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Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mandant; daß Sie's nur nicht vergessen! Wer wußte denn vor dem ersten Wintergesellschaftsabend, wie der todte Gast ausgesehen habe? Am folgenden Tage sagten sich's schon alle Kinder auf der Gasse wieder.

Nun, ich war ehrlich genug, dem Herrn von Hahn meine Sünde zu bekennen, sobald mir nach einem viertelstündigen Lachen der Gebrauch der Stimme wieder kam. Daß mir närrischer Weise eben seine Figur bei der Erzählung vorgeschwebt hatte, war verzeihlich. Doch ließ ich mir damals eher den Einsturz des Himmels als eine solche Wirkung meiner unschuldigen Geschichte träumen. Herr von Hahn lachte aus Leibeskräften mit mir. Er erzählte mir nun dagegen, daß er, um die aufgeklärten Herbesheimer noch mehr zu ängstigen und in ihrem frommen Glauben zu besteifen, allerlei Schwänke getrieben. Einen verliebten Polizeidiener zu plagen, habe er dessen Braut bei einer Putzmacherin besucht; um seinen erschrockenen Kreuzwirth noch mehr in Furcht und Erstaunen zu setzen, habe er vorgegeben, früh ins Bett gehen und am andern Tage abreisen zu wollen, habe aber in der Dunkelheit des Abends durch seinen Bedienten den Reisekoffer zum Thor hinaustragen lassen, den Spaziergang bis zum nächsten Dorfe zu Fuße bei Mondschein gemacht und dort bis zur nächsten Poststation Fuhre genommen, nachdem er ausgeschlafen. Genug, nicht leicht in der Welt haben zwei Menschen das unauslöschliche Gelächter der Homerischen Götter über

mandant; daß Sie's nur nicht vergessen! Wer wußte denn vor dem ersten Wintergesellschaftsabend, wie der todte Gast ausgesehen habe? Am folgenden Tage sagten sich's schon alle Kinder auf der Gasse wieder.

Nun, ich war ehrlich genug, dem Herrn von Hahn meine Sünde zu bekennen, sobald mir nach einem viertelstündigen Lachen der Gebrauch der Stimme wieder kam. Daß mir närrischer Weise eben seine Figur bei der Erzählung vorgeschwebt hatte, war verzeihlich. Doch ließ ich mir damals eher den Einsturz des Himmels als eine solche Wirkung meiner unschuldigen Geschichte träumen. Herr von Hahn lachte aus Leibeskräften mit mir. Er erzählte mir nun dagegen, daß er, um die aufgeklärten Herbesheimer noch mehr zu ängstigen und in ihrem frommen Glauben zu besteifen, allerlei Schwänke getrieben. Einen verliebten Polizeidiener zu plagen, habe er dessen Braut bei einer Putzmacherin besucht; um seinen erschrockenen Kreuzwirth noch mehr in Furcht und Erstaunen zu setzen, habe er vorgegeben, früh ins Bett gehen und am andern Tage abreisen zu wollen, habe aber in der Dunkelheit des Abends durch seinen Bedienten den Reisekoffer zum Thor hinaustragen lassen, den Spaziergang bis zum nächsten Dorfe zu Fuße bei Mondschein gemacht und dort bis zur nächsten Poststation Fuhre genommen, nachdem er ausgeschlafen. Genug, nicht leicht in der Welt haben zwei Menschen das unauslöschliche Gelächter der Homerischen Götter über

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/160>, abgerufen am 29.04.2024.