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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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den Thüren des mittleren Salons standen alle die zusammengedrängt, die durch Alter oder Laune von dem jugendlichen Vergnügen ausgeschlossen waren, und sahen, mehr oder minder erheitert, dem lachenden Schauspiele zu. Louis trat unter diese. Die Gräfin tanzt! hieß es um ihn her; er blickte über die Schultern seiner Umgebung, und mitten im Saale unter den tanzenden Paaren stand auch Leonie und zeichnete mit den kinderkleinen Füssen, welche die Mode der Zeit dem Auge frei ließ, die anmuthigen Figuren einer Menuett, dieses amnuthigsten aller Tänze, die sich zum Dienste geselliger Freude herabgelassen haben. Aber ein Ausdruck von Trauer beschattete die lieblichen Zuge, und die zarten Füschen folgten dem Tacte der Musik mit einer ganz ungewohnten Lässigkeit.

Louis Abwesenheit hatte ihr diesmal denn doch zu lange gedauert, und da zugleich mit ihm auch Marie sich nicht sehen ließ, so hatte sie den besten Vorwand, sich nach der Ursache dieser Verlassenheit zu erkundigen. Sie war also denselben Vormittag zum Baron gefahren und lud selbst die ganze Familie, Louis natürlich mit inbegriffen, für den heutigen Abend ein, der ein sehr stiller sein sollte, sagte sie, wie in schüchterner Entschuldigung gegen Marie hingewendet. Mit offenbarer Befangenheit und zugleich mit einer kleinen Übereilung, die auf mehr zu deuten schien, als auf eine zufällige Verhinderung, lehnte diese die so freundlich gemachte Einladung für sich und ihren Bräutigam ab, und nur der Baron, dem die junge Frau ungerecht behandelt schien, versprach zu kommen und auch mit Louis zu sprechen, der ein Narr sei und öfter ärger als ein unvernünftiges Kind. So mit einer kleinen Sorge über Mariens Entfremdung und einer größeren, in wie weit Louis dabei betheiligt sei, war Leonie nach Hause zurückgekehrt. Da, wie sie sich senkte und hob in den immer graziösen Wendungen des Tanzes, gewahrte sie den stolzen, dunklen Kopf des Marquis, der über die

den Thüren des mittleren Salons standen alle die zusammengedrängt, die durch Alter oder Laune von dem jugendlichen Vergnügen ausgeschlossen waren, und sahen, mehr oder minder erheitert, dem lachenden Schauspiele zu. Louis trat unter diese. Die Gräfin tanzt! hieß es um ihn her; er blickte über die Schultern seiner Umgebung, und mitten im Saale unter den tanzenden Paaren stand auch Leonie und zeichnete mit den kinderkleinen Füssen, welche die Mode der Zeit dem Auge frei ließ, die anmuthigen Figuren einer Menuett, dieses amnuthigsten aller Tänze, die sich zum Dienste geselliger Freude herabgelassen haben. Aber ein Ausdruck von Trauer beschattete die lieblichen Zuge, und die zarten Füschen folgten dem Tacte der Musik mit einer ganz ungewohnten Lässigkeit.

Louis Abwesenheit hatte ihr diesmal denn doch zu lange gedauert, und da zugleich mit ihm auch Marie sich nicht sehen ließ, so hatte sie den besten Vorwand, sich nach der Ursache dieser Verlassenheit zu erkundigen. Sie war also denselben Vormittag zum Baron gefahren und lud selbst die ganze Familie, Louis natürlich mit inbegriffen, für den heutigen Abend ein, der ein sehr stiller sein sollte, sagte sie, wie in schüchterner Entschuldigung gegen Marie hingewendet. Mit offenbarer Befangenheit und zugleich mit einer kleinen Übereilung, die auf mehr zu deuten schien, als auf eine zufällige Verhinderung, lehnte diese die so freundlich gemachte Einladung für sich und ihren Bräutigam ab, und nur der Baron, dem die junge Frau ungerecht behandelt schien, versprach zu kommen und auch mit Louis zu sprechen, der ein Narr sei und öfter ärger als ein unvernünftiges Kind. So mit einer kleinen Sorge über Mariens Entfremdung und einer größeren, in wie weit Louis dabei betheiligt sei, war Leonie nach Hause zurückgekehrt. Da, wie sie sich senkte und hob in den immer graziösen Wendungen des Tanzes, gewahrte sie den stolzen, dunklen Kopf des Marquis, der über die

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/89>, abgerufen am 28.04.2024.