fahren, dir meinen besten Rath hierüber zu er- theilen.
Beim Anfang einer neuen Bekantschaft an einem fremden Orte, dessen Verfassung, Menschen, Sitten und herschende Vorurtheile dir also noch nicht bekant sein können, sei zurük- haltend und beobachtend, doch ohne beides merken zu lassen. Urtheile selbst so wenig als möglich, aber suche das Gespräch so zu leiten, daß diejenigen, welche du kennen zu lernen wün- schest, ihr eigenes Urtheil über viele Dinge äus- sern mögen. Dadurch wirst du in kurzer Zeit ihre Denkungsart, ihre Grundsäze und den Grad ihrer Aufklärung erfahren. Kanst du in einer solchen Geselschaft dir selbst Gelegenheit zu kur- zen, (merke wohl!) zu kurzen ergözenden Erzäh- lungen verschaffen, und gelingt es dir, so zu erzählen, daß die Geselschaft wirklich dadurch ergözt wird, so hast du sicher einen günstigen Eindruk gemacht, und dir den Weg zum Wohl- wollen und zur Freundschaft nicht allein dieser, sondern auch zugleich vieler andern Menschen ge- bahnt. Denn nun wird das Urtheil: "du
seist
fahren, dir meinen beſten Rath hieruͤber zu er- theilen.
Beim Anfang einer neuen Bekantſchaft an einem fremden Orte, deſſen Verfaſſung, Menſchen, Sitten und herſchende Vorurtheile dir alſo noch nicht bekant ſein koͤnnen, ſei zuruͤk- haltend und beobachtend, doch ohne beides merken zu laſſen. Urtheile ſelbſt ſo wenig als moͤglich, aber ſuche das Geſpraͤch ſo zu leiten, daß diejenigen, welche du kennen zu lernen wuͤn- ſcheſt, ihr eigenes Urtheil uͤber viele Dinge aͤuſ- ſern moͤgen. Dadurch wirſt du in kurzer Zeit ihre Denkungsart, ihre Grundſaͤze und den Grad ihrer Aufklaͤrung erfahren. Kanſt du in einer ſolchen Geſelſchaft dir ſelbſt Gelegenheit zu kur- zen, (merke wohl!) zu kurzen ergoͤzenden Erzaͤh- lungen verſchaffen, und gelingt es dir, ſo zu erzaͤhlen, daß die Geſelſchaft wirklich dadurch ergoͤzt wird, ſo haſt du ſicher einen guͤnſtigen Eindruk gemacht, und dir den Weg zum Wohl- wollen und zur Freundſchaft nicht allein dieſer, ſondern auch zugleich vieler andern Menſchen ge- bahnt. Denn nun wird das Urtheil: “du
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fahren, dir meinen beſten Rath hieruͤber zu er-
theilen.
Beim Anfang einer neuen Bekantſchaft
an einem fremden Orte, deſſen Verfaſſung,
Menſchen, Sitten und herſchende Vorurtheile
dir alſo noch nicht bekant ſein koͤnnen, ſei zuruͤk-
haltend und beobachtend, doch ohne beides
merken zu laſſen. Urtheile ſelbſt ſo wenig als
moͤglich, aber ſuche das Geſpraͤch ſo zu leiten,
daß diejenigen, welche du kennen zu lernen wuͤn-
ſcheſt, ihr eigenes Urtheil uͤber viele Dinge aͤuſ-
ſern moͤgen. Dadurch wirſt du in kurzer Zeit
ihre Denkungsart, ihre Grundſaͤze und den Grad
ihrer Aufklaͤrung erfahren. Kanſt du in einer
ſolchen Geſelſchaft dir ſelbſt Gelegenheit zu kur-
zen, (merke wohl!) zu kurzen ergoͤzenden Erzaͤh-
lungen verſchaffen, und gelingt es dir, ſo zu
erzaͤhlen, daß die Geſelſchaft wirklich dadurch
ergoͤzt wird, ſo haſt du ſicher einen guͤnſtigen
Eindruk gemacht, und dir den Weg zum Wohl-
wollen und zur Freundſchaft nicht allein dieſer,
ſondern auch zugleich vieler andern Menſchen ge-
bahnt. Denn nun wird das Urtheil: “du
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/198>, abgerufen am 18.06.2024.
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