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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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V. Prüfung der vorgeschichtlich-anthropologischen Gegeninstanzen.
im 17. Jahrhundert eine Rolle gespielt hat. Godron hat den
Schädel des hl. Mansuy, der im 4. Jahrhundert Bischof in Toul
war, abgebildet; die charakteristischen Eigenthümlichkeiten des Neander-
thal-Schädels sind an ihm theilweise selbst in einem noch höheren
Grade ausgebildet, denn die Stirne wendet sich stärker rückwärts,
das Schädeldach senkt sich mehr und der Schädel ist so verlängert,
daß der Schädelindex bis auf 69,41 herabgeht. Auch der Schädel
des schottischen Helden Bruce erinnert an den Canstatt-Typus," etc.
-- Erwägt man, daß diese Parallelen ein fossiles Reliquienstück
von so äußerst problematischem Charakter wie jenes vielleicht gar
nicht einmal versteinerte Düsseldorfer Fundstück vom Jahre 1856
betreffen, so kommt das ganz und gar Unerhebliche dessen, was an
paläontologischen Beweis-Jnstanzen für den Affenursprung bisher
zu Tage gefördert worden, in voller Stärke zum Vorschein.

Wie es aber jetzt um diesen Punkt steht, so dürfte es aller
Voraussicht nach auch in Zukunft bleiben. Man mag immerhin
bei weiterem Durchsuchen quaternärer (oder vielleicht auch tertiärer)
Höhlen noch auf das eine oder andre ähnliche Beispiel scheinbarer
Annäherung an den gesuchten Affenmenschen-Typus, wie der Neander-
schädel oder der Kiefer von la Naulette, stoßen. Unwahrscheinlich
ist dies keineswegs, sowenig wie die Vermehrung des bisher ge-
fundnen Vorraths an Cro-Magnon- und an Furfooz-Schädeln um
einige weitere Dutzende unwahrscheinlich genannt werden kann. Was
würde daraus resultiren? Nichts, als eine geringe Vermehrung
des fossilen Beweismaterials für, neben einer weit stärkeren Ver-
mehrung des Beweismaterials gegen die Descendenz-Hypothese.
Und wenn die "Canstatt-Race" früher oder später aus ihrer
Nebelhaftigkeit heraustreten, wenn ihr Typus als ein in der That
vorwiegend niedriger und dem Jdeal des Pithekoidenthums nahe
kommender durch eine beträchtliche Zahl von unanfechtbaren Exem-
peln erwiesen werden würde: zur Erhärtung dessen, worauf es dem
modernen Naturalismus ankommen muß, der Annahme einer all-
gemeinen und ausnahmslosen Thierähnlichkeit der ältesten Menschheit

V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.
im 17. Jahrhundert eine Rolle geſpielt hat. Godron hat den
Schädel des hl. Manſuy, der im 4. Jahrhundert Biſchof in Toul
war, abgebildet; die charakteriſtiſchen Eigenthümlichkeiten des Neander-
thal-Schädels ſind an ihm theilweiſe ſelbſt in einem noch höheren
Grade ausgebildet, denn die Stirne wendet ſich ſtärker rückwärts,
das Schädeldach ſenkt ſich mehr und der Schädel iſt ſo verlängert,
daß der Schädelindex bis auf 69,41 herabgeht. Auch der Schädel
des ſchottiſchen Helden Bruce erinnert an den Canſtatt-Typus,‟ ꝛc.
— Erwägt man, daß dieſe Parallelen ein foſſiles Reliquienſtück
von ſo äußerſt problematiſchem Charakter wie jenes vielleicht gar
nicht einmal verſteinerte Düſſeldorfer Fundſtück vom Jahre 1856
betreffen, ſo kommt das ganz und gar Unerhebliche deſſen, was an
paläontologiſchen Beweis-Jnſtanzen für den Affenurſprung bisher
zu Tage gefördert worden, in voller Stärke zum Vorſchein.

Wie es aber jetzt um dieſen Punkt ſteht, ſo dürfte es aller
Vorausſicht nach auch in Zukunft bleiben. Man mag immerhin
bei weiterem Durchſuchen quaternärer (oder vielleicht auch tertiärer)
Höhlen noch auf das eine oder andre ähnliche Beiſpiel ſcheinbarer
Annäherung an den geſuchten Affenmenſchen-Typus, wie der Neander-
ſchädel oder der Kiefer von la Naulette, ſtoßen. Unwahrſcheinlich
iſt dies keineswegs, ſowenig wie die Vermehrung des bisher ge-
fundnen Vorraths an Cro-Magnon- und an Furfooz-Schädeln um
einige weitere Dutzende unwahrſcheinlich genannt werden kann. Was
würde daraus reſultiren? Nichts, als eine geringe Vermehrung
des foſſilen Beweismaterials für, neben einer weit ſtärkeren Ver-
mehrung des Beweismaterials gegen die Deſcendenz-Hypotheſe.
Und wenn die „Canſtatt-Race‟ früher oder ſpäter aus ihrer
Nebelhaftigkeit heraustreten, wenn ihr Typus als ein in der That
vorwiegend niedriger und dem Jdeal des Pithekoidenthums nahe
kommender durch eine beträchtliche Zahl von unanfechtbaren Exem-
peln erwieſen werden würde: zur Erhärtung deſſen, worauf es dem
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[178/0188] V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen. im 17. Jahrhundert eine Rolle geſpielt hat. Godron hat den Schädel des hl. Manſuy, der im 4. Jahrhundert Biſchof in Toul war, abgebildet; die charakteriſtiſchen Eigenthümlichkeiten des Neander- thal-Schädels ſind an ihm theilweiſe ſelbſt in einem noch höheren Grade ausgebildet, denn die Stirne wendet ſich ſtärker rückwärts, das Schädeldach ſenkt ſich mehr und der Schädel iſt ſo verlängert, daß der Schädelindex bis auf 69,41 herabgeht. Auch der Schädel des ſchottiſchen Helden Bruce erinnert an den Canſtatt-Typus,‟ ꝛc. — Erwägt man, daß dieſe Parallelen ein foſſiles Reliquienſtück von ſo äußerſt problematiſchem Charakter wie jenes vielleicht gar nicht einmal verſteinerte Düſſeldorfer Fundſtück vom Jahre 1856 betreffen, ſo kommt das ganz und gar Unerhebliche deſſen, was an paläontologiſchen Beweis-Jnſtanzen für den Affenurſprung bisher zu Tage gefördert worden, in voller Stärke zum Vorſchein. Wie es aber jetzt um dieſen Punkt ſteht, ſo dürfte es aller Vorausſicht nach auch in Zukunft bleiben. Man mag immerhin bei weiterem Durchſuchen quaternärer (oder vielleicht auch tertiärer) Höhlen noch auf das eine oder andre ähnliche Beiſpiel ſcheinbarer Annäherung an den geſuchten Affenmenſchen-Typus, wie der Neander- ſchädel oder der Kiefer von la Naulette, ſtoßen. Unwahrſcheinlich iſt dies keineswegs, ſowenig wie die Vermehrung des bisher ge- fundnen Vorraths an Cro-Magnon- und an Furfooz-Schädeln um einige weitere Dutzende unwahrſcheinlich genannt werden kann. Was würde daraus reſultiren? Nichts, als eine geringe Vermehrung des foſſilen Beweismaterials für, neben einer weit ſtärkeren Ver- mehrung des Beweismaterials gegen die Deſcendenz-Hypotheſe. Und wenn die „Canſtatt-Race‟ früher oder ſpäter aus ihrer Nebelhaftigkeit heraustreten, wenn ihr Typus als ein in der That vorwiegend niedriger und dem Jdeal des Pithekoidenthums nahe kommender durch eine beträchtliche Zahl von unanfechtbaren Exem- peln erwieſen werden würde: zur Erhärtung deſſen, worauf es dem modernen Naturalismus ankommen muß, der Annahme einer all- gemeinen und ausnahmsloſen Thierähnlichkeit der älteſten Menſchheit

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/188>, abgerufen am 28.04.2024.