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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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da wir den Ring verloren und arm geworden, lässest du Un¬
dankbare mich zerlumpt und hungernd über die Gränze füh¬
ren!" -- Nun erhob auch Gackeleia ihre Stimme und
sprach: "Ach du herzliebes Prinzchen Kronovus, du bist
doch der Beste von Allen, du hast mir deinen Thaler ge¬
schenkt und dein Taschentuch gereicht, daß ich mich abwi¬
schen konnte; du willst mir dein Taschengeld alle Sonnabend
am Entenpfuhl bei den Vergißmeinnicht in ein Ei verstecken;
ach, du bist doch mein guter Kronovus geblieben und hast
die arme, schmutzige Gackeleia nicht von dir weggestoßen.
Ach, es thut mir recht leid, daß ich in der Angst vergessen,
dir meine herrliche Puppe zum Andenken zu schenken."

Kaum hatte Gackeleia das Wort Puppe ausgesprochen,
als Gockel zornig nach ihr blickte und sprach: "du unseliges
Kind! du hast eine Puppe? welche Puppe? woher hast du
die Puppe? weißt du nicht mehr das Urtheil bei dem hoch¬
nothpeinlichen Halsgericht wegen der Ermordung Gallina's,
daß du von nun an und nimmermehr keine Puppe haben
darfst! -- ach, ich ahnde die Ursache meines Verderbens!"
Und da er hierauf die kleine Gackeleia ergreifen wollte, lief
sie vor dem erzürnten Vater nach dem äußersten Rande ei¬
nes Felsens hin, der über einen schroffen Abhang hinaus¬
ragte. Frau Hinkel schrie: "um Gotteswillen, das Kind
fällt sich zu Tode!" und hielt Gockel beim Arme zurück.
Gackeleia aber kniete auf dem äußersten Rande des Felsens,
breitete ihre Aermchen gegen den Vater aus und sprach:

"Vater Gockel ach verzeih',
Mutter Hinkel steh' mir bei,
Oder Gackeleia klein
Springt und bricht sich Hals und Bein!"

Da bat die Frau Hinkel den Gockel sehr, er solle dem
Kind verzeihen, und Gockel sagte: sie solle nur Alles er¬
zählen, was sie angestellt, er werde sie nicht umbringen.

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da wir den Ring verloren und arm geworden, laͤſſeſt du Un¬
dankbare mich zerlumpt und hungernd uͤber die Graͤnze fuͤh¬
ren!“ — Nun erhob auch Gackeleia ihre Stimme und
ſprach: „Ach du herzliebes Prinzchen Kronovus, du biſt
doch der Beſte von Allen, du haſt mir deinen Thaler ge¬
ſchenkt und dein Taſchentuch gereicht, daß ich mich abwi¬
ſchen konnte; du willſt mir dein Taſchengeld alle Sonnabend
am Entenpfuhl bei den Vergißmeinnicht in ein Ei verſtecken;
ach, du biſt doch mein guter Kronovus geblieben und haſt
die arme, ſchmutzige Gackeleia nicht von dir weggeſtoßen.
Ach, es thut mir recht leid, daß ich in der Angſt vergeſſen,
dir meine herrliche Puppe zum Andenken zu ſchenken.“

Kaum hatte Gackeleia das Wort Puppe ausgeſprochen,
als Gockel zornig nach ihr blickte und ſprach: „du unſeliges
Kind! du haſt eine Puppe? welche Puppe? woher haſt du
die Puppe? weißt du nicht mehr das Urtheil bei dem hoch¬
nothpeinlichen Halsgericht wegen der Ermordung Gallina's,
daß du von nun an und nimmermehr keine Puppe haben
darfſt! — ach, ich ahnde die Urſache meines Verderbens!“
Und da er hierauf die kleine Gackeleia ergreifen wollte, lief
ſie vor dem erzuͤrnten Vater nach dem aͤußerſten Rande ei¬
nes Felſens hin, der uͤber einen ſchroffen Abhang hinaus¬
ragte. Frau Hinkel ſchrie: „um Gotteswillen, das Kind
faͤllt ſich zu Tode!“ und hielt Gockel beim Arme zuruͤck.
Gackeleia aber kniete auf dem aͤußerſten Rande des Felſens,
breitete ihre Aermchen gegen den Vater aus und ſprach:

„Vater Gockel ach verzeih',
Mutter Hinkel ſteh' mir bei,
Oder Gackeleia klein
Springt und bricht ſich Hals und Bein!“

Da bat die Frau Hinkel den Gockel ſehr, er ſolle dem
Kind verzeihen, und Gockel ſagte: ſie ſolle nur Alles er¬
zaͤhlen, was ſie angeſtellt, er werde ſie nicht umbringen.

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[129/0171] da wir den Ring verloren und arm geworden, laͤſſeſt du Un¬ dankbare mich zerlumpt und hungernd uͤber die Graͤnze fuͤh¬ ren!“ — Nun erhob auch Gackeleia ihre Stimme und ſprach: „Ach du herzliebes Prinzchen Kronovus, du biſt doch der Beſte von Allen, du haſt mir deinen Thaler ge¬ ſchenkt und dein Taſchentuch gereicht, daß ich mich abwi¬ ſchen konnte; du willſt mir dein Taſchengeld alle Sonnabend am Entenpfuhl bei den Vergißmeinnicht in ein Ei verſtecken; ach, du biſt doch mein guter Kronovus geblieben und haſt die arme, ſchmutzige Gackeleia nicht von dir weggeſtoßen. Ach, es thut mir recht leid, daß ich in der Angſt vergeſſen, dir meine herrliche Puppe zum Andenken zu ſchenken.“ Kaum hatte Gackeleia das Wort Puppe ausgeſprochen, als Gockel zornig nach ihr blickte und ſprach: „du unſeliges Kind! du haſt eine Puppe? welche Puppe? woher haſt du die Puppe? weißt du nicht mehr das Urtheil bei dem hoch¬ nothpeinlichen Halsgericht wegen der Ermordung Gallina's, daß du von nun an und nimmermehr keine Puppe haben darfſt! — ach, ich ahnde die Urſache meines Verderbens!“ Und da er hierauf die kleine Gackeleia ergreifen wollte, lief ſie vor dem erzuͤrnten Vater nach dem aͤußerſten Rande ei¬ nes Felſens hin, der uͤber einen ſchroffen Abhang hinaus¬ ragte. Frau Hinkel ſchrie: „um Gotteswillen, das Kind faͤllt ſich zu Tode!“ und hielt Gockel beim Arme zuruͤck. Gackeleia aber kniete auf dem aͤußerſten Rande des Felſens, breitete ihre Aermchen gegen den Vater aus und ſprach: „Vater Gockel ach verzeih', Mutter Hinkel ſteh' mir bei, Oder Gackeleia klein Springt und bricht ſich Hals und Bein!“ Da bat die Frau Hinkel den Gockel ſehr, er ſolle dem Kind verzeihen, und Gockel ſagte: ſie ſolle nur Alles er¬ zaͤhlen, was ſie angeſtellt, er werde ſie nicht umbringen. 9

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/171>, abgerufen am 30.04.2024.