Sich Bilder deutlich zu formiren, und auch nachher, wenn der Verstand Sie nach der Richtigkeit erwogen, die Seele, was er gut erkannt, Nach ihrem eigentlichen Wesen sodann zu haben nicht verlange, Und, was er schädlich hält, verwerfe? Dieß wird nicht weniger geschehn Jn Dingen, wo man Wahrheit sucht. Da, wie die Phantasie wird meynen, Man, was uns wahr scheint, wird bejahen, und auch das Gegentheil verneinen.
Hieraus wird jedermann nun leicht, und fast unwi- dersprechlich, sehn, Wie viel an dieser Kraft gelegen, da, so, wie wir von allen Sachen,
Uns,
wendigkeit und den Nutzen begriffen hätten. Der Einwurf, der hiegegen gemacht werden könnte, wird etwan dieser seyn: Auf welche Weise wir zu gleicher Zeit Lehrer und Schüler seyn können? M. Hinderte uns das Wort Lehrer und Schüler etwan; könnte man es als eine durch zwey Freunde gehaltene nähere Ueberlegung ansehen, an deren Nutzen wir nicht zu zweifeln haben, da man ja öfters befindet, daß man durch eine Widerlegung selbst in Stand gesetzt wird, noch schärfer zu denken, als man vorhin selbst geglaubet. M. Sollte ein solches innerliches Gespräch zu anfangs nicht von statten gehen wollen; dadurch lasse man sich nicht abschrecken, durch Gewohnheit und Exerciren muß alles gelernet werden.
Vermiſchte Gedichte
Sich Bilder deutlich zu formiren, und auch nachher, wenn der Verſtand Sie nach der Richtigkeit erwogen, die Seele, was er gut erkannt, Nach ihrem eigentlichen Weſen ſodann zu haben nicht verlange, Und, was er ſchaͤdlich haͤlt, verwerfe? Dieß wird nicht weniger geſchehn Jn Dingen, wo man Wahrheit ſucht. Da, wie die Phantaſie wird meynen, Man, was uns wahr ſcheint, wird bejahen, und auch das Gegentheil verneinen.
Hieraus wird jedermann nun leicht, und faſt unwi- derſprechlich, ſehn, Wie viel an dieſer Kraft gelegen, da, ſo, wie wir von allen Sachen,
Uns,
wendigkeit und den Nutzen begriffen haͤtten. Der Einwurf, der hiegegen gemacht werden koͤnnte, wird etwan dieſer ſeyn: Auf welche Weiſe wir zu gleicher Zeit Lehrer und Schuͤler ſeyn koͤnnen? M. Hinderte uns das Wort Lehrer und Schuͤler etwan; koͤnnte man es als eine durch zwey Freunde gehaltene naͤhere Ueberlegung anſehen, an deren Nutzen wir nicht zu zweifeln haben, da man ja oͤfters befindet, daß man durch eine Widerlegung ſelbſt in Stand geſetzt wird, noch ſchaͤrfer zu denken, als man vorhin ſelbſt geglaubet. M. Sollte ein ſolches innerliches Geſpraͤch zu anfangs nicht von ſtatten gehen wollen; dadurch laſſe man ſich nicht abſchrecken, durch Gewohnheit und Exerciren muß alles gelernet werden.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgn="27"><l><pbfacs="#f0498"n="478"/><fwplace="top"type="header">Vermiſchte Gedichte</fw></l><lb/><l>Sich Bilder deutlich zu formiren, und auch nachher,<lb/><hirendition="#et">wenn der Verſtand</hi></l><lb/><l>Sie nach der Richtigkeit erwogen, die Seele, was er<lb/><hirendition="#et">gut erkannt,</hi></l><lb/><l>Nach ihrem eigentlichen Weſen ſodann zu haben nicht<lb/><hirendition="#et">verlange,</hi></l><lb/><l>Und, was er ſchaͤdlich haͤlt, verwerfe? Dieß wird nicht<lb/><hirendition="#et">weniger geſchehn</hi></l><lb/><l>Jn Dingen, wo man Wahrheit ſucht. Da, wie die<lb/><hirendition="#et">Phantaſie wird meynen,</hi></l><lb/><l>Man, was uns wahr ſcheint, wird bejahen, und auch<lb/><hirendition="#et">das Gegentheil verneinen.</hi></l></lg><lb/><lgn="28"><l>Hieraus wird jedermann nun leicht, und faſt unwi-<lb/><hirendition="#et">derſprechlich, ſehn,</hi></l><lb/><l>Wie viel an dieſer Kraft gelegen, da, ſo, wie wir von<lb/><hirendition="#et">allen Sachen,</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Uns,</fw><lb/><notexml:id="f03"prev="#f02"place="foot"n="*">wendigkeit und den Nutzen begriffen haͤtten. Der<lb/>
Einwurf, der hiegegen gemacht werden koͤnnte,<lb/>
wird etwan dieſer ſeyn: Auf welche Weiſe wir<lb/>
zu gleicher Zeit Lehrer und Schuͤler ſeyn koͤnnen?<lb/><hirendition="#aq">M.</hi> Hinderte uns das Wort Lehrer und Schuͤler<lb/>
etwan; koͤnnte man es als eine durch zwey Freunde<lb/>
gehaltene naͤhere Ueberlegung anſehen, an deren<lb/>
Nutzen wir nicht zu zweifeln haben, da man ja<lb/>
oͤfters befindet, daß man durch eine Widerlegung<lb/>ſelbſt in Stand geſetzt wird, noch ſchaͤrfer zu denken,<lb/>
als man vorhin ſelbſt geglaubet.<lb/><hirendition="#aq">M.</hi> Sollte ein ſolches innerliches Geſpraͤch<lb/>
zu anfangs nicht von ſtatten gehen wollen; dadurch<lb/>
laſſe man ſich nicht abſchrecken, durch Gewohnheit<lb/>
und Exerciren muß alles gelernet werden.</note><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
[478/0498]
Vermiſchte Gedichte
Sich Bilder deutlich zu formiren, und auch nachher,
wenn der Verſtand
Sie nach der Richtigkeit erwogen, die Seele, was er
gut erkannt,
Nach ihrem eigentlichen Weſen ſodann zu haben nicht
verlange,
Und, was er ſchaͤdlich haͤlt, verwerfe? Dieß wird nicht
weniger geſchehn
Jn Dingen, wo man Wahrheit ſucht. Da, wie die
Phantaſie wird meynen,
Man, was uns wahr ſcheint, wird bejahen, und auch
das Gegentheil verneinen.
Hieraus wird jedermann nun leicht, und faſt unwi-
derſprechlich, ſehn,
Wie viel an dieſer Kraft gelegen, da, ſo, wie wir von
allen Sachen,
Uns,
*
* wendigkeit und den Nutzen begriffen haͤtten. Der
Einwurf, der hiegegen gemacht werden koͤnnte,
wird etwan dieſer ſeyn: Auf welche Weiſe wir
zu gleicher Zeit Lehrer und Schuͤler ſeyn koͤnnen?
M. Hinderte uns das Wort Lehrer und Schuͤler
etwan; koͤnnte man es als eine durch zwey Freunde
gehaltene naͤhere Ueberlegung anſehen, an deren
Nutzen wir nicht zu zweifeln haben, da man ja
oͤfters befindet, daß man durch eine Widerlegung
ſelbſt in Stand geſetzt wird, noch ſchaͤrfer zu denken,
als man vorhin ſelbſt geglaubet.
M. Sollte ein ſolches innerliches Geſpraͤch
zu anfangs nicht von ſtatten gehen wollen; dadurch
laſſe man ſich nicht abſchrecken, durch Gewohnheit
und Exerciren muß alles gelernet werden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/498>, abgerufen am 17.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.