ihrer nicht; suche sie nicht in die volle Brust zu- rükzudrängen: sondern laß ihr freien Lauf, und wisse, daß sie deinem moralischen Werthe und also auch deiner wahren Glükseeligkeit sein wird, was der balsamische Morgenthau nach einer schwülen Sommernacht den lechzenden Saaten ist.
Glaube mir, mein Sohn, in wessen Herz Natur- und Menschengefühl erstorben ist, der kan auch an Gott keine Freude haben. Denn unser Herz bedarf eben so, wie unser Verstand, der Stufenleiter seiner Werke um zu ihm zu ge- langen; dieser um ihn zu erkennen, jenes um ihn zu lieben, und durch die lebendige Empfindung seiner Gegenliebe beseeliget zu werden. Sind wir also so unglüklich gewesen, den innern Sin für schöne Natur und für Menschengenuß zu verlieren, so mögen wir übrigens noch so große Weltweisen sein, -- wahre Gottesverehrer sind wir nicht, können es nicht sein, weil so wohl un- sere Erkentniß von ihm, als auch unsere Liebe zu ihm, in diesem Fal blos simbolisch bleiben, niemahls anschauend, niemahls lebendig wer- den können.
Das
ihrer nicht; ſuche ſie nicht in die volle Bruſt zu- ruͤkzudraͤngen: ſondern laß ihr freien Lauf, und wiſſe, daß ſie deinem moraliſchen Werthe und alſo auch deiner wahren Gluͤkſeeligkeit ſein wird, was der balſamiſche Morgenthau nach einer ſchwuͤlen Sommernacht den lechzenden Saaten iſt.
Glaube mir, mein Sohn, in weſſen Herz Natur- und Menſchengefuͤhl erſtorben iſt, der kan auch an Gott keine Freude haben. Denn unſer Herz bedarf eben ſo, wie unſer Verſtand, der Stufenleiter ſeiner Werke um zu ihm zu ge- langen; dieſer um ihn zu erkennen, jenes um ihn zu lieben, und durch die lebendige Empfindung ſeiner Gegenliebe beſeeliget zu werden. Sind wir alſo ſo ungluͤklich geweſen, den innern Sin fuͤr ſchoͤne Natur und fuͤr Menſchengenuß zu verlieren, ſo moͤgen wir uͤbrigens noch ſo große Weltweiſen ſein, — wahre Gottesverehrer ſind wir nicht, koͤnnen es nicht ſein, weil ſo wohl un- ſere Erkentniß von ihm, als auch unſere Liebe zu ihm, in dieſem Fal blos ſimboliſch bleiben, niemahls anſchauend, niemahls lebendig wer- den koͤnnen.
Das
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ihrer nicht; ſuche ſie nicht in die volle Bruſt zu-
ruͤkzudraͤngen: ſondern laß ihr freien Lauf, und
wiſſe, daß ſie deinem moraliſchen Werthe und alſo
auch deiner wahren Gluͤkſeeligkeit ſein wird, was
der balſamiſche Morgenthau nach einer ſchwuͤlen
Sommernacht den lechzenden Saaten iſt.
Glaube mir, mein Sohn, in weſſen Herz
Natur- und Menſchengefuͤhl erſtorben iſt, der
kan auch an Gott keine Freude haben. Denn
unſer Herz bedarf eben ſo, wie unſer Verſtand,
der Stufenleiter ſeiner Werke um zu ihm zu ge-
langen; dieſer um ihn zu erkennen, jenes um ihn
zu lieben, und durch die lebendige Empfindung
ſeiner Gegenliebe beſeeliget zu werden. Sind
wir alſo ſo ungluͤklich geweſen, den innern Sin
fuͤr ſchoͤne Natur und fuͤr Menſchengenuß zu
verlieren, ſo moͤgen wir uͤbrigens noch ſo große
Weltweiſen ſein, — wahre Gottesverehrer ſind
wir nicht, koͤnnen es nicht ſein, weil ſo wohl un-
ſere Erkentniß von ihm, als auch unſere Liebe
zu ihm, in dieſem Fal blos ſimboliſch bleiben,
niemahls anſchauend, niemahls lebendig wer-
den koͤnnen.
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/108>, abgerufen am 17.06.2024.
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