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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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hervor, prägt sich am stärksten ein, zumal in gesungener Poesie. pwo_265.002
Schon beginnt sich dasselbe Prinzip, dasselbe Gefühl für harmonisch pwo_265.003
gebundene Abrundung zu bethätigen, dem später der Endreim entsprießt.

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Bereits die Entwicklung der lyrischen Metren in der indischen pwo_265.005
Poesie bringt die quantitierende Messung zur vollen Durchführung pwo_265.006
im Vers.

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Durchaus entscheidend ist die Quantität alsdann in den ältesten pwo_265.008
bekannten griechischen Dichtungen. Wiederum begegnet uns zunächst pwo_265.009
ein durch Cäsur zerlegter Langvers, der Hexameter; und wiederum pwo_265.010
entwickelt erst die lyrische Poesie eine mannigfaltige Fülle pwo_265.011
rhythmischer Formen. Der Wortaccent bleibt aber noch immer außer pwo_265.012
Anschlag, der rhythmische Accent wird durchaus von der festen Silbenquantität pwo_265.013
bestimmt. Gerade die enge Verbindung mit der Musik begünstigte pwo_265.014
diese Gleichgültigkeit gegen den natürlichen Tonfall, da ja pwo_265.015
auch die musikalischen Töne sich an den Wortaccent nicht gebunden pwo_265.016
halten.

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Erst in der byzantinischen Zeit beginnt der Wortaccent seine pwo_265.018
Rechte geltend zu machen, und der Uebergang von der Quantitätsmessung pwo_265.019
zur accentuierenden Metrik vollzieht sich in der Folge.

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Die Römer wie die übrigen Jtaliker hatten, bevor sie den Anschluß pwo_265.021
an die griechischen Quantitätsgesetze unternahmen, in ihrem pwo_265.022
versus saturnius bereits eine accentuierende Form ausgebildet. pwo_265.023
Diese Langzeile läßt die Senkungen unbestimmt, um in sechs Hebungen pwo_265.024
der rhythmischen Betonung Ausdruck zu geben. Am Schluß des pwo_265.025
Verses, meist auch der ersten Vershälfte steht eine Senkung, in der pwo_265.026
man wohl das Ueberbleibsel der zum Nebenton herabgesunkenen, ursprünglichen pwo_265.027
vierten Hebung sehen darf. Auch die spätere römische pwo_265.028
Poesie läßt aus der nach griechischem Muster nun quantitierenden pwo_265.029
Messung die Neigung zum Verlegen des Jktus auf die accentuierte pwo_265.030
Silbe erkennen, besonders wo am Ende des Verses und vor der Cäsur pwo_265.031
ein Trochäus oder Spondeus, vorwiegend auch wo dort ein Daktylus pwo_265.032
steht.

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So kommt denn im Romanischen die Accentuierung wieder pwo_265.034
zum Durchbruch. Nicht nur in der spätlateinischen Poesie der christlichen pwo_265.035
Kirche, auch in den modernen romanischen Sprachen. Freilich pwo_265.036
legt die italienische und freier noch die französische Metrik entscheidendes

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Poesie bringt die quantitierende Messung zur vollen Durchführung pwo_265.006
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  Erst in der byzantinischen Zeit beginnt der Wortaccent seine pwo_265.018
Rechte geltend zu machen, und der Uebergang von der Quantitätsmessung pwo_265.019
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  Die Römer wie die übrigen Jtaliker hatten, bevor sie den Anschluß pwo_265.021
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  So kommt denn im Romanischen die Accentuierung wieder pwo_265.034
zum Durchbruch. Nicht nur in der spätlateinischen Poesie der christlichen pwo_265.035
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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/279>, abgerufen am 16.05.2024.