Wenn nun aber auch zugegeben werden muß, daß diese Zurück- führung der ihm gewährten directen oder indirecten Begünstigungen auf ein den damaligen Verhältnissen entsprechendes Maß nur auf, allerdings nicht geringer Wahrscheinlichkeit beruht, so geben doch die auf die Jetztzeit noch gekommenen Bruchstücke seiner zoologisch-schrift- stellerischen Thätigkeit86) hinreichende Belege dafür, daß er kaum ein Thier selbst gesehen oder zergliedert habe, was nicht dem griechisch- ionischen Faunengebiet angehörte oder in dieses schon vor seiner Zeit eingeführt worden war87). Zu letzteren gehören beispielsweise unter den Vögeln Perlhuhn, Fasan und Pfau; dagegen hat er den Strauß kaum selbst untersucht, und so fort in andern Classen.
Fragt man nun nach den Quellen, aus denen Aristoteles geschöpft hat, so ist zunächst seine außerordentliche Belesenheit, welche aus den in dem Früheren angeführten Citaten schon sichtbar wird, zu erwähnen. Bei der Wiedergabe von Erzählungen und Meinungen Anderer ver- fuhr er mit Kritik, was kaum einem seiner antiken Nachfolger nachge- rühmt werden kann. Freilich konnte er eben nur den Maßstab anlegen, den ihm neben seinem ganzen philosophischen Standpunkte seine Zeit ermöglichte. Es tritt aber seine Skepsis um so anerkennenswerther hervor, als Spätere trotz der ihnen möglichen eigenen Erfahrung die Kritik ganz vernachlässigten. Dieselbe Vorsicht zeigte Aristoteles ferner den vielfachen mündlichen, und wohl auch brieflichen, Mittheilungen gegenüber, welche jedenfalls die Hauptquelle seiner zoologischen und zootomischen Kenntnisse ausmachten. Seine eigenen Untersuchungen,
86) Von den fünfzig Büchern, welche Plinius, oder den siebzig, welche Anti- gonus Carystius anführt, sind nur wenige erhalten, und manches davon sicher nicht mehr in der ursprünglichen Form.
87)A. von Humboldt hat entschieden Recht, daß in den Schriften des Ari- stoteles nichts vorkomme, was auf Selbstbeobachtung oder gar Zergliederung des Elefanten zu schließen nöthigte (Kosmos, 2. Bd. S. 428), wenngleich freilich andrerseits auch die Unmöglichkeit solcher nicht zu beweisen ist. Die Angaben über das Schlafen des Elefanten, die schwankenden Angaben über die Zeit der Ge- schlechtsreife desselben machen indeß Humboldt's Ansicht eher wahrscheinlich. Für den Strauß gilt dasselbe; die drei Stellen, wo Aristoteles denselben erwähnt (de partibus, IV, 14. 697b, de gener. anim. III, 1. 5., hist. anim. IX, 15. 88) lassen nicht mit Gewißheit auf eigne Anschauung schließen.
Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Wenn nun aber auch zugegeben werden muß, daß dieſe Zurück- führung der ihm gewährten directen oder indirecten Begünſtigungen auf ein den damaligen Verhältniſſen entſprechendes Maß nur auf, allerdings nicht geringer Wahrſcheinlichkeit beruht, ſo geben doch die auf die Jetztzeit noch gekommenen Bruchſtücke ſeiner zoologiſch-ſchrift- ſtelleriſchen Thätigkeit86) hinreichende Belege dafür, daß er kaum ein Thier ſelbſt geſehen oder zergliedert habe, was nicht dem griechiſch- ioniſchen Faunengebiet angehörte oder in dieſes ſchon vor ſeiner Zeit eingeführt worden war87). Zu letzteren gehören beiſpielsweiſe unter den Vögeln Perlhuhn, Faſan und Pfau; dagegen hat er den Strauß kaum ſelbſt unterſucht, und ſo fort in andern Claſſen.
Fragt man nun nach den Quellen, aus denen Ariſtoteles geſchöpft hat, ſo iſt zunächſt ſeine außerordentliche Beleſenheit, welche aus den in dem Früheren angeführten Citaten ſchon ſichtbar wird, zu erwähnen. Bei der Wiedergabe von Erzählungen und Meinungen Anderer ver- fuhr er mit Kritik, was kaum einem ſeiner antiken Nachfolger nachge- rühmt werden kann. Freilich konnte er eben nur den Maßſtab anlegen, den ihm neben ſeinem ganzen philoſophiſchen Standpunkte ſeine Zeit ermöglichte. Es tritt aber ſeine Skepſis um ſo anerkennenswerther hervor, als Spätere trotz der ihnen möglichen eigenen Erfahrung die Kritik ganz vernachläſſigten. Dieſelbe Vorſicht zeigte Ariſtoteles ferner den vielfachen mündlichen, und wohl auch brieflichen, Mittheilungen gegenüber, welche jedenfalls die Hauptquelle ſeiner zoologiſchen und zootomiſchen Kenntniſſe ausmachten. Seine eigenen Unterſuchungen,
86) Von den fünfzig Büchern, welche Plinius, oder den ſiebzig, welche Anti- gonus Caryſtius anführt, ſind nur wenige erhalten, und manches davon ſicher nicht mehr in der urſprünglichen Form.
87)A. von Humboldt hat entſchieden Recht, daß in den Schriften des Ari- ſtoteles nichts vorkomme, was auf Selbſtbeobachtung oder gar Zergliederung des Elefanten zu ſchließen nöthigte (Kosmos, 2. Bd. S. 428), wenngleich freilich andrerſeits auch die Unmöglichkeit ſolcher nicht zu beweiſen iſt. Die Angaben über das Schlafen des Elefanten, die ſchwankenden Angaben über die Zeit der Ge- ſchlechtsreife deſſelben machen indeß Humboldt's Anſicht eher wahrſcheinlich. Für den Strauß gilt daſſelbe; die drei Stellen, wo Ariſtoteles denſelben erwähnt (de partibus, IV, 14. 697b, de gener. anim. III, 1. 5., hist. anim. IX, 15. 88) laſſen nicht mit Gewißheit auf eigne Anſchauung ſchließen.
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Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
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auf ein den damaligen Verhältniſſen entſprechendes Maß nur auf,
allerdings nicht geringer Wahrſcheinlichkeit beruht, ſo geben doch die
auf die Jetztzeit noch gekommenen Bruchſtücke ſeiner zoologiſch-ſchrift-
ſtelleriſchen Thätigkeit 86) hinreichende Belege dafür, daß er kaum ein
Thier ſelbſt geſehen oder zergliedert habe, was nicht dem griechiſch-
ioniſchen Faunengebiet angehörte oder in dieſes ſchon vor ſeiner Zeit
eingeführt worden war 87). Zu letzteren gehören beiſpielsweiſe unter
den Vögeln Perlhuhn, Faſan und Pfau; dagegen hat er den Strauß
kaum ſelbſt unterſucht, und ſo fort in andern Claſſen.
Fragt man nun nach den Quellen, aus denen Ariſtoteles geſchöpft
hat, ſo iſt zunächſt ſeine außerordentliche Beleſenheit, welche aus den
in dem Früheren angeführten Citaten ſchon ſichtbar wird, zu erwähnen.
Bei der Wiedergabe von Erzählungen und Meinungen Anderer ver-
fuhr er mit Kritik, was kaum einem ſeiner antiken Nachfolger nachge-
rühmt werden kann. Freilich konnte er eben nur den Maßſtab anlegen,
den ihm neben ſeinem ganzen philoſophiſchen Standpunkte ſeine Zeit
ermöglichte. Es tritt aber ſeine Skepſis um ſo anerkennenswerther
hervor, als Spätere trotz der ihnen möglichen eigenen Erfahrung die
Kritik ganz vernachläſſigten. Dieſelbe Vorſicht zeigte Ariſtoteles ferner
den vielfachen mündlichen, und wohl auch brieflichen, Mittheilungen
gegenüber, welche jedenfalls die Hauptquelle ſeiner zoologiſchen und
zootomiſchen Kenntniſſe ausmachten. Seine eigenen Unterſuchungen,
86) Von den fünfzig Büchern, welche Plinius, oder den ſiebzig, welche Anti-
gonus Caryſtius anführt, ſind nur wenige erhalten, und manches davon ſicher nicht
mehr in der urſprünglichen Form.
87) A. von Humboldt hat entſchieden Recht, daß in den Schriften des Ari-
ſtoteles nichts vorkomme, was auf Selbſtbeobachtung oder gar Zergliederung des
Elefanten zu ſchließen nöthigte (Kosmos, 2. Bd. S. 428), wenngleich freilich
andrerſeits auch die Unmöglichkeit ſolcher nicht zu beweiſen iſt. Die Angaben über
das Schlafen des Elefanten, die ſchwankenden Angaben über die Zeit der Ge-
ſchlechtsreife deſſelben machen indeß Humboldt's Anſicht eher wahrſcheinlich. Für
den Strauß gilt daſſelbe; die drei Stellen, wo Ariſtoteles denſelben erwähnt (de
partibus, IV, 14. 697b, de gener. anim. III, 1. 5., hist. anim. IX, 15. 88)
laſſen nicht mit Gewißheit auf eigne Anſchauung ſchließen.
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/79>, abgerufen am 15.06.2024.
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