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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Glauben, daß Diejenige, welche so unbefangen darüber redete, Gegenstand derselben sein möchte. Sternheim's Benehmen blieb bei alledem gleich ansprechend, er entschuldigte sein Ausbleiben freundlich, so oft dieses Statt hatte, und nur sein umwölkter Blick, ein augenblickliches Zucken der Lippen, so oft die Rede auf R. kam, verriethen seine Gefühle. Eines Abends, als er uns einzelne Gedichte von Claudius vorgelesen, stand Sophie auf, ein Buch zu holen, über welches sie einige Aufklärung wünschte. Sternheim versank während ihrer Abwesenheit in tiefes Nachsinnen und blickte, den Kopf in die Hand gelehnt, düster vor sich hin. Sophie kehrte zurück, stand, ihn betrachtend, einen Augenblick still, nahte sich dann und sagte, eine Hand auf seinen Arm legend, mit großer Herzlichkeit: Was fehlt Ihnen, Sternheim? Sagen Sie es mir, ich bitte Sie. -- Ich sah auf, Sternheim zuckte zusammen, aber in demselben Augenblick stieß ich einen durchdringenden Schrei aus -- im Spiegel gegenüber erschien mir R.'s Bild. Heftig erschrocken folgte Sophie der Richtung meiner Blicke, sie fuhr mit der Hand nach dem Herzen und blieb wie versteinert stehen. Sternheim blickte verwundert umher, aber die Erscheinung war verschwunden. Sehr verstört nahm er sein Buch und empfahl sich schweigend; was er denken mochte, mag der Himmel wissen. Kaum hatte er uns verlassen, so stürzte Sophie auf mich zu, ergriff meine Hände und sagte leidenschaftlich :

O liebste, beste Emmy, was wird jetzt aus

Glauben, daß Diejenige, welche so unbefangen darüber redete, Gegenstand derselben sein möchte. Sternheim's Benehmen blieb bei alledem gleich ansprechend, er entschuldigte sein Ausbleiben freundlich, so oft dieses Statt hatte, und nur sein umwölkter Blick, ein augenblickliches Zucken der Lippen, so oft die Rede auf R. kam, verriethen seine Gefühle. Eines Abends, als er uns einzelne Gedichte von Claudius vorgelesen, stand Sophie auf, ein Buch zu holen, über welches sie einige Aufklärung wünschte. Sternheim versank während ihrer Abwesenheit in tiefes Nachsinnen und blickte, den Kopf in die Hand gelehnt, düster vor sich hin. Sophie kehrte zurück, stand, ihn betrachtend, einen Augenblick still, nahte sich dann und sagte, eine Hand auf seinen Arm legend, mit großer Herzlichkeit: Was fehlt Ihnen, Sternheim? Sagen Sie es mir, ich bitte Sie. — Ich sah auf, Sternheim zuckte zusammen, aber in demselben Augenblick stieß ich einen durchdringenden Schrei aus — im Spiegel gegenüber erschien mir R.'s Bild. Heftig erschrocken folgte Sophie der Richtung meiner Blicke, sie fuhr mit der Hand nach dem Herzen und blieb wie versteinert stehen. Sternheim blickte verwundert umher, aber die Erscheinung war verschwunden. Sehr verstört nahm er sein Buch und empfahl sich schweigend; was er denken mochte, mag der Himmel wissen. Kaum hatte er uns verlassen, so stürzte Sophie auf mich zu, ergriff meine Hände und sagte leidenschaftlich :

O liebste, beste Emmy, was wird jetzt aus

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Glauben, daß Diejenige,      welche so unbefangen darüber redete, Gegenstand derselben sein möchte. Sternheim's Benehmen      blieb bei alledem gleich ansprechend, er entschuldigte sein Ausbleiben freundlich, so oft      dieses Statt hatte, und nur sein umwölkter Blick, ein augenblickliches Zucken der Lippen, so      oft die Rede auf R. kam, verriethen seine Gefühle. Eines Abends, als er uns einzelne Gedichte      von Claudius vorgelesen, stand Sophie auf, ein Buch zu holen, über welches sie einige      Aufklärung wünschte. Sternheim versank während ihrer Abwesenheit in tiefes Nachsinnen und      blickte, den Kopf in die Hand gelehnt, düster vor sich hin. Sophie kehrte zurück, stand, ihn      betrachtend, einen Augenblick still, nahte sich dann und sagte, eine Hand auf seinen Arm      legend, mit großer Herzlichkeit: Was fehlt Ihnen, Sternheim? Sagen Sie es mir, ich bitte Sie. &#x2014;      Ich sah auf, Sternheim zuckte zusammen, aber in demselben Augenblick stieß ich einen      durchdringenden Schrei aus &#x2014; im Spiegel gegenüber erschien mir R.'s Bild. Heftig erschrocken      folgte Sophie der Richtung meiner Blicke, sie fuhr mit der Hand nach dem Herzen und blieb wie      versteinert stehen. Sternheim blickte verwundert umher, aber die Erscheinung war verschwunden.      Sehr verstört nahm er sein Buch und empfahl sich schweigend; was er denken mochte, mag der      Himmel wissen. Kaum hatte er uns verlassen, so stürzte Sophie auf mich zu, ergriff meine Hände      und sagte leidenschaftlich : </p><lb/>
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[0073] Glauben, daß Diejenige, welche so unbefangen darüber redete, Gegenstand derselben sein möchte. Sternheim's Benehmen blieb bei alledem gleich ansprechend, er entschuldigte sein Ausbleiben freundlich, so oft dieses Statt hatte, und nur sein umwölkter Blick, ein augenblickliches Zucken der Lippen, so oft die Rede auf R. kam, verriethen seine Gefühle. Eines Abends, als er uns einzelne Gedichte von Claudius vorgelesen, stand Sophie auf, ein Buch zu holen, über welches sie einige Aufklärung wünschte. Sternheim versank während ihrer Abwesenheit in tiefes Nachsinnen und blickte, den Kopf in die Hand gelehnt, düster vor sich hin. Sophie kehrte zurück, stand, ihn betrachtend, einen Augenblick still, nahte sich dann und sagte, eine Hand auf seinen Arm legend, mit großer Herzlichkeit: Was fehlt Ihnen, Sternheim? Sagen Sie es mir, ich bitte Sie. — Ich sah auf, Sternheim zuckte zusammen, aber in demselben Augenblick stieß ich einen durchdringenden Schrei aus — im Spiegel gegenüber erschien mir R.'s Bild. Heftig erschrocken folgte Sophie der Richtung meiner Blicke, sie fuhr mit der Hand nach dem Herzen und blieb wie versteinert stehen. Sternheim blickte verwundert umher, aber die Erscheinung war verschwunden. Sehr verstört nahm er sein Buch und empfahl sich schweigend; was er denken mochte, mag der Himmel wissen. Kaum hatte er uns verlassen, so stürzte Sophie auf mich zu, ergriff meine Hände und sagte leidenschaftlich : O liebste, beste Emmy, was wird jetzt aus

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/73>, abgerufen am 03.05.2024.