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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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rische Blicke hergab, trat ihr zum ersten Male an Mariens Seite der junge Mann mit Absicht entgegen, der, ohne es zu ahnen, ihre Phantasie so brennend beschäftigte.

Der Herr Marquis Louis de Chanteloup, sagte Marie mit scherzendem Pathos, in dem vielleicht ein kleiner, natürlicher Stolz über die ausgezeichnete Erscheinung ihres Bräutigams sich kund that. Leonie war vorbereitet und verbeugte sich mit der Sittsamkeit eines vierzehnjährigen Kindes.

Es ist nicht das erste Mal, daß ich die Frau Gräfin sehe, sagte der Marquis in ziemlich gutem Deutsch.

Ja, in der That -- ich glaube -- ich besinne mich, erwiderte Leonie, während ihn unter den langen Wimpern einer ihrer verführerisch unschuldigen Blicke traf; war es nicht an einem Abend in der Oper?

Der junge Mann erröthete und verbeugte sich -- so hatte sie ihn also doch bemerkt!

Nun, das freut mich, rief Marie ahnungslos, dann sind Sie ja schon alte Bekannte.

Das Recht der alten Bekanntschaft kann ich um so eher in Anspruch nehmen, sagte er dann, als ich die Frau Gräfin nach jenem Abend noch einige Mal wiedersah.

Leonie lächelte -- was lag nicht Alles in diesem Lächeln!

Welch eine interessante Frau! sagte er zu Marie, als er auf dem Heimwege ihr gegenüber in dem Wagen saß.

Nicht wahr? rief das Mädchen, o sie ist ein Engel!

In dieses Lob stimmten der Baron und seine Frau von ganzem Herzen ein, und wir wissen nicht, warum sich gerade in dem Marquis etwas regte, das diesem Vergleich widersprach. Er lehnte schweigend in seiner Ecke und suchte sich den Eindruck zu erklären, den die Erscheinung der Gräfin auf ihn gemacht.

rische Blicke hergab, trat ihr zum ersten Male an Mariens Seite der junge Mann mit Absicht entgegen, der, ohne es zu ahnen, ihre Phantasie so brennend beschäftigte.

Der Herr Marquis Louis de Chanteloup, sagte Marie mit scherzendem Pathos, in dem vielleicht ein kleiner, natürlicher Stolz über die ausgezeichnete Erscheinung ihres Bräutigams sich kund that. Leonie war vorbereitet und verbeugte sich mit der Sittsamkeit eines vierzehnjährigen Kindes.

Es ist nicht das erste Mal, daß ich die Frau Gräfin sehe, sagte der Marquis in ziemlich gutem Deutsch.

Ja, in der That — ich glaube — ich besinne mich, erwiderte Leonie, während ihn unter den langen Wimpern einer ihrer verführerisch unschuldigen Blicke traf; war es nicht an einem Abend in der Oper?

Der junge Mann erröthete und verbeugte sich — so hatte sie ihn also doch bemerkt!

Nun, das freut mich, rief Marie ahnungslos, dann sind Sie ja schon alte Bekannte.

Das Recht der alten Bekanntschaft kann ich um so eher in Anspruch nehmen, sagte er dann, als ich die Frau Gräfin nach jenem Abend noch einige Mal wiedersah.

Leonie lächelte — was lag nicht Alles in diesem Lächeln!

Welch eine interessante Frau! sagte er zu Marie, als er auf dem Heimwege ihr gegenüber in dem Wagen saß.

Nicht wahr? rief das Mädchen, o sie ist ein Engel!

In dieses Lob stimmten der Baron und seine Frau von ganzem Herzen ein, und wir wissen nicht, warum sich gerade in dem Marquis etwas regte, das diesem Vergleich widersprach. Er lehnte schweigend in seiner Ecke und suchte sich den Eindruck zu erklären, den die Erscheinung der Gräfin auf ihn gemacht.

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[0066] rische Blicke hergab, trat ihr zum ersten Male an Mariens Seite der junge Mann mit Absicht entgegen, der, ohne es zu ahnen, ihre Phantasie so brennend beschäftigte. Der Herr Marquis Louis de Chanteloup, sagte Marie mit scherzendem Pathos, in dem vielleicht ein kleiner, natürlicher Stolz über die ausgezeichnete Erscheinung ihres Bräutigams sich kund that. Leonie war vorbereitet und verbeugte sich mit der Sittsamkeit eines vierzehnjährigen Kindes. Es ist nicht das erste Mal, daß ich die Frau Gräfin sehe, sagte der Marquis in ziemlich gutem Deutsch. Ja, in der That — ich glaube — ich besinne mich, erwiderte Leonie, während ihn unter den langen Wimpern einer ihrer verführerisch unschuldigen Blicke traf; war es nicht an einem Abend in der Oper? Der junge Mann erröthete und verbeugte sich — so hatte sie ihn also doch bemerkt! Nun, das freut mich, rief Marie ahnungslos, dann sind Sie ja schon alte Bekannte. Das Recht der alten Bekanntschaft kann ich um so eher in Anspruch nehmen, sagte er dann, als ich die Frau Gräfin nach jenem Abend noch einige Mal wiedersah. Leonie lächelte — was lag nicht Alles in diesem Lächeln! Welch eine interessante Frau! sagte er zu Marie, als er auf dem Heimwege ihr gegenüber in dem Wagen saß. Nicht wahr? rief das Mädchen, o sie ist ein Engel! In dieses Lob stimmten der Baron und seine Frau von ganzem Herzen ein, und wir wissen nicht, warum sich gerade in dem Marquis etwas regte, das diesem Vergleich widersprach. Er lehnte schweigend in seiner Ecke und suchte sich den Eindruck zu erklären, den die Erscheinung der Gräfin auf ihn gemacht.

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/66>, abgerufen am 27.04.2024.