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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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seinigen, doch mit auffallender Uebereinstimmung des Ausgangs-
punktes und mit einem Reformvorschlage, der allerdings ein
wenig anders aussah als der seinige.

Es ist das kleine Buch von Mary Astell*). Darin heißt
es: "Wären die Männer so vernachlässigt, würde eben so wenig
für ihre Bildung gesorgt wie für die der Frauen, so würden sie
vielleicht so weit davon entfernt sein, diejenigen zu übertreffen,
die sie jetzt verachten, daß sie selber in die größte Dummheit
und Rohheit versinken würden."

Die Verfasserin richtet daher den Mahnruf an das weib-
liche Geschlecht, seine Seele ebenso zu cultiviren wie den Körper.
Die Ursache der Mängel, unter denen wir leiden, sagt sie, ist,
wo nicht ganz, so doch an erster Stelle den Fehlgriffen unserer
Erziehung zuzuschreiben. Der Boden ist reich und würde,
wenn wohl bearbeitet, eine edle Ernte liefern. Von ihrer
Kindheit auf werden die weiblichen Wesen derjenigen Vortheile
beraubt, deren Mangel ihnen hinterher zum Vorwurf gemacht
wird. Wenn man eine arme junge Dame gelehrt hat, auf
nichts an ihrer Person als auf ihre Kleiber Werth zu legen,
wenn sie immer sagen hört, daß sie gebildet genug ist, wenn

*) A Serious Proposal to the Ladies for the advancement
of their true and greatest interest. By a Lover of her Sex. London
Printed for R. Wilkin at the Kings Head in St. Paul's Church-
yard. 1694. "Licensed. July 16th 1694. D. Poplar
"
handschriftliche Widmung in dem Exemplar des British Museum
"For the Honourable
Md. Mountague
from he Ladiships
most humble Servant.
M. A.
"
172 Seiten in kl. 12°.

seinigen, doch mit auffallender Uebereinstimmung des Ausgangs-
punktes und mit einem Reformvorschlage, der allerdings ein
wenig anders aussah als der seinige.

Es ist das kleine Buch von Mary Astell*). Darin heißt
es: „Wären die Männer so vernachlässigt, würde eben so wenig
für ihre Bildung gesorgt wie für die der Frauen, so würden sie
vielleicht so weit davon entfernt sein, diejenigen zu übertreffen,
die sie jetzt verachten, daß sie selber in die größte Dummheit
und Rohheit versinken würden.“

Die Verfasserin richtet daher den Mahnruf an das weib-
liche Geschlecht, seine Seele ebenso zu cultiviren wie den Körper.
Die Ursache der Mängel, unter denen wir leiden, sagt sie, ist,
wo nicht ganz, so doch an erster Stelle den Fehlgriffen unserer
Erziehung zuzuschreiben. Der Boden ist reich und würde,
wenn wohl bearbeitet, eine edle Ernte liefern. Von ihrer
Kindheit auf werden die weiblichen Wesen derjenigen Vortheile
beraubt, deren Mangel ihnen hinterher zum Vorwurf gemacht
wird. Wenn man eine arme junge Dame gelehrt hat, auf
nichts an ihrer Person als auf ihre Kleiber Werth zu legen,
wenn sie immer sagen hört, daß sie gebildet genug ist, wenn

*) A Serious Proposal to the Ladies for the advancement
of their true and greatest interest. By a Lover of her Sex. London
Printed for R. Wilkin at the Kings Head in St. Paul’s Church-
yard. 1694. „Licensed. July 16th 1694. D. Poplar

handschriftliche Widmung in dem Exemplar des British Museum
„For the Honourable
Md. Mountague
from he Ladiships
most humble Servant.
M. A.

172 Seiten in kl. 12°.
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[79/0095] seinigen, doch mit auffallender Uebereinstimmung des Ausgangs- punktes und mit einem Reformvorschlage, der allerdings ein wenig anders aussah als der seinige. Es ist das kleine Buch von Mary Astell *). Darin heißt es: „Wären die Männer so vernachlässigt, würde eben so wenig für ihre Bildung gesorgt wie für die der Frauen, so würden sie vielleicht so weit davon entfernt sein, diejenigen zu übertreffen, die sie jetzt verachten, daß sie selber in die größte Dummheit und Rohheit versinken würden.“ Die Verfasserin richtet daher den Mahnruf an das weib- liche Geschlecht, seine Seele ebenso zu cultiviren wie den Körper. Die Ursache der Mängel, unter denen wir leiden, sagt sie, ist, wo nicht ganz, so doch an erster Stelle den Fehlgriffen unserer Erziehung zuzuschreiben. Der Boden ist reich und würde, wenn wohl bearbeitet, eine edle Ernte liefern. Von ihrer Kindheit auf werden die weiblichen Wesen derjenigen Vortheile beraubt, deren Mangel ihnen hinterher zum Vorwurf gemacht wird. Wenn man eine arme junge Dame gelehrt hat, auf nichts an ihrer Person als auf ihre Kleiber Werth zu legen, wenn sie immer sagen hört, daß sie gebildet genug ist, wenn *) A Serious Proposal to the Ladies for the advancement of their true and greatest interest. By a Lover of her Sex. London Printed for R. Wilkin at the Kings Head in St. Paul’s Church- yard. 1694. „Licensed. July 16th 1694. D. Poplar“ handschriftliche Widmung in dem Exemplar des British Museum „For the Honourable Md. Mountague from he Ladiships most humble Servant. M. A.“ 172 Seiten in kl. 12°.

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/95>, abgerufen am 30.04.2024.