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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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die neue Richtung sehr begeisterter jüngerer Sprachforscher
sagt: "Die Grundsprache war der von Schleicher geschrie-
benen immer noch ähnlicher als der, die Brugmann und Collitz
schreiben". Joh. Schmidt entschuldigt sich gelegentlich, so
Bd. XXVI S. 342 Anm., dass er eine Form vorläufig in arischer
Gestalt vorführe, und Brugmann Morphol. Unters. III S. 93
Anm. gesteht mir zu, dass manches a ein x als Exponenten
erhalten müsste, weil man nicht wissen könne, welcher der
drei Vocale a, e und o in dem bestimmten Falle als ursprüng-
lich anzunehmen sei. Bei Osthoff Morphol. Unters. IV figurirt
denn auch das von mir eigentlich nur zum Scherz empfoh-
lene ax in ziemlich vielen Fällen, z. B. in so angenehmen For-
men wie gh2axugh1 (S. 91), wie denn überhaupt die Schriften
der nuova fede an den Leser die Forderung stellen, dass er
ausser den wirklichen Sprachen, deren Formen ihm vorge-
führt werden, sich auch die bloss erschlossenen Wörter und
nicht wenige Hieroglyphen der Forscher einzuprägen hat, in
denen diese nicht einmal unter einander völlig übereinstimmen.

Ganz besondere Schwierigkeiten macht in Beziehung auf
den A-Laut das Italische. So hat noch niemand gezeigt, wie
das oskische ankensto (lat. in-censa) und das umbrische an-
hostatu
(= in-hastatus) zu seinem anlautenden a gekommen
ist. Höchst auffallend ist derselbe Vocal im oskischen anter
(= inter), umbrisch ander, und das lateinische quattuor bleibt
trotz aller darauf verwendeten Mühe in seiner ersten Silbe
räthselhaft. Das a überhaupt, vor dem man früher, wie wir
sahen, als einem würdigen Veteranen allzu schnell seine Reve-
renz machte, ist jetzt das eigentliche Kreuz oder, anders aus-
gedrückt, das Sorgenkind für diese ganze Theorie. Man kann
sagen: "Expellas furca, tamen usque recurret". Verbalformen
wie ago, cado, maneo, facio, jacio, pateo, pando, latet sind,
so viel scharfsinniges auch über einzelne Bildungen der Art
von de Saussure und andern vorgebracht ist, doch immer noch
Steine des Anstosses, so gut wie griech. ago, grapho, diese,

die neue Richtung sehr begeisterter jüngerer Sprachforscher
sagt: „Die Grundsprache war der von Schleicher geschrie-
benen immer noch ähnlicher als der, die Brugmann und Collitz
schreiben“. Joh. Schmidt entschuldigt sich gelegentlich, so
Bd. XXVI S. 342 Anm., dass er eine Form vorläufig in arischer
Gestalt vorführe, und Brugmann Morphol. Unters. III S. 93
Anm. gesteht mir zu, dass manches a ein x als Exponenten
erhalten müsste, weil man nicht wissen könne, welcher der
drei Vocale a, e und o in dem bestimmten Falle als ursprüng-
lich anzunehmen sei. Bei Osthoff Morphol. Unters. IV figurirt
denn auch das von mir eigentlich nur zum Scherz empfoh-
lene ax in ziemlich vielen Fällen, z. B. in so angenehmen For-
men wie gh2axu̯gh1 (S. 91), wie denn überhaupt die Schriften
der nuova fede an den Leser die Forderung stellen, dass er
ausser den wirklichen Sprachen, deren Formen ihm vorge-
führt werden, sich auch die bloss erschlossenen Wörter und
nicht wenige Hieroglyphen der Forscher einzuprägen hat, in
denen diese nicht einmal unter einander völlig übereinstimmen.

Ganz besondere Schwierigkeiten macht in Beziehung auf
den A-Laut das Italische. So hat noch niemand gezeigt, wie
das oskische ankensto (lat. in-censa) und das umbrische an-
hostatu
(= in-hastatus) zu seinem anlautenden a gekommen
ist. Höchst auffallend ist derselbe Vocal im oskischen anter
(= inter), umbrisch ander, und das lateinische quattuor bleibt
trotz aller darauf verwendeten Mühe in seiner ersten Silbe
räthselhaft. Das überhaupt, vor dem man früher, wie wir
sahen, als einem würdigen Veteranen allzu schnell seine Reve-
renz machte, ist jetzt das eigentliche Kreuz oder, anders aus-
gedrückt, das Sorgenkind für diese ganze Theorie. Man kann
sagen: „Expellas furca, tamen usque recurret“. Verbalformen
wie ago, cado, maneo, facio, jacio, pateo, pando, latet sind,
so viel scharfsinniges auch über einzelne Bildungen der Art
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[119/0127] die neue Richtung sehr begeisterter jüngerer Sprachforscher sagt: „Die Grundsprache war der von Schleicher geschrie- benen immer noch ähnlicher als der, die Brugmann und Collitz schreiben“. Joh. Schmidt entschuldigt sich gelegentlich, so Bd. XXVI S. 342 Anm., dass er eine Form vorläufig in arischer Gestalt vorführe, und Brugmann Morphol. Unters. III S. 93 Anm. gesteht mir zu, dass manches a ein x als Exponenten erhalten müsste, weil man nicht wissen könne, welcher der drei Vocale a, e und o in dem bestimmten Falle als ursprüng- lich anzunehmen sei. Bei Osthoff Morphol. Unters. IV figurirt denn auch das von mir eigentlich nur zum Scherz empfoh- lene ax in ziemlich vielen Fällen, z. B. in so angenehmen For- men wie gh2axu̯gh1 (S. 91), wie denn überhaupt die Schriften der nuova fede an den Leser die Forderung stellen, dass er ausser den wirklichen Sprachen, deren Formen ihm vorge- führt werden, sich auch die bloss erschlossenen Wörter und nicht wenige Hieroglyphen der Forscher einzuprägen hat, in denen diese nicht einmal unter einander völlig übereinstimmen. Ganz besondere Schwierigkeiten macht in Beziehung auf den A-Laut das Italische. So hat noch niemand gezeigt, wie das oskische ankensto (lat. in-censa) und das umbrische an- hostatu (= in-hastatus) zu seinem anlautenden a gekommen ist. Höchst auffallend ist derselbe Vocal im oskischen anter (= inter), umbrisch ander, und das lateinische quattuor bleibt trotz aller darauf verwendeten Mühe in seiner ersten Silbe räthselhaft. Das ă überhaupt, vor dem man früher, wie wir sahen, als einem würdigen Veteranen allzu schnell seine Reve- renz machte, ist jetzt das eigentliche Kreuz oder, anders aus- gedrückt, das Sorgenkind für diese ganze Theorie. Man kann sagen: „Expellas furca, tamen usque recurret“. Verbalformen wie ago, cado, maneo, facio, jacio, pateo, pando, latet sind, so viel scharfsinniges auch über einzelne Bildungen der Art von de Saussure und andern vorgebracht ist, doch immer noch Steine des Anstosses, so gut wie griech. ἄγω, γράφω, diese,

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/127>, abgerufen am 30.04.2024.