auf den vorspringenden Kanten auf, um ihr Gebiet zu überschauen. Ein schnaufender Nasenton gibt bei Gefahr das Zeichen zur Flucht, und auf dieses hin stürmt die Herde in rasender Eile davon. Wenn die Gegend ruhig ist, steigen die Thiere übrigens gern in die Tiefe herab und kommen dann oft auf die Wiesenstellen und Grasplätze in den Schluchten oder an die Ufer der Flüsse, um sich zu äßen. Den Höhlungen des Gebirges, an deren Wänden Salpeter und andere Salze ausblühen, statten sie täglich Besuche ab, um sich zu sulzen, und solche Plätze sind es denn auch, wo sie dem Menschen noch am leichtesten zur Beute werden. Drummont, ein erfahrener Jäger, berichtete Richardson, daß die Bergschafe in allen Gegenden, welche von dem Jäger selten beunruhigt wer- den, wenig scheu sind und dem Waidmann ohne Schwierigkeit die erwünschte Annäherung gestatten. Erfahrung aber macht sie bald und dann überaus scheu. Wo sie den Menschen kennen gelernt haben, fürchten sie ihn ebenso sehr, als ihren zweitschlimmsten Feind, den Wolf. Jhre Aufenthaltsorte ge- währen ihnen den besten Schutz. Die entsetzlichen Einöden erfordern einen Jäger, welcher die Be- dürfnisse anderer Menschen kaum kennt und gefaßt sein muß, Tage und Wochen lang allerlei Müh- sale und Beschwerde zu ertragen, ganz abgesehen von den Gefahren, welche die Beschaffenheit der mauvaises terres mit sich bringt.
Bisjetzt hat es noch nicht gelingen wollen, das Dickhorn zu fangen; die Sitte der Mutter, ihre Jungen baldmöglichst nach den wildesten Felsgegenden zu führen, mag dazu das Jhrige beitragen. Ein Herr M'Cenzie versprach, wie der Prinz mittheilt, seinen Jägern ein gutes Pferd, wenn sie ihm ein Lamm dieses Schafes verschaffen würden, jedoch vergeblich. Es war selbst den ausgelerntesten Wildschützen Amerikas unmöglich, sich den verhältnißmäßig sehr hohen Lohn zu verdienen.
Das Wildpret wird von den Weißen, wie von den Jndianern gegessen, hat aber einen schaf- artigen Geruch, welcher namentlich bei dem Bock und zumal während der Brunstzeit sehr fühlbar ist. Die Haut wird von den Jndianern zu ihren schmucken Lederhemden sehr gesucht; sie ist dauerhaft und stark, jedoch weich und schmiegsam.
Einige Naturforscher glauben, daß unser Hausschaf von einem der verschiedenen Wildschafe abstamme, andere sind der Ansicht, daß die Stammart schon seit undenklichen Zeiten vollständig ausgestorben oder in den Hausstand übergegangen, also nirgends mehr zu finden sei. Die Meisten nehmen nur eine einzige Stammart an, sind aber hierin verschiedener Meinung; denn die Einen wollen in dem Argali, die Anderen in dem Mufflon, die Dritten in dem Tetal oder Arui den Stammvater suchen. Es geht uns hier, wie bei den übrigen Hausthieren: -- wir haben keine Ahnung, woher das nützliche, aber sonst sehr wenig fesselnde Hausthier kommt. Wir wiffen, daß das Schaf, wie Rind und Ziege, schon seit undenklichen Zeiten unter der Herrschaft des Menschen lebt und sich allgemach über die ganze Erde verbreitet hat; aber das Formenspiel seiner Rassen ist so außerordentlich groß, daß man kaum begreift, wie alle die Verschiedenheiten durch Züchtung und klimatische Einflüsse hervorgegangen sein konnten. Zwar sehen wir heutigen Tages noch, wie sehr gerade das Hausschaf durch Kreuzung mit anderen Rassen verändert werden kann; allein eben diese Rassen, welche zur Kreuzung benutzt werden, sind sich schon seit Jahrhunderten gleich geblieben, und nirgends finden wir ein Anzeichen, daß auch sie ihrerseits erst wieder durch Kreuzung zu Dem wur- den, was sie sind. Merkwürdig ist jedenfalls, daß nur höchst wenige zahme Schafe noch irgend einer wilden Stammart gleichen: gerade in der Unähnlichkeit mit den Wildschafen kommen die zahmen überein. Jm inneren Afrika gibt es Schafe, welche mit dem Tetal große Aehnlichkeit haben; gleich- wohl kann man immer nicht behaupten, daß sie von ihm abstammen.
Die Unterschiede zwischen den Rassen bestehen hauptsächlich in der Windung des Gehörnes, in der Länge und Bildung des Schwanzes und in der Behaarung. "Alle bisjetzt bekannten Wildschafe," sagt Fitzinger, "zeichnen sich durch beträchtliche Kürze ihres Schwanzes aus; während man unter den zahmen Schafen eine verhältnißmäßig nur sehr geringe Menge von Rassen trifft, welche dieses Merkmal mit ihnen theilen. Daß eine solche Veränderung durch außerordentliche Einflüsse bewirkt
Brehm, Thierleben. II. 39
Das Big-Horn oder Dickhorn.
auf den vorſpringenden Kanten auf, um ihr Gebiet zu überſchauen. Ein ſchnaufender Naſenton gibt bei Gefahr das Zeichen zur Flucht, und auf dieſes hin ſtürmt die Herde in raſender Eile davon. Wenn die Gegend ruhig iſt, ſteigen die Thiere übrigens gern in die Tiefe herab und kommen dann oft auf die Wieſenſtellen und Grasplätze in den Schluchten oder an die Ufer der Flüſſe, um ſich zu äßen. Den Höhlungen des Gebirges, an deren Wänden Salpeter und andere Salze ausblühen, ſtatten ſie täglich Beſuche ab, um ſich zu ſulzen, und ſolche Plätze ſind es denn auch, wo ſie dem Menſchen noch am leichteſten zur Beute werden. Drummont, ein erfahrener Jäger, berichtete Richardſon, daß die Bergſchafe in allen Gegenden, welche von dem Jäger ſelten beunruhigt wer- den, wenig ſcheu ſind und dem Waidmann ohne Schwierigkeit die erwünſchte Annäherung geſtatten. Erfahrung aber macht ſie bald und dann überaus ſcheu. Wo ſie den Menſchen kennen gelernt haben, fürchten ſie ihn ebenſo ſehr, als ihren zweitſchlimmſten Feind, den Wolf. Jhre Aufenthaltsorte ge- währen ihnen den beſten Schutz. Die entſetzlichen Einöden erfordern einen Jäger, welcher die Be- dürfniſſe anderer Menſchen kaum kennt und gefaßt ſein muß, Tage und Wochen lang allerlei Müh- ſale und Beſchwerde zu ertragen, ganz abgeſehen von den Gefahren, welche die Beſchaffenheit der mauvaises terres mit ſich bringt.
Bisjetzt hat es noch nicht gelingen wollen, das Dickhorn zu fangen; die Sitte der Mutter, ihre Jungen baldmöglichſt nach den wildeſten Felsgegenden zu führen, mag dazu das Jhrige beitragen. Ein Herr M’Cenzie verſprach, wie der Prinz mittheilt, ſeinen Jägern ein gutes Pferd, wenn ſie ihm ein Lamm dieſes Schafes verſchaffen würden, jedoch vergeblich. Es war ſelbſt den ausgelernteſten Wildſchützen Amerikas unmöglich, ſich den verhältnißmäßig ſehr hohen Lohn zu verdienen.
Das Wildpret wird von den Weißen, wie von den Jndianern gegeſſen, hat aber einen ſchaf- artigen Geruch, welcher namentlich bei dem Bock und zumal während der Brunſtzeit ſehr fühlbar iſt. Die Haut wird von den Jndianern zu ihren ſchmucken Lederhemden ſehr geſucht; ſie iſt dauerhaft und ſtark, jedoch weich und ſchmiegſam.
Einige Naturforſcher glauben, daß unſer Hausſchaf von einem der verſchiedenen Wildſchafe abſtamme, andere ſind der Anſicht, daß die Stammart ſchon ſeit undenklichen Zeiten vollſtändig ausgeſtorben oder in den Hausſtand übergegangen, alſo nirgends mehr zu finden ſei. Die Meiſten nehmen nur eine einzige Stammart an, ſind aber hierin verſchiedener Meinung; denn die Einen wollen in dem Argali, die Anderen in dem Mufflon, die Dritten in dem Tetal oder Arui den Stammvater ſuchen. Es geht uns hier, wie bei den übrigen Hausthieren: — wir haben keine Ahnung, woher das nützliche, aber ſonſt ſehr wenig feſſelnde Hausthier kommt. Wir wiffen, daß das Schaf, wie Rind und Ziege, ſchon ſeit undenklichen Zeiten unter der Herrſchaft des Menſchen lebt und ſich allgemach über die ganze Erde verbreitet hat; aber das Formenſpiel ſeiner Raſſen iſt ſo außerordentlich groß, daß man kaum begreift, wie alle die Verſchiedenheiten durch Züchtung und klimatiſche Einflüſſe hervorgegangen ſein konnten. Zwar ſehen wir heutigen Tages noch, wie ſehr gerade das Hausſchaf durch Kreuzung mit anderen Raſſen verändert werden kann; allein eben dieſe Raſſen, welche zur Kreuzung benutzt werden, ſind ſich ſchon ſeit Jahrhunderten gleich geblieben, und nirgends finden wir ein Anzeichen, daß auch ſie ihrerſeits erſt wieder durch Kreuzung zu Dem wur- den, was ſie ſind. Merkwürdig iſt jedenfalls, daß nur höchſt wenige zahme Schafe noch irgend einer wilden Stammart gleichen: gerade in der Unähnlichkeit mit den Wildſchafen kommen die zahmen überein. Jm inneren Afrika gibt es Schafe, welche mit dem Tetal große Aehnlichkeit haben; gleich- wohl kann man immer nicht behaupten, daß ſie von ihm abſtammen.
Die Unterſchiede zwiſchen den Raſſen beſtehen hauptſächlich in der Windung des Gehörnes, in der Länge und Bildung des Schwanzes und in der Behaarung. „Alle bisjetzt bekannten Wildſchafe,‟ ſagt Fitzinger, „zeichnen ſich durch beträchtliche Kürze ihres Schwanzes aus; während man unter den zahmen Schafen eine verhältnißmäßig nur ſehr geringe Menge von Raſſen trifft, welche dieſes Merkmal mit ihnen theilen. Daß eine ſolche Veränderung durch außerordentliche Einflüſſe bewirkt
Brehm, Thierleben. II. 39
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Das Big-Horn oder Dickhorn.
auf den vorſpringenden Kanten auf, um ihr Gebiet zu überſchauen. Ein ſchnaufender Naſenton
gibt bei Gefahr das Zeichen zur Flucht, und auf dieſes hin ſtürmt die Herde in raſender Eile davon.
Wenn die Gegend ruhig iſt, ſteigen die Thiere übrigens gern in die Tiefe herab und kommen dann
oft auf die Wieſenſtellen und Grasplätze in den Schluchten oder an die Ufer der Flüſſe, um ſich zu
äßen. Den Höhlungen des Gebirges, an deren Wänden Salpeter und andere Salze ausblühen,
ſtatten ſie täglich Beſuche ab, um ſich zu ſulzen, und ſolche Plätze ſind es denn auch, wo ſie dem
Menſchen noch am leichteſten zur Beute werden. Drummont, ein erfahrener Jäger, berichtete
Richardſon, daß die Bergſchafe in allen Gegenden, welche von dem Jäger ſelten beunruhigt wer-
den, wenig ſcheu ſind und dem Waidmann ohne Schwierigkeit die erwünſchte Annäherung geſtatten.
Erfahrung aber macht ſie bald und dann überaus ſcheu. Wo ſie den Menſchen kennen gelernt haben,
fürchten ſie ihn ebenſo ſehr, als ihren zweitſchlimmſten Feind, den Wolf. Jhre Aufenthaltsorte ge-
währen ihnen den beſten Schutz. Die entſetzlichen Einöden erfordern einen Jäger, welcher die Be-
dürfniſſe anderer Menſchen kaum kennt und gefaßt ſein muß, Tage und Wochen lang allerlei Müh-
ſale und Beſchwerde zu ertragen, ganz abgeſehen von den Gefahren, welche die Beſchaffenheit der
mauvaises terres mit ſich bringt.
Bisjetzt hat es noch nicht gelingen wollen, das Dickhorn zu fangen; die Sitte der Mutter, ihre
Jungen baldmöglichſt nach den wildeſten Felsgegenden zu führen, mag dazu das Jhrige beitragen. Ein
Herr M’Cenzie verſprach, wie der Prinz mittheilt, ſeinen Jägern ein gutes Pferd, wenn ſie ihm
ein Lamm dieſes Schafes verſchaffen würden, jedoch vergeblich. Es war ſelbſt den ausgelernteſten
Wildſchützen Amerikas unmöglich, ſich den verhältnißmäßig ſehr hohen Lohn zu verdienen.
Das Wildpret wird von den Weißen, wie von den Jndianern gegeſſen, hat aber einen ſchaf-
artigen Geruch, welcher namentlich bei dem Bock und zumal während der Brunſtzeit ſehr fühlbar iſt.
Die Haut wird von den Jndianern zu ihren ſchmucken Lederhemden ſehr geſucht; ſie iſt dauerhaft und
ſtark, jedoch weich und ſchmiegſam.
Einige Naturforſcher glauben, daß unſer Hausſchaf von einem der verſchiedenen Wildſchafe
abſtamme, andere ſind der Anſicht, daß die Stammart ſchon ſeit undenklichen Zeiten vollſtändig
ausgeſtorben oder in den Hausſtand übergegangen, alſo nirgends mehr zu finden ſei. Die Meiſten
nehmen nur eine einzige Stammart an, ſind aber hierin verſchiedener Meinung; denn die Einen
wollen in dem Argali, die Anderen in dem Mufflon, die Dritten in dem Tetal oder Arui den
Stammvater ſuchen. Es geht uns hier, wie bei den übrigen Hausthieren: — wir haben keine
Ahnung, woher das nützliche, aber ſonſt ſehr wenig feſſelnde Hausthier kommt. Wir wiffen, daß
das Schaf, wie Rind und Ziege, ſchon ſeit undenklichen Zeiten unter der Herrſchaft des Menſchen
lebt und ſich allgemach über die ganze Erde verbreitet hat; aber das Formenſpiel ſeiner Raſſen iſt ſo
außerordentlich groß, daß man kaum begreift, wie alle die Verſchiedenheiten durch Züchtung und
klimatiſche Einflüſſe hervorgegangen ſein konnten. Zwar ſehen wir heutigen Tages noch, wie ſehr
gerade das Hausſchaf durch Kreuzung mit anderen Raſſen verändert werden kann; allein eben dieſe
Raſſen, welche zur Kreuzung benutzt werden, ſind ſich ſchon ſeit Jahrhunderten gleich geblieben, und
nirgends finden wir ein Anzeichen, daß auch ſie ihrerſeits erſt wieder durch Kreuzung zu Dem wur-
den, was ſie ſind. Merkwürdig iſt jedenfalls, daß nur höchſt wenige zahme Schafe noch irgend einer
wilden Stammart gleichen: gerade in der Unähnlichkeit mit den Wildſchafen kommen die zahmen
überein. Jm inneren Afrika gibt es Schafe, welche mit dem Tetal große Aehnlichkeit haben; gleich-
wohl kann man immer nicht behaupten, daß ſie von ihm abſtammen.
Die Unterſchiede zwiſchen den Raſſen beſtehen hauptſächlich in der Windung des Gehörnes, in
der Länge und Bildung des Schwanzes und in der Behaarung. „Alle bisjetzt bekannten Wildſchafe,‟
ſagt Fitzinger, „zeichnen ſich durch beträchtliche Kürze ihres Schwanzes aus; während man unter
den zahmen Schafen eine verhältnißmäßig nur ſehr geringe Menge von Raſſen trifft, welche dieſes
Merkmal mit ihnen theilen. Daß eine ſolche Veränderung durch außerordentliche Einflüſſe bewirkt
Brehm, Thierleben. II. 39
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/639>, abgerufen am 16.06.2024.
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