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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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auf: Ich empfinde Ihre Großmuth, sagte sie bewegt, bin aber zu eigensüchtig, um nachzugeben. Nur aus meinen Händen soll R., wenn auch ihm unbewußt, das Gute empfangen; ich gönne Keinem die Freude, als nur mir allein. -- Sternheim verbeugte sich und verließ uns.

Als er fort war, sagte Sophie: Nur zu bald bestätigen sich die trüben Ahnungen, welche Sternheim's Erscheinen in mir weckte. Er kam mir vor wie der böse Genius meines Lebens, und all seine Freundlichkeit vermochte den Eindruck nicht zu heben; immer war mir in seiner Nähe bang und ängstlich zu Sinne. -- Warum aber, war meine Entgegnung, R. den ihn betroffenen Verlust verheimlichen? Er würde, er müßte zurückkehren, müßte sein Leben einem thätigen Berufe widmen, und du würdest glücklich sein. -- Sophie schüttelte verneinend den Kopf: Charaktere gleich dem seinigen müssen aus den Irrthümern und Verirrungen ihres Lebens aus eigener Ueberzeugung geläutert hervorgehen. Zwang mag heilsam sein für kleinliche Gemüther, groß gesinnte, wenn gleich nicht untadelhafte Wesen wird derselbe erbittern und in ihnen die Keime des Guten mehr und mehr ersticken. Menschen der Art, wie R., wollen Zeit haben, das zu werden, was sie ihren Anlagen nach sein können. Persönlich will ich, ihm gegenüber, dem Zwange nichts verdanken, da mein Bewußtsein mir sagt, daß ich Eigenschaften besitze, welche beglücken können. Nicht drückende Verhält-

auf: Ich empfinde Ihre Großmuth, sagte sie bewegt, bin aber zu eigensüchtig, um nachzugeben. Nur aus meinen Händen soll R., wenn auch ihm unbewußt, das Gute empfangen; ich gönne Keinem die Freude, als nur mir allein. — Sternheim verbeugte sich und verließ uns.

Als er fort war, sagte Sophie: Nur zu bald bestätigen sich die trüben Ahnungen, welche Sternheim's Erscheinen in mir weckte. Er kam mir vor wie der böse Genius meines Lebens, und all seine Freundlichkeit vermochte den Eindruck nicht zu heben; immer war mir in seiner Nähe bang und ängstlich zu Sinne. — Warum aber, war meine Entgegnung, R. den ihn betroffenen Verlust verheimlichen? Er würde, er müßte zurückkehren, müßte sein Leben einem thätigen Berufe widmen, und du würdest glücklich sein. — Sophie schüttelte verneinend den Kopf: Charaktere gleich dem seinigen müssen aus den Irrthümern und Verirrungen ihres Lebens aus eigener Ueberzeugung geläutert hervorgehen. Zwang mag heilsam sein für kleinliche Gemüther, groß gesinnte, wenn gleich nicht untadelhafte Wesen wird derselbe erbittern und in ihnen die Keime des Guten mehr und mehr ersticken. Menschen der Art, wie R., wollen Zeit haben, das zu werden, was sie ihren Anlagen nach sein können. Persönlich will ich, ihm gegenüber, dem Zwange nichts verdanken, da mein Bewußtsein mir sagt, daß ich Eigenschaften besitze, welche beglücken können. Nicht drückende Verhält-

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[0063] auf: Ich empfinde Ihre Großmuth, sagte sie bewegt, bin aber zu eigensüchtig, um nachzugeben. Nur aus meinen Händen soll R., wenn auch ihm unbewußt, das Gute empfangen; ich gönne Keinem die Freude, als nur mir allein. — Sternheim verbeugte sich und verließ uns. Als er fort war, sagte Sophie: Nur zu bald bestätigen sich die trüben Ahnungen, welche Sternheim's Erscheinen in mir weckte. Er kam mir vor wie der böse Genius meines Lebens, und all seine Freundlichkeit vermochte den Eindruck nicht zu heben; immer war mir in seiner Nähe bang und ängstlich zu Sinne. — Warum aber, war meine Entgegnung, R. den ihn betroffenen Verlust verheimlichen? Er würde, er müßte zurückkehren, müßte sein Leben einem thätigen Berufe widmen, und du würdest glücklich sein. — Sophie schüttelte verneinend den Kopf: Charaktere gleich dem seinigen müssen aus den Irrthümern und Verirrungen ihres Lebens aus eigener Ueberzeugung geläutert hervorgehen. Zwang mag heilsam sein für kleinliche Gemüther, groß gesinnte, wenn gleich nicht untadelhafte Wesen wird derselbe erbittern und in ihnen die Keime des Guten mehr und mehr ersticken. Menschen der Art, wie R., wollen Zeit haben, das zu werden, was sie ihren Anlagen nach sein können. Persönlich will ich, ihm gegenüber, dem Zwange nichts verdanken, da mein Bewußtsein mir sagt, daß ich Eigenschaften besitze, welche beglücken können. Nicht drückende Verhält-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/63>, abgerufen am 03.05.2024.