Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

bleicht, er sah mager und verkommen aus, was bei der Traurigkeit, die jetzt auf seinen Zügen lag, noch austrat.

Was soll ich thun? dachte der Graf. Luftveränderung? -- Reisen -- allein? -- nein, das geht nicht an -- auch ich bin einmal gereist, allein, in seinem Alter -- und -- was hat es mir gebracht? -- Otto, unterbrach er plötzlich seines Sohnes unerschöpfliche Lobrede auf die geschiedene Schwester, du hast deine Studien hinter dir, auf das Gut mag ich nicht zurück, das Haus ist öde hier, die Luft bekommt uns Beiden nicht, und Zeit ist es jetzt, daß du dir die Welt ein wenig ansiehst. Was sagtest du, mein Sohn, wenn wir auf Reisen gingen, damit uns die Grillen schneller vergehen? -- Otto's Augen leuchteten auf, sein Kummer war verflogen, und so reisten sie denn ab.

Frühjahr, Sommer und Herbst waren vergangen und sogar ein guter Theil des Winters war ihnen nachgeeilt, und weder das neue Ehepaar, noch der Graf und Otto waren nach der Hauptstadt zurückgekehrt. Sie sitzen bis über die Ohren im Glücke, sagte man, wenn von Leonie und ihrem Manne die Rede war, und was man von ihnen hörte, bestätigte allerdings das freundliche Gerücht. Manches hatte sich unterdessen verändert. Marie war Braut geworden, in aller Stille freilich, und die Leute wunderten sich, das sich keine bessere Partie für das schöne und wohlhabende Mädchen gefunden; aber sie war glücklich, obgleich es bei ihr nicht gerade zum Dache hinaus schlug, und was wollten ihre Eltern mehr?

Ich wollte doch, Leonie ließe etwas von sich hören, sagte sie eines Tages, von ihrer Arbeit aufsehend. Sie wird sich gewiß mit uns freuen.

Da ging die Thüre auf, und die Besprochene trat

bleicht, er sah mager und verkommen aus, was bei der Traurigkeit, die jetzt auf seinen Zügen lag, noch austrat.

Was soll ich thun? dachte der Graf. Luftveränderung? — Reisen — allein? — nein, das geht nicht an — auch ich bin einmal gereist, allein, in seinem Alter — und — was hat es mir gebracht? — Otto, unterbrach er plötzlich seines Sohnes unerschöpfliche Lobrede auf die geschiedene Schwester, du hast deine Studien hinter dir, auf das Gut mag ich nicht zurück, das Haus ist öde hier, die Luft bekommt uns Beiden nicht, und Zeit ist es jetzt, daß du dir die Welt ein wenig ansiehst. Was sagtest du, mein Sohn, wenn wir auf Reisen gingen, damit uns die Grillen schneller vergehen? — Otto's Augen leuchteten auf, sein Kummer war verflogen, und so reisten sie denn ab.

Frühjahr, Sommer und Herbst waren vergangen und sogar ein guter Theil des Winters war ihnen nachgeeilt, und weder das neue Ehepaar, noch der Graf und Otto waren nach der Hauptstadt zurückgekehrt. Sie sitzen bis über die Ohren im Glücke, sagte man, wenn von Leonie und ihrem Manne die Rede war, und was man von ihnen hörte, bestätigte allerdings das freundliche Gerücht. Manches hatte sich unterdessen verändert. Marie war Braut geworden, in aller Stille freilich, und die Leute wunderten sich, das sich keine bessere Partie für das schöne und wohlhabende Mädchen gefunden; aber sie war glücklich, obgleich es bei ihr nicht gerade zum Dache hinaus schlug, und was wollten ihre Eltern mehr?

Ich wollte doch, Leonie ließe etwas von sich hören, sagte sie eines Tages, von ihrer Arbeit aufsehend. Sie wird sich gewiß mit uns freuen.

Da ging die Thüre auf, und die Besprochene trat

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0061"/>
bleicht, er sah mager und      verkommen aus, was bei der Traurigkeit, die jetzt auf seinen Zügen lag, noch austrat.</p><lb/>
        <p>Was soll ich thun? dachte der Graf. Luftveränderung? &#x2014; Reisen &#x2014; allein? &#x2014; nein, das geht      nicht an &#x2014; auch ich bin einmal gereist, allein, in seinem Alter &#x2014; und &#x2014; was hat es mir      gebracht? &#x2014; Otto, unterbrach er plötzlich seines Sohnes unerschöpfliche Lobrede auf die      geschiedene Schwester, du hast deine Studien hinter dir, auf das Gut mag ich nicht zurück, das      Haus ist öde hier, die Luft bekommt uns Beiden nicht, und Zeit ist es jetzt, daß du dir die      Welt ein wenig ansiehst. Was sagtest du, mein Sohn, wenn wir auf Reisen gingen, damit uns die      Grillen schneller vergehen? &#x2014; Otto's Augen leuchteten auf, sein Kummer war verflogen, und so      reisten sie denn ab.</p><lb/>
      </div>
      <div n="3">
        <p>Frühjahr, Sommer und Herbst waren vergangen und sogar ein guter Theil des Winters war ihnen      nachgeeilt, und weder das neue Ehepaar, noch der Graf und Otto waren nach der Hauptstadt      zurückgekehrt. Sie sitzen bis über die Ohren im Glücke, sagte man, wenn von Leonie und ihrem      Manne die Rede war, und was man von ihnen hörte, bestätigte allerdings das freundliche Gerücht.      Manches hatte sich unterdessen verändert. Marie war Braut geworden, in aller Stille freilich,      und die Leute wunderten sich, das sich keine bessere Partie für das schöne und wohlhabende      Mädchen gefunden; aber sie war glücklich, obgleich es bei ihr nicht gerade zum Dache hinaus      schlug, und was wollten ihre Eltern mehr?</p><lb/>
        <p>Ich wollte doch, Leonie ließe etwas von sich hören, sagte sie eines Tages, von ihrer Arbeit      aufsehend. Sie wird sich gewiß mit uns freuen.</p><lb/>
        <p>Da ging die Thüre auf, und die Besprochene trat<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] bleicht, er sah mager und verkommen aus, was bei der Traurigkeit, die jetzt auf seinen Zügen lag, noch austrat. Was soll ich thun? dachte der Graf. Luftveränderung? — Reisen — allein? — nein, das geht nicht an — auch ich bin einmal gereist, allein, in seinem Alter — und — was hat es mir gebracht? — Otto, unterbrach er plötzlich seines Sohnes unerschöpfliche Lobrede auf die geschiedene Schwester, du hast deine Studien hinter dir, auf das Gut mag ich nicht zurück, das Haus ist öde hier, die Luft bekommt uns Beiden nicht, und Zeit ist es jetzt, daß du dir die Welt ein wenig ansiehst. Was sagtest du, mein Sohn, wenn wir auf Reisen gingen, damit uns die Grillen schneller vergehen? — Otto's Augen leuchteten auf, sein Kummer war verflogen, und so reisten sie denn ab. Frühjahr, Sommer und Herbst waren vergangen und sogar ein guter Theil des Winters war ihnen nachgeeilt, und weder das neue Ehepaar, noch der Graf und Otto waren nach der Hauptstadt zurückgekehrt. Sie sitzen bis über die Ohren im Glücke, sagte man, wenn von Leonie und ihrem Manne die Rede war, und was man von ihnen hörte, bestätigte allerdings das freundliche Gerücht. Manches hatte sich unterdessen verändert. Marie war Braut geworden, in aller Stille freilich, und die Leute wunderten sich, das sich keine bessere Partie für das schöne und wohlhabende Mädchen gefunden; aber sie war glücklich, obgleich es bei ihr nicht gerade zum Dache hinaus schlug, und was wollten ihre Eltern mehr? Ich wollte doch, Leonie ließe etwas von sich hören, sagte sie eines Tages, von ihrer Arbeit aufsehend. Sie wird sich gewiß mit uns freuen. Da ging die Thüre auf, und die Besprochene trat

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/61
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/61>, abgerufen am 27.04.2024.