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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
galt gerade den medicinischen Autoritäten der beiden letzten Jahr-
hunderte bis vor Kurzem das 170ste oder 180ste Lebensjahr, also
die abrahamidische Altersgrenze. Unter den Beispielen dafür figu-
rirten regelmäßig in erster Linie zwei im 17. Jahrhundert verstorbene
Greise Englands: Henry Jenkins aus Ellerton in Yorkshire, geb.
1501, gest. 1670, also 169 Jahre alt geworden, und Thomas
Parr aus Winnigton in Shropshire, geb. im Geburtsjahre Luthers
und Rafaels 1483, gest. 1635, 152 Jahre und 9 Monate alt.
Als Gewährsmann für das vom Letzteren erreichte Alter stand kein
Geringerer da, als William Harvey, der Entdecker des Blutkreis-
laufs und größte Physiologe seines Zeitalters, der auf Befehl König
Karls I. die Leiche des Verstorbenen anatomisch untersuchte. Jenkins'
169jähriges Alter bezeugte u. a. Dr. Tancred Robinson, Mitglied
des Collegs der Aerzte und der Royal Society zu London, in einem
auf ihn bezüglichen Berichte in den "Philosophical Transactions".
Diese beiden Fälle citirte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts
Albrecht v. Haller in seinem "Adversaria" als glaubwürdig über-
lieferte Beispiele der äußersten Grenze, bis zu welcher menschliches
Leben sich etwa erstrecken könne, unter Hinzufügung von sechs ihm
bekannt gewordenen Fällen eines 140--150jährigen Alters, ferner
von fünfzehn Fällen 130--140jährigen, neunundzwanzig Fällen
120--130jährigen, sechzig Fällen 110--120jährigen und über tausend
Fällen 100--110jährigen Alters. Ganz ähnlich wie Haller äußerte
sein Zeitgenosse Buffon sich über unsern Gegenstand; seine Natur-
geschichte gedenkt u. a. des durch einen Schweden erreichten Alters
von 161 Jahren.1) Auf dem Standpunkte dieser Annahmen ver-
harrten Prichard in der "Naturgeschichte des Menschen" (1840),
Balentin im Lehrbuch der Physiologie (1845), Flourens in seiner
Abhandlung über die menschliche Longävität (1855), Hufeland in
der "Makrobiotik", und zwar auch noch in deren späteren Auflagen
(z. B. der 8. von 1860), Friedreich in seinen biblisch-medicinischen
Untersuchungen ("Zur Bibel", I. 1848) u. AA. Die Letzgenannten

1) Buffon Histoire naturelle III, 443.

VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
galt gerade den mediciniſchen Autoritäten der beiden letzten Jahr-
hunderte bis vor Kurzem das 170ſte oder 180ſte Lebensjahr, alſo
die abrahamidiſche Altersgrenze. Unter den Beiſpielen dafür figu-
rirten regelmäßig in erſter Linie zwei im 17. Jahrhundert verſtorbene
Greiſe Englands: Henry Jenkins aus Ellerton in Yorkſhire, geb.
1501, geſt. 1670, alſo 169 Jahre alt geworden, und Thomas
Parr aus Winnigton in Shropſhire, geb. im Geburtsjahre Luthers
und Rafaels 1483, geſt. 1635, 152 Jahre und 9 Monate alt.
Als Gewährsmann für das vom Letzteren erreichte Alter ſtand kein
Geringerer da, als William Harvey, der Entdecker des Blutkreis-
laufs und größte Phyſiologe ſeines Zeitalters, der auf Befehl König
Karls I. die Leiche des Verſtorbenen anatomiſch unterſuchte. Jenkins’
169jähriges Alter bezeugte u. a. Dr. Tancred Robinſon, Mitglied
des Collegs der Aerzte und der Royal Society zu London, in einem
auf ihn bezüglichen Berichte in den „Philoſophical Transactions‟.
Dieſe beiden Fälle citirte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts
Albrecht v. Haller in ſeinem „Adversaria‟ als glaubwürdig über-
lieferte Beiſpiele der äußerſten Grenze, bis zu welcher menſchliches
Leben ſich etwa erſtrecken könne, unter Hinzufügung von ſechs ihm
bekannt gewordenen Fällen eines 140—150jährigen Alters, ferner
von fünfzehn Fällen 130—140jährigen, neunundzwanzig Fällen
120—130jährigen, ſechzig Fällen 110—120jährigen und über tauſend
Fällen 100—110jährigen Alters. Ganz ähnlich wie Haller äußerte
ſein Zeitgenoſſe Buffon ſich über unſern Gegenſtand; ſeine Natur-
geſchichte gedenkt u. a. des durch einen Schweden erreichten Alters
von 161 Jahren.1) Auf dem Standpunkte dieſer Annahmen ver-
harrten Prichard in der „Naturgeſchichte des Menſchen‟ (1840),
Balentin im Lehrbuch der Phyſiologie (1845), Flourens in ſeiner
Abhandlung über die menſchliche Longävität (1855), Hufeland in
der „Makrobiotik‟, und zwar auch noch in deren ſpäteren Auflagen
(z. B. der 8. von 1860), Friedreich in ſeinen bibliſch-mediciniſchen
Unterſuchungen („Zur Bibel‟, I. 1848) u. AA. Die Letzgenannten

1) Buffon Histoire naturelle III, 443.
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[246/0256] VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. galt gerade den mediciniſchen Autoritäten der beiden letzten Jahr- hunderte bis vor Kurzem das 170ſte oder 180ſte Lebensjahr, alſo die abrahamidiſche Altersgrenze. Unter den Beiſpielen dafür figu- rirten regelmäßig in erſter Linie zwei im 17. Jahrhundert verſtorbene Greiſe Englands: Henry Jenkins aus Ellerton in Yorkſhire, geb. 1501, geſt. 1670, alſo 169 Jahre alt geworden, und Thomas Parr aus Winnigton in Shropſhire, geb. im Geburtsjahre Luthers und Rafaels 1483, geſt. 1635, 152 Jahre und 9 Monate alt. Als Gewährsmann für das vom Letzteren erreichte Alter ſtand kein Geringerer da, als William Harvey, der Entdecker des Blutkreis- laufs und größte Phyſiologe ſeines Zeitalters, der auf Befehl König Karls I. die Leiche des Verſtorbenen anatomiſch unterſuchte. Jenkins’ 169jähriges Alter bezeugte u. a. Dr. Tancred Robinſon, Mitglied des Collegs der Aerzte und der Royal Society zu London, in einem auf ihn bezüglichen Berichte in den „Philoſophical Transactions‟. Dieſe beiden Fälle citirte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts Albrecht v. Haller in ſeinem „Adversaria‟ als glaubwürdig über- lieferte Beiſpiele der äußerſten Grenze, bis zu welcher menſchliches Leben ſich etwa erſtrecken könne, unter Hinzufügung von ſechs ihm bekannt gewordenen Fällen eines 140—150jährigen Alters, ferner von fünfzehn Fällen 130—140jährigen, neunundzwanzig Fällen 120—130jährigen, ſechzig Fällen 110—120jährigen und über tauſend Fällen 100—110jährigen Alters. Ganz ähnlich wie Haller äußerte ſein Zeitgenoſſe Buffon ſich über unſern Gegenſtand; ſeine Natur- geſchichte gedenkt u. a. des durch einen Schweden erreichten Alters von 161 Jahren. 1) Auf dem Standpunkte dieſer Annahmen ver- harrten Prichard in der „Naturgeſchichte des Menſchen‟ (1840), Balentin im Lehrbuch der Phyſiologie (1845), Flourens in ſeiner Abhandlung über die menſchliche Longävität (1855), Hufeland in der „Makrobiotik‟, und zwar auch noch in deren ſpäteren Auflagen (z. B. der 8. von 1860), Friedreich in ſeinen bibliſch-mediciniſchen Unterſuchungen („Zur Bibel‟, I. 1848) u. AA. Die Letzgenannten 1) Buffon Histoire naturelle III, 443.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/256>, abgerufen am 28.04.2024.