Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Römisches Recht. ausstreuten (denn alle Bildung war in Rom von jeher griechisch), keineinziges Samenkorn ging auf. 500 Jahre vor Christo sandten schon die Römer nach Athen, um genaue Nachricht über griechisches Recht zu erhalten; ihre Gesandten trafen den Aischylos in der Fülle seiner Kraft, Sophokles schon schöpferisch thätig an; welche künstlerische Blüte hätte bei solcher Lebensenergie in Rom nach dieser Berührung aufgehen müssen, wenn nur die geringste Beanlagung vorhanden ge- wesen wäre. Das war aber nicht der Fall. Wie Mommsen sagt: "die Entwickelung der musischen Künste in Latium war mehr ein Ein- trocknen als ein Aufblühen". Die Lateiner hatten vor dem Verfall überhaupt kein Wort für Dichter, der Begriff war ihnen fremd! -- Wenn ihre Dichter nun ohne Ausnahme ungenial waren, worin be- stand die Bedeutung derjenigen unter ihnen, die, wie Horaz und Juvenal, stets die Bewunderung der Sprachkünstler erregt haben? Offenbar, wie alles, was aus Rom stammt, in der Technik. Die Römer waren grossartige Baumeister -- von Kloaken und Aquädukten,1) grossartige Maler -- von Zimmerdekorationen, grossartige Fabrikanten -- kunstgewerblicher Gegenstände; in ihren Circussen kämpften bezahlte Techniker des Fechtens und fuhren berufsmässige Wagenlenker. Der Römer konnte Virtuos werden, nicht Künstler; jede Virtuosität inter- essierte ihn, keine Kunst. Die Gedichte des Horaz sind technische Meisterstücke. Abgesehen vom historisch-pittoresken Interesse als Schilderungen eines entschwundenen Lebens, fesselt uns bei diesen Dichtungen lediglich die Virtuosität. Die "Lebensweisheit", wirft man mir ein? Ja, wenn eine so alltägliche, nüchterne Weisheit nur nicht überall besser am Platze wäre, als im Zauberreich der Kunst, deren weit offene Kindesaugen aus jedem hellenischen Dichtwerk eine so ganz andere Weisheit künden als die, welche dem Horaz und seinen Freunden zwischen Käse und Obst einfällt. Eine der echtesten Dichternaturen, die je gelebt, Byron, sagt von Horaz:
1) Doch auch hier nicht Erfinder; siehe Hueppe's Untersuchungen über die Wassertechnik der alten Griechen: Rassenhygiene der Griechen, S. 37. 2) Ein Fluch ist es, deinen lyrischen Erguss mit dem Verstand allein, nicht
mit dem Gefühl aufzufassen, deine Verse zwar begreifen, doch niemals lieben zu können. Römisches Recht. ausstreuten (denn alle Bildung war in Rom von jeher griechisch), keineinziges Samenkorn ging auf. 500 Jahre vor Christo sandten schon die Römer nach Athen, um genaue Nachricht über griechisches Recht zu erhalten; ihre Gesandten trafen den Aischylos in der Fülle seiner Kraft, Sophokles schon schöpferisch thätig an; welche künstlerische Blüte hätte bei solcher Lebensenergie in Rom nach dieser Berührung aufgehen müssen, wenn nur die geringste Beanlagung vorhanden ge- wesen wäre. Das war aber nicht der Fall. Wie Mommsen sagt: »die Entwickelung der musischen Künste in Latium war mehr ein Ein- trocknen als ein Aufblühen«. Die Lateiner hatten vor dem Verfall überhaupt kein Wort für Dichter, der Begriff war ihnen fremd! — Wenn ihre Dichter nun ohne Ausnahme ungenial waren, worin be- stand die Bedeutung derjenigen unter ihnen, die, wie Horaz und Juvenal, stets die Bewunderung der Sprachkünstler erregt haben? Offenbar, wie alles, was aus Rom stammt, in der Technik. Die Römer waren grossartige Baumeister — von Kloaken und Aquädukten,1) grossartige Maler — von Zimmerdekorationen, grossartige Fabrikanten — kunstgewerblicher Gegenstände; in ihren Circussen kämpften bezahlte Techniker des Fechtens und fuhren berufsmässige Wagenlenker. Der Römer konnte Virtuos werden, nicht Künstler; jede Virtuosität inter- essierte ihn, keine Kunst. Die Gedichte des Horaz sind technische Meisterstücke. Abgesehen vom historisch-pittoresken Interesse als Schilderungen eines entschwundenen Lebens, fesselt uns bei diesen Dichtungen lediglich die Virtuosität. Die »Lebensweisheit«, wirft man mir ein? Ja, wenn eine so alltägliche, nüchterne Weisheit nur nicht überall besser am Platze wäre, als im Zauberreich der Kunst, deren weit offene Kindesaugen aus jedem hellenischen Dichtwerk eine so ganz andere Weisheit künden als die, welche dem Horaz und seinen Freunden zwischen Käse und Obst einfällt. Eine der echtesten Dichternaturen, die je gelebt, Byron, sagt von Horaz:
1) Doch auch hier nicht Erfinder; siehe Hueppe’s Untersuchungen über die Wassertechnik der alten Griechen: Rassenhygiene der Griechen, S. 37. 2) Ein Fluch ist es, deinen lyrischen Erguss mit dem Verstand allein, nicht
mit dem Gefühl aufzufassen, deine Verse zwar begreifen, doch niemals lieben zu können. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0206" n="183"/><fw place="top" type="header">Römisches Recht.</fw><lb/> ausstreuten (denn alle Bildung war in Rom von jeher griechisch), kein<lb/> einziges Samenkorn ging auf. 500 Jahre vor Christo sandten schon<lb/> die Römer nach Athen, um genaue Nachricht über griechisches Recht<lb/> zu erhalten; ihre Gesandten trafen den Aischylos in der Fülle seiner<lb/> Kraft, Sophokles schon schöpferisch thätig an; welche künstlerische<lb/> Blüte hätte bei solcher Lebensenergie in Rom nach dieser Berührung<lb/> aufgehen müssen, wenn nur die geringste Beanlagung vorhanden ge-<lb/> wesen wäre. Das war aber nicht der Fall. Wie Mommsen sagt: »die<lb/> Entwickelung der musischen Künste in Latium war mehr ein Ein-<lb/> trocknen als ein Aufblühen«. Die Lateiner hatten vor dem Verfall<lb/> überhaupt kein Wort für Dichter, der Begriff war ihnen fremd! —<lb/> Wenn ihre Dichter nun ohne Ausnahme ungenial waren, worin be-<lb/> stand die Bedeutung derjenigen unter ihnen, die, wie <hi rendition="#g">Horaz</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Juvenal,</hi> stets die Bewunderung der Sprachkünstler erregt haben?<lb/> Offenbar, wie alles, was aus Rom stammt, in der <hi rendition="#g">Technik.</hi> Die<lb/> Römer waren grossartige Baumeister — von Kloaken und Aquädukten,<note place="foot" n="1)">Doch auch hier nicht Erfinder; siehe Hueppe’s Untersuchungen über die<lb/> Wassertechnik der alten Griechen: <hi rendition="#i">Rassenhygiene der Griechen,</hi> S. 37.</note><lb/> grossartige Maler — von Zimmerdekorationen, grossartige Fabrikanten —<lb/> kunstgewerblicher Gegenstände; in ihren Circussen kämpften bezahlte<lb/> Techniker des Fechtens und fuhren berufsmässige Wagenlenker. Der<lb/> Römer konnte Virtuos werden, nicht Künstler; jede Virtuosität inter-<lb/> essierte ihn, keine Kunst. Die Gedichte des Horaz sind technische<lb/> Meisterstücke. Abgesehen vom historisch-pittoresken Interesse als<lb/> Schilderungen eines entschwundenen Lebens, fesselt uns bei diesen<lb/> Dichtungen lediglich die Virtuosität. Die »Lebensweisheit«, wirft man<lb/> mir ein? Ja, wenn eine so alltägliche, nüchterne Weisheit nur nicht<lb/> überall besser am Platze wäre, als im Zauberreich der Kunst, deren<lb/> weit offene Kindesaugen aus jedem hellenischen Dichtwerk eine so<lb/> ganz andere Weisheit künden als die, welche dem Horaz und seinen<lb/> Freunden zwischen Käse und Obst einfällt. Eine der echtesten<lb/> Dichternaturen, die je gelebt, Byron, sagt von Horaz:</p><lb/> <cit> <quote> <lg type="poem"> <l> <hi rendition="#i">It is a curse</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#i">To understand, not feel thy lyric flow,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#i">To comprehend, but never love thy verse.<note place="foot" n="2)">Ein Fluch ist es, deinen lyrischen Erguss mit dem Verstand allein, nicht<lb/> mit dem Gefühl aufzufassen, deine Verse zwar begreifen, doch niemals lieben<lb/> zu können.</note></hi> </l> </lg> </quote> </cit><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [183/0206]
Römisches Recht.
ausstreuten (denn alle Bildung war in Rom von jeher griechisch), kein
einziges Samenkorn ging auf. 500 Jahre vor Christo sandten schon
die Römer nach Athen, um genaue Nachricht über griechisches Recht
zu erhalten; ihre Gesandten trafen den Aischylos in der Fülle seiner
Kraft, Sophokles schon schöpferisch thätig an; welche künstlerische
Blüte hätte bei solcher Lebensenergie in Rom nach dieser Berührung
aufgehen müssen, wenn nur die geringste Beanlagung vorhanden ge-
wesen wäre. Das war aber nicht der Fall. Wie Mommsen sagt: »die
Entwickelung der musischen Künste in Latium war mehr ein Ein-
trocknen als ein Aufblühen«. Die Lateiner hatten vor dem Verfall
überhaupt kein Wort für Dichter, der Begriff war ihnen fremd! —
Wenn ihre Dichter nun ohne Ausnahme ungenial waren, worin be-
stand die Bedeutung derjenigen unter ihnen, die, wie Horaz und
Juvenal, stets die Bewunderung der Sprachkünstler erregt haben?
Offenbar, wie alles, was aus Rom stammt, in der Technik. Die
Römer waren grossartige Baumeister — von Kloaken und Aquädukten, 1)
grossartige Maler — von Zimmerdekorationen, grossartige Fabrikanten —
kunstgewerblicher Gegenstände; in ihren Circussen kämpften bezahlte
Techniker des Fechtens und fuhren berufsmässige Wagenlenker. Der
Römer konnte Virtuos werden, nicht Künstler; jede Virtuosität inter-
essierte ihn, keine Kunst. Die Gedichte des Horaz sind technische
Meisterstücke. Abgesehen vom historisch-pittoresken Interesse als
Schilderungen eines entschwundenen Lebens, fesselt uns bei diesen
Dichtungen lediglich die Virtuosität. Die »Lebensweisheit«, wirft man
mir ein? Ja, wenn eine so alltägliche, nüchterne Weisheit nur nicht
überall besser am Platze wäre, als im Zauberreich der Kunst, deren
weit offene Kindesaugen aus jedem hellenischen Dichtwerk eine so
ganz andere Weisheit künden als die, welche dem Horaz und seinen
Freunden zwischen Käse und Obst einfällt. Eine der echtesten
Dichternaturen, die je gelebt, Byron, sagt von Horaz:
It is a curse
To understand, not feel thy lyric flow,
To comprehend, but never love thy verse. 2)
1) Doch auch hier nicht Erfinder; siehe Hueppe’s Untersuchungen über die
Wassertechnik der alten Griechen: Rassenhygiene der Griechen, S. 37.
2) Ein Fluch ist es, deinen lyrischen Erguss mit dem Verstand allein, nicht
mit dem Gefühl aufzufassen, deine Verse zwar begreifen, doch niemals lieben
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