Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

weiland Cardinal Fleury, zum zweiten Male Minister und
erster Minister. Seine Neider meinten, er sey das eine
Mal zu frühe, das andere Mal zu spät zur Macht gelangt;
allein Maurepas war der in diesen Regionen Alles ver-
mögenden bequemen Formen mächtig, und als er inne
ward daß sein Gebieter mit dem unschuldigen Ernste der
Jugend nach ein Paar rechtschaffenen Männern verlangte,
welche ihm den Druck des Volks erleichtern hülfen, gab er
dieser Schwäche nach, willigte in die Ernennung von
Turgot und Malesherbes, deren Charakter und Einsicht
in allgemeiner Achtung stand, wenn schon sie nicht für
kirchlich gelten konnten. Auf die Frage des Königs:
"Aber ist es wahr daß Turgot nie in die Messe geht?"
antwortete Maurepas: "Sire, ich weiß nur daß der
Abbe Terray jeden Tag hinein ging." Terray hatte
neuerdings das Finanzwesen zu Grunde gerichtet und sich
aus dem Elende der unteren Classen schamlos bereichert;
man baute auf Turgot. Das Heerwesen lag in tiefem
Verfalle und man berief in das Kriegsministerium den
Grafen St. Germain, der nach einer langen Ungnade jetzt
wieder zu Ehren kam.

Wirklich stand es so, daß nach allen Seiten schleunig
eingeschritten werden mußte, wenn das morsche Band,
welches hier 25 Millionen Menschen auf 10,000 Qua-
dratmeilen zusammenhielt, noch länger in alter Weise
dauern sollte, so gar übel war es mit Menschen und
Sachen rings bestellt. Gewöhnlich aber gewinnen ver-

2*

weiland Cardinal Fleury, zum zweiten Male Miniſter und
erſter Miniſter. Seine Neider meinten, er ſey das eine
Mal zu frühe, das andere Mal zu ſpät zur Macht gelangt;
allein Maurepas war der in dieſen Regionen Alles ver-
mögenden bequemen Formen mächtig, und als er inne
ward daß ſein Gebieter mit dem unſchuldigen Ernſte der
Jugend nach ein Paar rechtſchaffenen Männern verlangte,
welche ihm den Druck des Volks erleichtern hülfen, gab er
dieſer Schwäche nach, willigte in die Ernennung von
Turgot und Malesherbes, deren Charakter und Einſicht
in allgemeiner Achtung ſtand, wenn ſchon ſie nicht für
kirchlich gelten konnten. Auf die Frage des Königs:
„Aber iſt es wahr daß Turgot nie in die Meſſe geht?“
antwortete Maurepas: „Sire, ich weiß nur daß der
Abbé Terray jeden Tag hinein ging.“ Terray hatte
neuerdings das Finanzweſen zu Grunde gerichtet und ſich
aus dem Elende der unteren Claſſen ſchamlos bereichert;
man baute auf Turgot. Das Heerweſen lag in tiefem
Verfalle und man berief in das Kriegsminiſterium den
Grafen St. Germain, der nach einer langen Ungnade jetzt
wieder zu Ehren kam.

Wirklich ſtand es ſo, daß nach allen Seiten ſchleunig
eingeſchritten werden mußte, wenn das morſche Band,
welches hier 25 Millionen Menſchen auf 10,000 Qua-
dratmeilen zuſammenhielt, noch länger in alter Weiſe
dauern ſollte, ſo gar übel war es mit Menſchen und
Sachen rings beſtellt. Gewöhnlich aber gewinnen ver-

2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0029" n="19"/>
weiland Cardinal Fleury, zum zweiten Male Mini&#x017F;ter und<lb/>
er&#x017F;ter Mini&#x017F;ter. Seine Neider meinten, er &#x017F;ey das eine<lb/>
Mal zu frühe, das andere Mal zu &#x017F;pät zur Macht gelangt;<lb/>
allein Maurepas war der in die&#x017F;en Regionen Alles ver-<lb/>
mögenden bequemen Formen mächtig, und als er inne<lb/>
ward daß &#x017F;ein Gebieter mit dem un&#x017F;chuldigen Ern&#x017F;te der<lb/>
Jugend nach ein Paar recht&#x017F;chaffenen Männern verlangte,<lb/>
welche ihm den Druck des Volks erleichtern hülfen, gab er<lb/>
die&#x017F;er Schwäche nach, willigte in die Ernennung von<lb/>
Turgot und Malesherbes, deren Charakter und Ein&#x017F;icht<lb/>
in allgemeiner Achtung &#x017F;tand, wenn &#x017F;chon &#x017F;ie nicht für<lb/>
kirchlich gelten konnten. Auf die Frage des Königs:<lb/>
&#x201E;Aber i&#x017F;t es wahr daß Turgot nie in die Me&#x017F;&#x017F;e geht?&#x201C;<lb/>
antwortete Maurepas: &#x201E;Sire, ich weiß nur daß der<lb/>
Abbé Terray jeden Tag hinein ging.&#x201C; Terray hatte<lb/>
neuerdings das Finanzwe&#x017F;en zu Grunde gerichtet und &#x017F;ich<lb/>
aus dem Elende der unteren Cla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chamlos bereichert;<lb/>
man baute auf Turgot. Das Heerwe&#x017F;en lag in tiefem<lb/>
Verfalle und man berief in das Kriegsmini&#x017F;terium den<lb/>
Grafen St. Germain, der nach einer langen Ungnade jetzt<lb/>
wieder zu Ehren kam.</p><lb/>
          <p>Wirklich &#x017F;tand es &#x017F;o, daß nach allen Seiten &#x017F;chleunig<lb/>
einge&#x017F;chritten werden mußte, wenn das mor&#x017F;che Band,<lb/>
welches hier 25 Millionen Men&#x017F;chen auf 10,000 Qua-<lb/>
dratmeilen zu&#x017F;ammenhielt, noch länger in alter Wei&#x017F;e<lb/>
dauern &#x017F;ollte, &#x017F;o gar übel war es mit Men&#x017F;chen und<lb/>
Sachen rings be&#x017F;tellt. Gewöhnlich aber gewinnen ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0029] weiland Cardinal Fleury, zum zweiten Male Miniſter und erſter Miniſter. Seine Neider meinten, er ſey das eine Mal zu frühe, das andere Mal zu ſpät zur Macht gelangt; allein Maurepas war der in dieſen Regionen Alles ver- mögenden bequemen Formen mächtig, und als er inne ward daß ſein Gebieter mit dem unſchuldigen Ernſte der Jugend nach ein Paar rechtſchaffenen Männern verlangte, welche ihm den Druck des Volks erleichtern hülfen, gab er dieſer Schwäche nach, willigte in die Ernennung von Turgot und Malesherbes, deren Charakter und Einſicht in allgemeiner Achtung ſtand, wenn ſchon ſie nicht für kirchlich gelten konnten. Auf die Frage des Königs: „Aber iſt es wahr daß Turgot nie in die Meſſe geht?“ antwortete Maurepas: „Sire, ich weiß nur daß der Abbé Terray jeden Tag hinein ging.“ Terray hatte neuerdings das Finanzweſen zu Grunde gerichtet und ſich aus dem Elende der unteren Claſſen ſchamlos bereichert; man baute auf Turgot. Das Heerweſen lag in tiefem Verfalle und man berief in das Kriegsminiſterium den Grafen St. Germain, der nach einer langen Ungnade jetzt wieder zu Ehren kam. Wirklich ſtand es ſo, daß nach allen Seiten ſchleunig eingeſchritten werden mußte, wenn das morſche Band, welches hier 25 Millionen Menſchen auf 10,000 Qua- dratmeilen zuſammenhielt, noch länger in alter Weiſe dauern ſollte, ſo gar übel war es mit Menſchen und Sachen rings beſtellt. Gewöhnlich aber gewinnen ver- 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/29
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/29>, abgerufen am 01.05.2024.