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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Das dreizehnte Jahrhundert.
daß bereits Innocenz III auf der Lateransynode (also der vierten, 1215)
den Genuß dieser Vögel in der Fastenzeit verboten habe. Nach allen
diesen Zeugnissen scheint die Fabel vom dreizehnten Jahrhundert an
auf den Nordwesten Europa's localisirt gewesen zu sein, was auch aus
den Einwürfen hervorgeht, welche Albert der Große erhebt, der die
Vögel bei der Begattung und dem Brüten der Eier selbst gesehen zu
haben berichtet, und wie auch ferner eine spätere Bemerkung bestätigt,
mit welcher der Holländer Gerard de Vera die Geschichte zurückweist.
Er sagt, es sei kein Wunder, daß bis jetzt (1597) noch Niemand die Vö-
gel Eier legen gesehen habe, da noch Niemand bis zum achtzigsten Grade
nördlich (Grönland) vorgedrungen sei166). Diese Zurückweisung spricht
mit den andern späteren Berichten dafür, wie wenig die Widerlegungen
der Sage durch Albert den Großen und Roger Bacon ver-
breitet waren oder geglaubt wurden.

Es ist nicht nöthig, die Verbreitung des Baumvogels durch die
Litteratur noch weiter zu verfolgen; er findet sich bei Aeneas Sylvius,
Olaus Magnus, in dem Ortus sanitatis, bei Mizaldus (in den Me-
morabilien, Centurie 8, Nr. 18), bei Hector Boethius, Abraham Orte-
lius
u. s. w.167). Von Interesse ist es aber, nachzuweisen, daß die Fabel
schon früher bestanden hat. Schon J. G. Schneider machte in der
Ausgabe des Werkes Friedrich's II über die Falkenjagd bei Erwähnung
der naturhistorischen Notizen in Gervasius Tilboriensis (Bd. 2. S. 86)
auf eine Stelle des Peter Damiani aufmerksam 168). Dieser einfluß-

166) Gerardus de Vera, Diarium nauticum, seu vera descriptio
trium navigationum admirandarum ad Septentrionem. Amstelod. 1598. fol.
15.
(dritte Reise). Er nennt die Vögel barniclae oder Rotgansen.
167) In Bezug auf die Verbreitung der Fabel durch die Werke des sechzehnten
und siebenzehnten Jahrhunderts s. G. Funck (resp. G. Schmidt), de avis
britannicae vulgo anseris arborei ortu et generatione. Regiomonti. 1689.

und J. E. Hering (resp. Joh. Junghans) de ortu avis britannicae. Wite-
bergae, 1665.
Schneider führt in den "Litterarischen Beiträgen zur Naturge-
schichte aus den Alten" S. 36 an, Guettard sage, daß Alexander ab Alexandro
zu dem Märchen Veranlassung gegeben habe, wovon die Muschel den Namen habe.
Doch kann dieser Schriftsteller als viel zu spät gar nicht in Betracht kommen.
168) Das Citat Schneider's weist auf eine mir unbekannte Ausgabe. Ich
fand die Stelle in den Opera P. Damiani ed. Constantinus Cajetanus. Bassani,
V. Carus, Gesch. d. Zool. 13

Das dreizehnte Jahrhundert.
daß bereits Innocenz III auf der Lateranſynode (alſo der vierten, 1215)
den Genuß dieſer Vögel in der Faſtenzeit verboten habe. Nach allen
dieſen Zeugniſſen ſcheint die Fabel vom dreizehnten Jahrhundert an
auf den Nordweſten Europa's localiſirt geweſen zu ſein, was auch aus
den Einwürfen hervorgeht, welche Albert der Große erhebt, der die
Vögel bei der Begattung und dem Brüten der Eier ſelbſt geſehen zu
haben berichtet, und wie auch ferner eine ſpätere Bemerkung beſtätigt,
mit welcher der Holländer Gerard de Vera die Geſchichte zurückweiſt.
Er ſagt, es ſei kein Wunder, daß bis jetzt (1597) noch Niemand die Vö-
gel Eier legen geſehen habe, da noch Niemand bis zum achtzigſten Grade
nördlich (Grönland) vorgedrungen ſei166). Dieſe Zurückweiſung ſpricht
mit den andern ſpäteren Berichten dafür, wie wenig die Widerlegungen
der Sage durch Albert den Großen und Roger Bacon ver-
breitet waren oder geglaubt wurden.

Es iſt nicht nöthig, die Verbreitung des Baumvogels durch die
Litteratur noch weiter zu verfolgen; er findet ſich bei Aeneas Sylvius,
Olaus Magnus, in dem Ortus ſanitatis, bei Mizaldus (in den Me-
morabilien, Centurie 8, Nr. 18), bei Hector Boethius, Abraham Orte-
lius
u. ſ. w.167). Von Intereſſe iſt es aber, nachzuweiſen, daß die Fabel
ſchon früher beſtanden hat. Schon J. G. Schneider machte in der
Ausgabe des Werkes Friedrich's II über die Falkenjagd bei Erwähnung
der naturhiſtoriſchen Notizen in Gervaſius Tilborienſis (Bd. 2. S. 86)
auf eine Stelle des Peter Damiani aufmerkſam 168). Dieſer einfluß-

166) Gerardus de Vera, Diarium nauticum, seu vera descriptio
trium navigationum admirandarum ad Septentrionem. Amstelod. 1598. fol.
15.
(dritte Reiſe). Er nennt die Vögel barniclae oder Rotganſen.
167) In Bezug auf die Verbreitung der Fabel durch die Werke des ſechzehnten
und ſiebenzehnten Jahrhunderts ſ. G. Funck (resp. G. Schmidt), de avis
britannicae vulgo anseris arborei ortu et generatione. Regiomonti. 1689.

und J. E. Hering (resp. Joh. Junghans) de ortu avis britannicae. Wite-
bergae, 1665.
Schneider führt in den „Litterariſchen Beiträgen zur Naturge-
ſchichte aus den Alten“ S. 36 an, Guettard ſage, daß Alexander ab Alexandro
zu dem Märchen Veranlaſſung gegeben habe, wovon die Muſchel den Namen habe.
Doch kann dieſer Schriftſteller als viel zu ſpät gar nicht in Betracht kommen.
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[193/0204] Das dreizehnte Jahrhundert. daß bereits Innocenz III auf der Lateranſynode (alſo der vierten, 1215) den Genuß dieſer Vögel in der Faſtenzeit verboten habe. Nach allen dieſen Zeugniſſen ſcheint die Fabel vom dreizehnten Jahrhundert an auf den Nordweſten Europa's localiſirt geweſen zu ſein, was auch aus den Einwürfen hervorgeht, welche Albert der Große erhebt, der die Vögel bei der Begattung und dem Brüten der Eier ſelbſt geſehen zu haben berichtet, und wie auch ferner eine ſpätere Bemerkung beſtätigt, mit welcher der Holländer Gerard de Vera die Geſchichte zurückweiſt. Er ſagt, es ſei kein Wunder, daß bis jetzt (1597) noch Niemand die Vö- gel Eier legen geſehen habe, da noch Niemand bis zum achtzigſten Grade nördlich (Grönland) vorgedrungen ſei 166). Dieſe Zurückweiſung ſpricht mit den andern ſpäteren Berichten dafür, wie wenig die Widerlegungen der Sage durch Albert den Großen und Roger Bacon ver- breitet waren oder geglaubt wurden. Es iſt nicht nöthig, die Verbreitung des Baumvogels durch die Litteratur noch weiter zu verfolgen; er findet ſich bei Aeneas Sylvius, Olaus Magnus, in dem Ortus ſanitatis, bei Mizaldus (in den Me- morabilien, Centurie 8, Nr. 18), bei Hector Boethius, Abraham Orte- lius u. ſ. w. 167). Von Intereſſe iſt es aber, nachzuweiſen, daß die Fabel ſchon früher beſtanden hat. Schon J. G. Schneider machte in der Ausgabe des Werkes Friedrich's II über die Falkenjagd bei Erwähnung der naturhiſtoriſchen Notizen in Gervaſius Tilborienſis (Bd. 2. S. 86) auf eine Stelle des Peter Damiani aufmerkſam 168). Dieſer einfluß- 166) Gerardus de Vera, Diarium nauticum, seu vera descriptio trium navigationum admirandarum ad Septentrionem. Amstelod. 1598. fol. 15. (dritte Reiſe). Er nennt die Vögel barniclae oder Rotganſen. 167) In Bezug auf die Verbreitung der Fabel durch die Werke des ſechzehnten und ſiebenzehnten Jahrhunderts ſ. G. Funck (resp. G. Schmidt), de avis britannicae vulgo anseris arborei ortu et generatione. Regiomonti. 1689. und J. E. Hering (resp. Joh. Junghans) de ortu avis britannicae. Wite- bergae, 1665. Schneider führt in den „Litterariſchen Beiträgen zur Naturge- ſchichte aus den Alten“ S. 36 an, Guettard ſage, daß Alexander ab Alexandro zu dem Märchen Veranlaſſung gegeben habe, wovon die Muſchel den Namen habe. Doch kann dieſer Schriftſteller als viel zu ſpät gar nicht in Betracht kommen. 168) Das Citat Schneider's weiſt auf eine mir unbekannte Ausgabe. Ich fand die Stelle in den Opera P. Damiani ed. Constantinus Cajetanus. Bassani, V. Carus, Geſch. d. Zool. 13

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/204>, abgerufen am 01.11.2024.