seine Besichtigungen beendet, trat er mit Leonie in den sonnenhellen Kirchhof hinaus

Gemächer des Schlosses, und der Kreis der Besuchenden, an dessen Freuden sie nicht mehr denselben Antheil nahm, lichtete sich zusehends.

Nun ist dein Frieden nicht mehr gestört, sagte sie einmal spottend zu ihrem Bruder, ist es jetzt mehr nach deinem Geschmack?

Aber Otto hatte andere Gedanken im Kopfe. Er hatte den beseligenden Befehl erhalten, nach der Hauptstadt zurückzukehren und seine Bewerbung um Marie wo möglich zum Abschluß zu bringen.

So Gott will, möchte ich noch meine Enkel sehen, hatte sein Vater zu ihm gesagt, und diese frohe Aussicht hätte den jungen Mann für größere Unannehmlichkeiten unempfindlich gemacht.

Seine Abreise störte die Gräfin nicht in der neuen Richtung, die ihr Leben genommen, sie versenkte sich immer tiefer in die ihr plötzlich so lieb gewordene Einsamkeit. Es war, als habe die unruhige Kraft, die bis jetzt verschlossen in ihr gelebt, endlich den rechten Ausweg gefunden, durch welchen sie naturgemäß abfloß. Ihr Vater beobachtete sie, aber er sagte nichts. Nur gedankenvoller schien er zu werden, je stiller und in sich harmonischer offenbar Leonie ward.

Verschiedene Kleinigkeiten zu ihrem Gebrauch waren aus der Stadt gekommen, sie schloß sich ein und packte selbst die Gegenstände aus. Darunter war ein Briefchen, das sie heftig an die Lippen drückte. Doch auch ihr Vater hatte Briefe erhalten, die ihn sehr beschäftigten.

Du könntest auch einmal mit mir gehen, sagte er den Morgen darauf zu ihr, ich habe mehrere Ausbesserungen in der Kirche vor, die ich erst in Augenschein nehmen will.

Sie machte sich bereit und begleitete ihn. Es war kühl und düster in der Kirche, die ihnen der Küster öffnete, und als der Graf seine Besichtigungen beendet, trat er mit Leonie in den sonnenhellen Kirchhof hinaus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0188"/>
Gemächer des Schlosses, und der Kreis der Besuchenden, an dessen Freuden sie nicht mehr      denselben Antheil nahm, lichtete sich zusehends.</p><lb/>
        <p>Nun ist dein Frieden nicht mehr gestört, sagte sie einmal spottend zu ihrem Bruder, ist es      jetzt mehr nach deinem Geschmack?</p><lb/>
        <p>Aber Otto hatte andere Gedanken im Kopfe. Er hatte den beseligenden Befehl erhalten, nach der      Hauptstadt zurückzukehren und seine Bewerbung um Marie wo möglich zum Abschluß zu bringen.</p><lb/>
        <p>So Gott will, möchte ich noch meine Enkel sehen, hatte sein Vater zu ihm gesagt, und diese      frohe Aussicht hätte den jungen Mann für größere Unannehmlichkeiten unempfindlich gemacht.</p><lb/>
        <p>Seine Abreise störte die Gräfin nicht in der neuen Richtung, die ihr Leben genommen, sie      versenkte sich immer tiefer in die ihr plötzlich so lieb gewordene Einsamkeit. Es war, als habe      die unruhige Kraft, die bis jetzt verschlossen in ihr gelebt, endlich den rechten Ausweg      gefunden, durch welchen sie naturgemäß abfloß. Ihr Vater beobachtete sie, aber er sagte nichts.      Nur gedankenvoller schien er zu werden, je stiller und in sich harmonischer offenbar Leonie      ward.</p><lb/>
        <p>Verschiedene Kleinigkeiten zu ihrem Gebrauch waren aus der Stadt gekommen, sie schloß sich      ein und packte selbst die Gegenstände aus. Darunter war ein Briefchen, das sie heftig an die      Lippen drückte. Doch auch ihr Vater hatte Briefe erhalten, die ihn sehr beschäftigten.</p><lb/>
        <p>Du könntest auch einmal mit mir gehen, sagte er den Morgen darauf zu ihr, ich habe mehrere      Ausbesserungen in der Kirche vor, die ich erst in Augenschein nehmen will.</p><lb/>
        <p>Sie machte sich bereit und begleitete ihn. Es war kühl und düster in der Kirche, die ihnen      der Küster öffnete, und als der Graf seine Besichtigungen beendet, trat er mit Leonie in den      sonnenhellen Kirchhof hinaus<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0188] Gemächer des Schlosses, und der Kreis der Besuchenden, an dessen Freuden sie nicht mehr denselben Antheil nahm, lichtete sich zusehends. Nun ist dein Frieden nicht mehr gestört, sagte sie einmal spottend zu ihrem Bruder, ist es jetzt mehr nach deinem Geschmack? Aber Otto hatte andere Gedanken im Kopfe. Er hatte den beseligenden Befehl erhalten, nach der Hauptstadt zurückzukehren und seine Bewerbung um Marie wo möglich zum Abschluß zu bringen. So Gott will, möchte ich noch meine Enkel sehen, hatte sein Vater zu ihm gesagt, und diese frohe Aussicht hätte den jungen Mann für größere Unannehmlichkeiten unempfindlich gemacht. Seine Abreise störte die Gräfin nicht in der neuen Richtung, die ihr Leben genommen, sie versenkte sich immer tiefer in die ihr plötzlich so lieb gewordene Einsamkeit. Es war, als habe die unruhige Kraft, die bis jetzt verschlossen in ihr gelebt, endlich den rechten Ausweg gefunden, durch welchen sie naturgemäß abfloß. Ihr Vater beobachtete sie, aber er sagte nichts. Nur gedankenvoller schien er zu werden, je stiller und in sich harmonischer offenbar Leonie ward. Verschiedene Kleinigkeiten zu ihrem Gebrauch waren aus der Stadt gekommen, sie schloß sich ein und packte selbst die Gegenstände aus. Darunter war ein Briefchen, das sie heftig an die Lippen drückte. Doch auch ihr Vater hatte Briefe erhalten, die ihn sehr beschäftigten. Du könntest auch einmal mit mir gehen, sagte er den Morgen darauf zu ihr, ich habe mehrere Ausbesserungen in der Kirche vor, die ich erst in Augenschein nehmen will. Sie machte sich bereit und begleitete ihn. Es war kühl und düster in der Kirche, die ihnen der Küster öffnete, und als der Graf seine Besichtigungen beendet, trat er mit Leonie in den sonnenhellen Kirchhof hinaus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/188
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/188>, abgerufen am 28.04.2024.