Die Doktrin sucht immer noch nach solchen Grundsätzen des Völkerrechts, die zu gelten hätten, mangels Vertrag; aber es gelingt ihr nicht, diese Grundsätze fest zu umreißen, nach Voraussetzungen und Wirkungen, weil sie es nicht tun könnte, ohne die Autonomie der Staaten, d. h. ihre Befugnis, über ihr Recht selbst zu bestimmen, also ihre staatliche Eigenschaft im Grundsatze aufzuheben. Manche Schriftsteller sprechen z. B. von einem Grundrecht auf Verkehr und meinen, ein Staat dürfe sich wirtschaftlich, personell und diplomatisch nicht gegen andere abschließen; er müsse fremde Waren, Personen und Diplomaten aufnehmen. Allein sobald man einen solchen Grundsatz anwenden will, erkennt man, daß man auch wissen muß, welche Waren die Freizügigkeit genießen sollen, zu welchen Bedingungen und in welcher Menge jeder Staat sie einlassen muß und welche rechtliche Bedingungen ihnen im Ein- fuhrland in privat- und öffentlich-rechtlicher Beziehung bereitet werden sollen. Was nützt dem Exportstaate das Recht, Waren nach einem anderen Staate ausführen zu dürfen, wenn diese Waren dort mit erdrückenden Konsumsteuern belegt werden oder wenn der Rechtsschutz illusorisch ist? Kann man ihm zumuten, einem solchen Staat die Einfuhr seiner Produkte zu gestatten, ihm, der sie mit keiner Ausnahmesteuer belegt und unter sichern Rechtsschutz stellt? Und ebenso für die Personen. Will man aber mit dem Recht auf Verkehr auch das Recht auf alle diese Dinge verbinden, so stellt man das gesamte innere Recht unter die Kontrolle des internationalen. Man postuliert dann nicht nur ein bestimmtes zwischenstaatliches Recht, sondern auch ein bestimmtes staatliches. Verzichtet man aber auf diese Ein- wirkung und nimmt man das nationale Recht, wie es eben ist, so verzichtet man auch auf eine begründete internationale Ord- nung, die Anspruch auf Richtigkeit erheben kann.
Solche allgemeine Sätze und Grundrechte, wie man sie auch oft nennt, können vielleicht unter bestimmten, bekannten Um-
recht dem gliedstaatlichen (kantonalen Recht) die Richtung weist; aber wenn es positives Recht wäre, müßte es auch durch seine Organe für seine Anwendung und Erzwingbarkeit sorgen (vgl. S. 173 ff.), und dieser Organi- sation stände in allem die oberste Entscheidung zu. Dem Völkerrecht kommt aber keines von beiden zu, und das eine kommt ihm nicht zu, weil das andere ihm nicht zukommt.
III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
Die Doktrin sucht immer noch nach solchen Grundsätzen des Völkerrechts, die zu gelten hätten, mangels Vertrag; aber es gelingt ihr nicht, diese Grundsätze fest zu umreißen, nach Voraussetzungen und Wirkungen, weil sie es nicht tun könnte, ohne die Autonomie der Staaten, d. h. ihre Befugnis, über ihr Recht selbst zu bestimmen, also ihre staatliche Eigenschaft im Grundsatze aufzuheben. Manche Schriftsteller sprechen z. B. von einem Grundrecht auf Verkehr und meinen, ein Staat dürfe sich wirtschaftlich, personell und diplomatisch nicht gegen andere abschließen; er müsse fremde Waren, Personen und Diplomaten aufnehmen. Allein sobald man einen solchen Grundsatz anwenden will, erkennt man, daß man auch wissen muß, welche Waren die Freizügigkeit genießen sollen, zu welchen Bedingungen und in welcher Menge jeder Staat sie einlassen muß und welche rechtliche Bedingungen ihnen im Ein- fuhrland in privat- und öffentlich-rechtlicher Beziehung bereitet werden sollen. Was nützt dem Exportstaate das Recht, Waren nach einem anderen Staate ausführen zu dürfen, wenn diese Waren dort mit erdrückenden Konsumsteuern belegt werden oder wenn der Rechtsschutz illusorisch ist? Kann man ihm zumuten, einem solchen Staat die Einfuhr seiner Produkte zu gestatten, ihm, der sie mit keiner Ausnahmesteuer belegt und unter sichern Rechtsschutz stellt? Und ebenso für die Personen. Will man aber mit dem Recht auf Verkehr auch das Recht auf alle diese Dinge verbinden, so stellt man das gesamte innere Recht unter die Kontrolle des internationalen. Man postuliert dann nicht nur ein bestimmtes zwischenstaatliches Recht, sondern auch ein bestimmtes staatliches. Verzichtet man aber auf diese Ein- wirkung und nimmt man das nationale Recht, wie es eben ist, so verzichtet man auch auf eine begründete internationale Ord- nung, die Anspruch auf Richtigkeit erheben kann.
Solche allgemeine Sätze und Grundrechte, wie man sie auch oft nennt, können vielleicht unter bestimmten, bekannten Um-
recht dem gliedstaatlichen (kantonalen Recht) die Richtung weist; aber wenn es positives Recht wäre, müßte es auch durch seine Organe für seine Anwendung und Erzwingbarkeit sorgen (vgl. S. 173 ff.), und dieser Organi- sation stände in allem die oberste Entscheidung zu. Dem Völkerrecht kommt aber keines von beiden zu, und das eine kommt ihm nicht zu, weil das andere ihm nicht zukommt.
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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
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und Wirkungen, weil sie es nicht tun könnte, ohne die Autonomie
der Staaten, d. h. ihre Befugnis, über ihr Recht selbst zu bestimmen,
also ihre staatliche Eigenschaft im Grundsatze aufzuheben. Manche
Schriftsteller sprechen z. B. von einem Grundrecht auf Verkehr
und meinen, ein Staat dürfe sich wirtschaftlich, personell und
diplomatisch nicht gegen andere abschließen; er müsse fremde
Waren, Personen und Diplomaten aufnehmen. Allein sobald man
einen solchen Grundsatz anwenden will, erkennt man, daß man auch
wissen muß, welche Waren die Freizügigkeit genießen sollen, zu
welchen Bedingungen und in welcher Menge jeder Staat sie
einlassen muß und welche rechtliche Bedingungen ihnen im Ein-
fuhrland in privat- und öffentlich-rechtlicher Beziehung bereitet
werden sollen. Was nützt dem Exportstaate das Recht, Waren
nach einem anderen Staate ausführen zu dürfen, wenn diese
Waren dort mit erdrückenden Konsumsteuern belegt werden oder
wenn der Rechtsschutz illusorisch ist? Kann man ihm zumuten,
einem solchen Staat die Einfuhr seiner Produkte zu gestatten,
ihm, der sie mit keiner Ausnahmesteuer belegt und unter sichern
Rechtsschutz stellt? Und ebenso für die Personen. Will man
aber mit dem Recht auf Verkehr auch das Recht auf alle diese
Dinge verbinden, so stellt man das gesamte innere Recht unter
die Kontrolle des internationalen. Man postuliert dann nicht
nur ein bestimmtes zwischenstaatliches Recht, sondern auch
ein bestimmtes staatliches. Verzichtet man aber auf diese Ein-
wirkung und nimmt man das nationale Recht, wie es eben ist, so
verzichtet man auch auf eine begründete internationale Ord-
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Solche allgemeine Sätze und Grundrechte, wie man sie auch
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1 recht dem gliedstaatlichen (kantonalen Recht) die Richtung weist; aber
wenn es positives Recht wäre, müßte es auch durch seine Organe für seine
Anwendung und Erzwingbarkeit sorgen (vgl. S. 173 ff.), und dieser Organi-
sation stände in allem die oberste Entscheidung zu. Dem Völkerrecht
kommt aber keines von beiden zu, und das eine kommt ihm nicht zu, weil
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/421>, abgerufen am 18.06.2024.
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