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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Auf den jungen Marquis indessen übte das Haus des Barons bald einen eigenthümlichen Zauber aus. Es war ein Hauch der Heimath, der ihm daraus entgegenwehte; nicht der großen, die so viele Kinder zahlt, denn das Haus war ganz deutsch, aber der kleinen, wo sein Herz die Wurzeln schlug, und die nur er gekannt. Er kam, um von seiner Mutter zu sprechen, und fühlte sich zu Hause, wo man so gerne von ihr sprach. So geschah es, das sie sich nach und nach daran gewöhnten, ihn sagst täglich bei sich zu sehen. Er liebte es, seine Wende da zuzubringen, und begleitete sie wohl auch, gingen sie aus. Zwischen Marie und ihm bildete sich schnell eine Art geschwisterlicher Vertraulichkeit, an der Niemand im Hause Anstoß nahm und die für Beide gleich angenehm war.

Tausend kleine Beschäftigungen brachten sie fortwährend zusammen. Zeichnen, Musik und Lectüre, Alles war von gleichem Interesse für sie, und sie war schön, ihre Ruhe that ihm wohl, und mit jedem Tage zog sie ihn fester an. Dßs aus dieser harmlosen Zuneigung ein tieferes Gefühl sich entwickeln konnte, daran dachte er selber nicht! Marie war ja protestantisch! -- Zudem hatte sie nichts von der fortwährenden Hilfsbedürftigkeit und sanften Abhängigkeit, an die ihn der Zustand seiner Mutter gewohnt und die ihm darum an Frauen so lieb geworden war.

Marie war ganz das Gegentheil von alle dem. Sie trug die blühende Frische ihrer Jahre mit einer Unbefangenheit, welche bewies, daß sie nicht glaubte gegen irgend Jemandes Geschmack damit zu verstoßen. Ihr Vater rühmte von ihr, das sie nie krank gewesen, und sie sah nicht danach aus, als wurde sie es jemals sein. Sie war, trotz ihrer dunklen Haare und Augen, vom Wirbel bis zur Sohle eine echte Deutsche, häuslich und wirthschaftlich, von jener Gemüthsart, welche über die allernächsten Interessen des Hauses wenig hinausgeht. Und darin auch wich sie von Louis'

Auf den jungen Marquis indessen übte das Haus des Barons bald einen eigenthümlichen Zauber aus. Es war ein Hauch der Heimath, der ihm daraus entgegenwehte; nicht der großen, die so viele Kinder zahlt, denn das Haus war ganz deutsch, aber der kleinen, wo sein Herz die Wurzeln schlug, und die nur er gekannt. Er kam, um von seiner Mutter zu sprechen, und fühlte sich zu Hause, wo man so gerne von ihr sprach. So geschah es, das sie sich nach und nach daran gewöhnten, ihn sagst täglich bei sich zu sehen. Er liebte es, seine Wende da zuzubringen, und begleitete sie wohl auch, gingen sie aus. Zwischen Marie und ihm bildete sich schnell eine Art geschwisterlicher Vertraulichkeit, an der Niemand im Hause Anstoß nahm und die für Beide gleich angenehm war.

Tausend kleine Beschäftigungen brachten sie fortwährend zusammen. Zeichnen, Musik und Lectüre, Alles war von gleichem Interesse für sie, und sie war schön, ihre Ruhe that ihm wohl, und mit jedem Tage zog sie ihn fester an. Dßs aus dieser harmlosen Zuneigung ein tieferes Gefühl sich entwickeln konnte, daran dachte er selber nicht! Marie war ja protestantisch! — Zudem hatte sie nichts von der fortwährenden Hilfsbedürftigkeit und sanften Abhängigkeit, an die ihn der Zustand seiner Mutter gewohnt und die ihm darum an Frauen so lieb geworden war.

Marie war ganz das Gegentheil von alle dem. Sie trug die blühende Frische ihrer Jahre mit einer Unbefangenheit, welche bewies, daß sie nicht glaubte gegen irgend Jemandes Geschmack damit zu verstoßen. Ihr Vater rühmte von ihr, das sie nie krank gewesen, und sie sah nicht danach aus, als wurde sie es jemals sein. Sie war, trotz ihrer dunklen Haare und Augen, vom Wirbel bis zur Sohle eine echte Deutsche, häuslich und wirthschaftlich, von jener Gemüthsart, welche über die allernächsten Interessen des Hauses wenig hinausgeht. Und darin auch wich sie von Louis'

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[0077] Auf den jungen Marquis indessen übte das Haus des Barons bald einen eigenthümlichen Zauber aus. Es war ein Hauch der Heimath, der ihm daraus entgegenwehte; nicht der großen, die so viele Kinder zahlt, denn das Haus war ganz deutsch, aber der kleinen, wo sein Herz die Wurzeln schlug, und die nur er gekannt. Er kam, um von seiner Mutter zu sprechen, und fühlte sich zu Hause, wo man so gerne von ihr sprach. So geschah es, das sie sich nach und nach daran gewöhnten, ihn sagst täglich bei sich zu sehen. Er liebte es, seine Wende da zuzubringen, und begleitete sie wohl auch, gingen sie aus. Zwischen Marie und ihm bildete sich schnell eine Art geschwisterlicher Vertraulichkeit, an der Niemand im Hause Anstoß nahm und die für Beide gleich angenehm war. Tausend kleine Beschäftigungen brachten sie fortwährend zusammen. Zeichnen, Musik und Lectüre, Alles war von gleichem Interesse für sie, und sie war schön, ihre Ruhe that ihm wohl, und mit jedem Tage zog sie ihn fester an. Dßs aus dieser harmlosen Zuneigung ein tieferes Gefühl sich entwickeln konnte, daran dachte er selber nicht! Marie war ja protestantisch! — Zudem hatte sie nichts von der fortwährenden Hilfsbedürftigkeit und sanften Abhängigkeit, an die ihn der Zustand seiner Mutter gewohnt und die ihm darum an Frauen so lieb geworden war. Marie war ganz das Gegentheil von alle dem. Sie trug die blühende Frische ihrer Jahre mit einer Unbefangenheit, welche bewies, daß sie nicht glaubte gegen irgend Jemandes Geschmack damit zu verstoßen. Ihr Vater rühmte von ihr, das sie nie krank gewesen, und sie sah nicht danach aus, als wurde sie es jemals sein. Sie war, trotz ihrer dunklen Haare und Augen, vom Wirbel bis zur Sohle eine echte Deutsche, häuslich und wirthschaftlich, von jener Gemüthsart, welche über die allernächsten Interessen des Hauses wenig hinausgeht. Und darin auch wich sie von Louis'

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/77>, abgerufen am 28.04.2024.