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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Zwölfftes Capitel,
§. 4.
Dritte Einsicht ins zukünfftige.

Ein jeder Mensch aber hat seine besondere Ge-
dancken,
wie auch nach Gelegenheit seine eigene
Vorurtheile, Jrrthümer, Eigensinn, Ge-
wohnheiten,
darunter ihm immer eines tieffer
eingeprägt ist, als das andere. Wenn ich diese
besondere Kräffte, oder auch Schwachheiten
eines Menschen weiß; so kan ich viele seiner Gedan-
cken, mit Beyhülffe der allgemeinen Principio-
rum
heraus bringen. Wie aber der Sinn der
Menschen veränderlich ist; also können auch seine
bisherige Gedancken, Vorbildungen, Jrrthümer,
eigensinnige Neigungen sich ändern: gleichwie
auch neue entstehen können: doch geschehen solche
Aenderungen nicht in einem Augenblick, auch nicht
ohne äusserliche Veranlassung: daher hindert die
Veränderlichkeit des menschlichen Sinnes nicht
völlig, daß wir nicht seine Gedancken wenigstens
auf eine kurtze Zeit voraus sehen sollten.

§. 5.
Vierte Einsicht ins zukünfftige.

Die freyen Handlungen sind zwar bey den
Menschen so beschaffen, daß, so lange sie nicht
würcklich angefangen sind, sich noch immer eine
Reue finden kan; aber doch, da ein Mensch nach
seiner Einsicht in die Sachen, und nach den ihm
schon beywohnenden Neigungen und Trieben zu
handeln pflegt: so muß iemand, der die Einsicht
und Triebe eines andern kennt, auch vieles voraus
sehen können, was er beschlüssen, was er thun
werde. Bey jeder eintzeln Gelegenheit kommen

zwar
Zwoͤlfftes Capitel,
§. 4.
Dritte Einſicht ins zukuͤnfftige.

Ein jeder Menſch aber hat ſeine beſondere Ge-
dancken,
wie auch nach Gelegenheit ſeine eigene
Vorurtheile, Jrrthuͤmer, Eigenſinn, Ge-
wohnheiten,
darunter ihm immer eines tieffer
eingepraͤgt iſt, als das andere. Wenn ich dieſe
beſondere Kraͤffte, oder auch Schwachheiten
eines Menſchen weiß; ſo kan ich viele ſeiner Gedan-
cken, mit Beyhuͤlffe der allgemeinen Principio-
rum
heraus bringen. Wie aber der Sinn der
Menſchen veraͤnderlich iſt; alſo koͤnnen auch ſeine
bisherige Gedancken, Vorbildungen, Jrrthuͤmer,
eigenſinnige Neigungen ſich aͤndern: gleichwie
auch neue entſtehen koͤnnen: doch geſchehen ſolche
Aenderungen nicht in einem Augenblick, auch nicht
ohne aͤuſſerliche Veranlaſſung: daher hindert die
Veraͤnderlichkeit des menſchlichen Sinnes nicht
voͤllig, daß wir nicht ſeine Gedancken wenigſtens
auf eine kurtze Zeit voraus ſehen ſollten.

§. 5.
Vierte Einſicht ins zukuͤnfftige.

Die freyen Handlungen ſind zwar bey den
Menſchen ſo beſchaffen, daß, ſo lange ſie nicht
wuͤrcklich angefangen ſind, ſich noch immer eine
Reue finden kan; aber doch, da ein Menſch nach
ſeiner Einſicht in die Sachen, und nach den ihm
ſchon beywohnenden Neigungen und Trieben zu
handeln pflegt: ſo muß iemand, der die Einſicht
und Triebe eines andern kennt, auch vieles voraus
ſehen koͤnnen, was er beſchluͤſſen, was er thun
werde. Bey jeder eintzeln Gelegenheit kommen

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[384/0420] Zwoͤlfftes Capitel, §. 4. Dritte Einſicht ins zukuͤnfftige. Ein jeder Menſch aber hat ſeine beſondere Ge- dancken, wie auch nach Gelegenheit ſeine eigene Vorurtheile, Jrrthuͤmer, Eigenſinn, Ge- wohnheiten, darunter ihm immer eines tieffer eingepraͤgt iſt, als das andere. Wenn ich dieſe beſondere Kraͤffte, oder auch Schwachheiten eines Menſchen weiß; ſo kan ich viele ſeiner Gedan- cken, mit Beyhuͤlffe der allgemeinen Principio- rum heraus bringen. Wie aber der Sinn der Menſchen veraͤnderlich iſt; alſo koͤnnen auch ſeine bisherige Gedancken, Vorbildungen, Jrrthuͤmer, eigenſinnige Neigungen ſich aͤndern: gleichwie auch neue entſtehen koͤnnen: doch geſchehen ſolche Aenderungen nicht in einem Augenblick, auch nicht ohne aͤuſſerliche Veranlaſſung: daher hindert die Veraͤnderlichkeit des menſchlichen Sinnes nicht voͤllig, daß wir nicht ſeine Gedancken wenigſtens auf eine kurtze Zeit voraus ſehen ſollten. §. 5. Vierte Einſicht ins zukuͤnfftige. Die freyen Handlungen ſind zwar bey den Menſchen ſo beſchaffen, daß, ſo lange ſie nicht wuͤrcklich angefangen ſind, ſich noch immer eine Reue finden kan; aber doch, da ein Menſch nach ſeiner Einſicht in die Sachen, und nach den ihm ſchon beywohnenden Neigungen und Trieben zu handeln pflegt: ſo muß iemand, der die Einſicht und Triebe eines andern kennt, auch vieles voraus ſehen koͤnnen, was er beſchluͤſſen, was er thun werde. Bey jeder eintzeln Gelegenheit kommen zwar

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/420>, abgerufen am 30.04.2024.