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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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von einer Thüre, die man vorsichtig öffnete und schloß, wurde vom Ende des Ganges gehört.

Schweige! befahl er.

Leonie sprang nach der Thüre, doch bevor sie dieselbe erreichen konnte, hatte er sie gefaßt und heftig an sich gezogen. Sie beugte sich zurück, ihr aufgelöstes Haar in üppiger Fülle lang und glänzend über seinen Arm hinab, doch er hatte keine Augen für die schimmernde Jugendpracht und drückte ihr fest die Hand auf den Mund.

Sie suchte sich loszureißen, aber sie war zu schwach dazu. Ihr Herz schlug hoch in Entsetzen und wilder Empörung, ihre Stirne runzelte sich; sie sah zu ihm auf mit einem Blicke des Hasses, den keine Sprache beschreiben kann, vor dem aber die Farbe aus seinen Wangen wich. Sie hätte gerne gebissen, doch sie vermochte es nicht; er hielt sie zu fest dazu.

Schlange! murmelte er, und es war, als wolle er sie zerdrücken, Brut einer Schlange! Bastard, den ich in der Wiege hätte erdrosseln sollen, und den ich vergebens zu einem Menschen zu machen gesucht!

Das Blut stockte in ihren Adern vor dem Ausdruck seines Gesichts. Da öffnete sich die Thüre ihres Zimmers, und sachte trat Louis herein! Betroffen blieb er stehen, Bestürzung und Schrecken malten sich auf seiner Stirne, von der die Rathe freudiger Erwartung plötzlich gewichen war.

Der Graf ließ seine Tochter los, die halb ohnmächtig auf ein Ruhebett sank. Er hatte seine Ruhe wieder gewonnen und wandte sich an den jungen Mann.

Treten Sie ein, Herr Marquis, sagte er höflich, aber sehr kalt; ich weiß, daß Sie nur meine Tochter zu finden erwarteten, aber ich hielt es für besser, bei der Zusammenkunft zugegen zu sein.

Louis schloß die Thüre hinter sich und trat schweigend vor. Er war sehr bleich und sah auf Leonie; sie hatte das Gesicht in die Hände gepreßt und rührte sich nicht.

von einer Thüre, die man vorsichtig öffnete und schloß, wurde vom Ende des Ganges gehört.

Schweige! befahl er.

Leonie sprang nach der Thüre, doch bevor sie dieselbe erreichen konnte, hatte er sie gefaßt und heftig an sich gezogen. Sie beugte sich zurück, ihr aufgelöstes Haar in üppiger Fülle lang und glänzend über seinen Arm hinab, doch er hatte keine Augen für die schimmernde Jugendpracht und drückte ihr fest die Hand auf den Mund.

Sie suchte sich loszureißen, aber sie war zu schwach dazu. Ihr Herz schlug hoch in Entsetzen und wilder Empörung, ihre Stirne runzelte sich; sie sah zu ihm auf mit einem Blicke des Hasses, den keine Sprache beschreiben kann, vor dem aber die Farbe aus seinen Wangen wich. Sie hätte gerne gebissen, doch sie vermochte es nicht; er hielt sie zu fest dazu.

Schlange! murmelte er, und es war, als wolle er sie zerdrücken, Brut einer Schlange! Bastard, den ich in der Wiege hätte erdrosseln sollen, und den ich vergebens zu einem Menschen zu machen gesucht!

Das Blut stockte in ihren Adern vor dem Ausdruck seines Gesichts. Da öffnete sich die Thüre ihres Zimmers, und sachte trat Louis herein! Betroffen blieb er stehen, Bestürzung und Schrecken malten sich auf seiner Stirne, von der die Rathe freudiger Erwartung plötzlich gewichen war.

Der Graf ließ seine Tochter los, die halb ohnmächtig auf ein Ruhebett sank. Er hatte seine Ruhe wieder gewonnen und wandte sich an den jungen Mann.

Treten Sie ein, Herr Marquis, sagte er höflich, aber sehr kalt; ich weiß, daß Sie nur meine Tochter zu finden erwarteten, aber ich hielt es für besser, bei der Zusammenkunft zugegen zu sein.

Louis schloß die Thüre hinter sich und trat schweigend vor. Er war sehr bleich und sah auf Leonie; sie hatte das Gesicht in die Hände gepreßt und rührte sich nicht.

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[0193] von einer Thüre, die man vorsichtig öffnete und schloß, wurde vom Ende des Ganges gehört. Schweige! befahl er. Leonie sprang nach der Thüre, doch bevor sie dieselbe erreichen konnte, hatte er sie gefaßt und heftig an sich gezogen. Sie beugte sich zurück, ihr aufgelöstes Haar in üppiger Fülle lang und glänzend über seinen Arm hinab, doch er hatte keine Augen für die schimmernde Jugendpracht und drückte ihr fest die Hand auf den Mund. Sie suchte sich loszureißen, aber sie war zu schwach dazu. Ihr Herz schlug hoch in Entsetzen und wilder Empörung, ihre Stirne runzelte sich; sie sah zu ihm auf mit einem Blicke des Hasses, den keine Sprache beschreiben kann, vor dem aber die Farbe aus seinen Wangen wich. Sie hätte gerne gebissen, doch sie vermochte es nicht; er hielt sie zu fest dazu. Schlange! murmelte er, und es war, als wolle er sie zerdrücken, Brut einer Schlange! Bastard, den ich in der Wiege hätte erdrosseln sollen, und den ich vergebens zu einem Menschen zu machen gesucht! Das Blut stockte in ihren Adern vor dem Ausdruck seines Gesichts. Da öffnete sich die Thüre ihres Zimmers, und sachte trat Louis herein! Betroffen blieb er stehen, Bestürzung und Schrecken malten sich auf seiner Stirne, von der die Rathe freudiger Erwartung plötzlich gewichen war. Der Graf ließ seine Tochter los, die halb ohnmächtig auf ein Ruhebett sank. Er hatte seine Ruhe wieder gewonnen und wandte sich an den jungen Mann. Treten Sie ein, Herr Marquis, sagte er höflich, aber sehr kalt; ich weiß, daß Sie nur meine Tochter zu finden erwarteten, aber ich hielt es für besser, bei der Zusammenkunft zugegen zu sein. Louis schloß die Thüre hinter sich und trat schweigend vor. Er war sehr bleich und sah auf Leonie; sie hatte das Gesicht in die Hände gepreßt und rührte sich nicht.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/193>, abgerufen am 28.04.2024.