scheinend die Regierung -- Sie gestatten einem National- ökonomen diesen Ausdruck -- als Wanderberuf ausübten. Wie ganz anders gefestigt steht doch der moderne Staat da, wie unabhängig vom Kommen und Gehen auch des hervorragendsten Fürsten! Es bedarf darüber heute keiner Auseinandersetzung, wo uns das jüngste politische Gemein- wesen Europas, Bulgarien, belehrt, daß es seine staatliche Existenz auch unter den schwierigsten Verhältnissen aufrecht erhalten kann.
Was sodann die Gesellschaft betrifft, so ist schon die Festigkeit des modernen Staates nicht denkbar ohne eine engere Lebensgemeinschaft und vielfache Wechselwirkungen unter sämtlichen Staatsangehörigen. Dazu kommt aber noch, daß die wunderbare Entwicklung des Verkehrs die sozialen Massenzusammenhänge weit über die einzelstaatlichen Grenzen ausgedehnt hat. Sie hat einen Weltmarkt und Weltindustrien geschaffen, eine internationale Arbeitsteilung und internationale Kundschaften; ja die Gleichartigkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse hat selbst unter den Berufs- und Besitzklassen der verschiedenen Länder eine Gemeinsam- keit der Interessen wachgerufen, die uns vor Augen schwebt, wenn wir von einer roten und einer goldenen Internatio- nale sprechen.
Im Mittelalter dagegen bewegt sich das gesellschaft- liche Leben in engbegrenzten Gemeinschaften; die Kirchturms- interessen kleiner örtlicher Gruppen überwiegen; nur wenige soziale Zusammenhänge erreichen die Grenzen des eignen
ſcheinend die Regierung — Sie geſtatten einem National- ökonomen dieſen Ausdruck — als Wanderberuf ausübten. Wie ganz anders gefeſtigt ſteht doch der moderne Staat da, wie unabhängig vom Kommen und Gehen auch des hervorragendſten Fürſten! Es bedarf darüber heute keiner Auseinanderſetzung, wo uns das jüngſte politiſche Gemein- weſen Europas, Bulgarien, belehrt, daß es ſeine ſtaatliche Exiſtenz auch unter den ſchwierigſten Verhältniſſen aufrecht erhalten kann.
Was ſodann die Geſellſchaft betrifft, ſo iſt ſchon die Feſtigkeit des modernen Staates nicht denkbar ohne eine engere Lebensgemeinſchaft und vielfache Wechſelwirkungen unter ſämtlichen Staatsangehörigen. Dazu kommt aber noch, daß die wunderbare Entwicklung des Verkehrs die ſozialen Maſſenzuſammenhänge weit über die einzelſtaatlichen Grenzen ausgedehnt hat. Sie hat einen Weltmarkt und Weltinduſtrien geſchaffen, eine internationale Arbeitsteilung und internationale Kundſchaften; ja die Gleichartigkeit der wirtſchaftlichen Verhältniſſe hat ſelbſt unter den Berufs- und Beſitzklaſſen der verſchiedenen Länder eine Gemeinſam- keit der Intereſſen wachgerufen, die uns vor Augen ſchwebt, wenn wir von einer roten und einer goldenen Internatio- nale ſprechen.
Im Mittelalter dagegen bewegt ſich das geſellſchaft- liche Leben in engbegrenzten Gemeinſchaften; die Kirchturms- intereſſen kleiner örtlicher Gruppen überwiegen; nur wenige ſoziale Zuſammenhänge erreichen die Grenzen des eignen
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ſcheinend die Regierung — Sie geſtatten einem National-
ökonomen dieſen Ausdruck — als Wanderberuf ausübten.
Wie ganz anders gefeſtigt ſteht doch der moderne Staat
da, wie unabhängig vom Kommen und Gehen auch des
hervorragendſten Fürſten! Es bedarf darüber heute keiner
Auseinanderſetzung, wo uns das jüngſte politiſche Gemein-
weſen Europas, Bulgarien, belehrt, daß es ſeine ſtaatliche
Exiſtenz auch unter den ſchwierigſten Verhältniſſen aufrecht
erhalten kann.
Was ſodann die Geſellſchaft betrifft, ſo iſt ſchon die
Feſtigkeit des modernen Staates nicht denkbar ohne eine
engere Lebensgemeinſchaft und vielfache Wechſelwirkungen
unter ſämtlichen Staatsangehörigen. Dazu kommt aber
noch, daß die wunderbare Entwicklung des Verkehrs die
ſozialen Maſſenzuſammenhänge weit über die einzelſtaatlichen
Grenzen ausgedehnt hat. Sie hat einen Weltmarkt und
Weltinduſtrien geſchaffen, eine internationale Arbeitsteilung
und internationale Kundſchaften; ja die Gleichartigkeit der
wirtſchaftlichen Verhältniſſe hat ſelbſt unter den Berufs-
und Beſitzklaſſen der verſchiedenen Länder eine Gemeinſam-
keit der Intereſſen wachgerufen, die uns vor Augen ſchwebt,
wenn wir von einer roten und einer goldenen Internatio-
nale ſprechen.
Im Mittelalter dagegen bewegt ſich das geſellſchaft-
liche Leben in engbegrenzten Gemeinſchaften; die Kirchturms-
intereſſen kleiner örtlicher Gruppen überwiegen; nur wenige
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/234>, abgerufen am 19.05.2024.
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