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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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Grundzüge in der Entwicklung der Verskunst.
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§ 107. pwo_263.003
Ausgangspunkt für Ergründung der Metrik.
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Jn einem historisch gegründeten System der Poesie darf die pwo_263.005
Metrik ebenso wenig von der heutigen Form der ausgebildeten Strophe pwo_263.006
wie von dem einzelnen Versfuß oder gar der Verssilbe als Grundlage pwo_263.007
ausgehen: denn weder die vorgeschrittene Mannigfaltigkeit der pwo_263.008
modernen Strophen noch das Sonderdasein der Versteile bietet die pwo_263.009
ursprüngliche Gestalt des Versmaßes dar. Auch kann von einer pwo_263.010
bloßen Nebeneinanderstellung der Vers-, Strophen- und Reimarten pwo_263.011
wissenschaftlich nicht die Rede sein.

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Die Verszeile ist Ausgangspunkt der metrischen Entwicklung. pwo_263.013
Aus der primitiven Gestalt der Verszeile haben sich die pwo_263.014
späteren Variationen entwickelt.

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Vielfache Uebereinstimmungen in der Verskunst verschiedener Völker pwo_263.016
bedingen sorgfältige Scheidung, inwieweit selbständige Aeußerungen pwo_263.017
eines durchgehenden Prinzips, inwieweit direkte Beeinflussungen und pwo_263.018
Abhängigkeit vorliegen.

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Grundsätzliche Wendepunkte in der Entwicklung des Versmaßes pwo_263.020
werden vor allem durch die Vervollkommnung und Verinnerlichung pwo_263.021
bedingt, welche die Messung und Bindung des Verses erfährt: wie pwo_263.022
sie die bloße Zählung und auch die feststehende Silbenwertung überwindet, pwo_263.023
um den Accent in Wort und Satz als Träger des Tonfalles pwo_263.024
zu suchen. Jnnerhalb der einzelnen Völker ergeben sich tiefgreifende pwo_263.025
Abstufungen nach der Vortragsart: ob rezitativ, gesungen oder gelesen.

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Grundzüge in der Entwicklung der Verskunst.
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Ausgangspunkt für Ergründung der Metrik.
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  Jn einem historisch gegründeten System der Poesie darf die pwo_263.005
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ursprüngliche Gestalt des Versmaßes dar. Auch kann von einer pwo_263.010
bloßen Nebeneinanderstellung der Vers-, Strophen- und Reimarten pwo_263.011
wissenschaftlich nicht die Rede sein.

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Aus der primitiven Gestalt der Verszeile haben sich die pwo_263.014
späteren Variationen entwickelt.

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  Vielfache Uebereinstimmungen in der Verskunst verschiedener Völker pwo_263.016
bedingen sorgfältige Scheidung, inwieweit selbständige Aeußerungen pwo_263.017
eines durchgehenden Prinzips, inwieweit direkte Beeinflussungen und pwo_263.018
Abhängigkeit vorliegen.

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  Grundsätzliche Wendepunkte in der Entwicklung des Versmaßes pwo_263.020
werden vor allem durch die Vervollkommnung und Verinnerlichung pwo_263.021
bedingt, welche die Messung und Bindung des Verses erfährt: wie pwo_263.022
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[E263/0277] pwo_263.001 Grundzüge in der Entwicklung der Verskunst. pwo_263.002 § 107. pwo_263.003 Ausgangspunkt für Ergründung der Metrik. pwo_263.004   Jn einem historisch gegründeten System der Poesie darf die pwo_263.005 Metrik ebenso wenig von der heutigen Form der ausgebildeten Strophe pwo_263.006 wie von dem einzelnen Versfuß oder gar der Verssilbe als Grundlage pwo_263.007 ausgehen: denn weder die vorgeschrittene Mannigfaltigkeit der pwo_263.008 modernen Strophen noch das Sonderdasein der Versteile bietet die pwo_263.009 ursprüngliche Gestalt des Versmaßes dar. Auch kann von einer pwo_263.010 bloßen Nebeneinanderstellung der Vers-, Strophen- und Reimarten pwo_263.011 wissenschaftlich nicht die Rede sein. pwo_263.012 Die Verszeile ist Ausgangspunkt der metrischen Entwicklung. pwo_263.013 Aus der primitiven Gestalt der Verszeile haben sich die pwo_263.014 späteren Variationen entwickelt. pwo_263.015   Vielfache Uebereinstimmungen in der Verskunst verschiedener Völker pwo_263.016 bedingen sorgfältige Scheidung, inwieweit selbständige Aeußerungen pwo_263.017 eines durchgehenden Prinzips, inwieweit direkte Beeinflussungen und pwo_263.018 Abhängigkeit vorliegen. pwo_263.019   Grundsätzliche Wendepunkte in der Entwicklung des Versmaßes pwo_263.020 werden vor allem durch die Vervollkommnung und Verinnerlichung pwo_263.021 bedingt, welche die Messung und Bindung des Verses erfährt: wie pwo_263.022 sie die bloße Zählung und auch die feststehende Silbenwertung überwindet, pwo_263.023 um den Accent in Wort und Satz als Träger des Tonfalles pwo_263.024 zu suchen. Jnnerhalb der einzelnen Völker ergeben sich tiefgreifende pwo_263.025 Abstufungen nach der Vortragsart: ob rezitativ, gesungen oder gelesen.

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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. E263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/277>, abgerufen am 15.05.2024.