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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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währende Erinnerung an den Verrath und die Schande seiner Mutter war.

Mich duldete es nicht mehr in Paris. Die Luft dort schien mir mit giftigen Dünsten geschwängert und erstickte mich. So reis'ten wir denn nach kurzer Vorbereitung ab. Von da an versank meine Frau in ein finsteres Brüten, dem sie nichts zu entreißen vermochte. Ihre Kinder, besonders Leonie, hütete sie mit einer ruhelosen Aufmerksamkeit, welche der wilden Wachsamkeit einer aufgescheuchten Löwin gleichkam. War es die Furcht sich von ihnen getrennt zu sehen? war es die Sehnsucht nach Ihrem Vater, dem einzigen Manne, den sie wirklich geliebt? oder hatte sie dennoch seinen Tod erfahren und war es Rachedurst, der sie verzehrte und sie endlich zum Äußersten trieb? -- Genug -- ich erkrankte und sie pflegte mich. Der tückisch lauernde Blick, mit dem ich, aus halber Bewußtlosigkeit erwachend, sie eines Nachts an meinem Bette stehen sah, gab mir den ersten Verdacht ihrer Schuld. Die Unglückselige hatte mir Gift eingegeben und zählte die Minuten, die sie des verhaßten Joches entledigen sollten. Den furchtbaren Austritt, der die Folge der Entdeckung war, kann ich nur andeuten. Genug, sie war schuldig -- ich hatte den Beweis in der Hand, und sie leugnete nicht. --

Doch auf dem Schaffotte sollte sie nicht sterben. Aus ihrem Blute hatten meine Kinder ihr schuldloses Leben getrunken, und mein Haus sollte verschont bleiben von dem Brandmal einer öffentlichen Hinrichtung. Aber verschwinden mußte sie, und sie verschwand. In Einsamkeit und Gefangenschaft floßen ihre Tage hin. Für die Welt war sie todt und nun ist sie es auch für mich. Der ungestillte Haß zehrte an ihrem Leben, die Sehnsucht nach ihren Kindern brach ihr langsam das Herz. Allein der Tod brachte keine Versöhnung für sie, sie starb, wie sie gelebt, und mit einer Lästerung auf den Lippen athmete sie ihre Seele aus.

Und nun bin ich zu Ende, Herr Marquis. Darf

währende Erinnerung an den Verrath und die Schande seiner Mutter war.

Mich duldete es nicht mehr in Paris. Die Luft dort schien mir mit giftigen Dünsten geschwängert und erstickte mich. So reis'ten wir denn nach kurzer Vorbereitung ab. Von da an versank meine Frau in ein finsteres Brüten, dem sie nichts zu entreißen vermochte. Ihre Kinder, besonders Leonie, hütete sie mit einer ruhelosen Aufmerksamkeit, welche der wilden Wachsamkeit einer aufgescheuchten Löwin gleichkam. War es die Furcht sich von ihnen getrennt zu sehen? war es die Sehnsucht nach Ihrem Vater, dem einzigen Manne, den sie wirklich geliebt? oder hatte sie dennoch seinen Tod erfahren und war es Rachedurst, der sie verzehrte und sie endlich zum Äußersten trieb? — Genug — ich erkrankte und sie pflegte mich. Der tückisch lauernde Blick, mit dem ich, aus halber Bewußtlosigkeit erwachend, sie eines Nachts an meinem Bette stehen sah, gab mir den ersten Verdacht ihrer Schuld. Die Unglückselige hatte mir Gift eingegeben und zählte die Minuten, die sie des verhaßten Joches entledigen sollten. Den furchtbaren Austritt, der die Folge der Entdeckung war, kann ich nur andeuten. Genug, sie war schuldig — ich hatte den Beweis in der Hand, und sie leugnete nicht. —

Doch auf dem Schaffotte sollte sie nicht sterben. Aus ihrem Blute hatten meine Kinder ihr schuldloses Leben getrunken, und mein Haus sollte verschont bleiben von dem Brandmal einer öffentlichen Hinrichtung. Aber verschwinden mußte sie, und sie verschwand. In Einsamkeit und Gefangenschaft floßen ihre Tage hin. Für die Welt war sie todt und nun ist sie es auch für mich. Der ungestillte Haß zehrte an ihrem Leben, die Sehnsucht nach ihren Kindern brach ihr langsam das Herz. Allein der Tod brachte keine Versöhnung für sie, sie starb, wie sie gelebt, und mit einer Lästerung auf den Lippen athmete sie ihre Seele aus.

Und nun bin ich zu Ende, Herr Marquis. Darf

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[0205] währende Erinnerung an den Verrath und die Schande seiner Mutter war. Mich duldete es nicht mehr in Paris. Die Luft dort schien mir mit giftigen Dünsten geschwängert und erstickte mich. So reis'ten wir denn nach kurzer Vorbereitung ab. Von da an versank meine Frau in ein finsteres Brüten, dem sie nichts zu entreißen vermochte. Ihre Kinder, besonders Leonie, hütete sie mit einer ruhelosen Aufmerksamkeit, welche der wilden Wachsamkeit einer aufgescheuchten Löwin gleichkam. War es die Furcht sich von ihnen getrennt zu sehen? war es die Sehnsucht nach Ihrem Vater, dem einzigen Manne, den sie wirklich geliebt? oder hatte sie dennoch seinen Tod erfahren und war es Rachedurst, der sie verzehrte und sie endlich zum Äußersten trieb? — Genug — ich erkrankte und sie pflegte mich. Der tückisch lauernde Blick, mit dem ich, aus halber Bewußtlosigkeit erwachend, sie eines Nachts an meinem Bette stehen sah, gab mir den ersten Verdacht ihrer Schuld. Die Unglückselige hatte mir Gift eingegeben und zählte die Minuten, die sie des verhaßten Joches entledigen sollten. Den furchtbaren Austritt, der die Folge der Entdeckung war, kann ich nur andeuten. Genug, sie war schuldig — ich hatte den Beweis in der Hand, und sie leugnete nicht. — Doch auf dem Schaffotte sollte sie nicht sterben. Aus ihrem Blute hatten meine Kinder ihr schuldloses Leben getrunken, und mein Haus sollte verschont bleiben von dem Brandmal einer öffentlichen Hinrichtung. Aber verschwinden mußte sie, und sie verschwand. In Einsamkeit und Gefangenschaft floßen ihre Tage hin. Für die Welt war sie todt und nun ist sie es auch für mich. Der ungestillte Haß zehrte an ihrem Leben, die Sehnsucht nach ihren Kindern brach ihr langsam das Herz. Allein der Tod brachte keine Versöhnung für sie, sie starb, wie sie gelebt, und mit einer Lästerung auf den Lippen athmete sie ihre Seele aus. Und nun bin ich zu Ende, Herr Marquis. Darf

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/205>, abgerufen am 07.05.2024.