heiten in Beziehung setzte 1). Begegnen wir doch zuerst bei Archi- medes einigen angemessenen und bestimmten Vorstellungen über Mechanik. Unter solchen Umständen überwog immer noch in der griechischen Naturwissenschaft die Betrachtung der Bewegungen der Gestirne, welche sich in Folge der großen Entfernung derselben dem menschlichen Geiste von selber losgelöst von den anderen Eigenschaften dieser Körper darboten, alsdann die vergleichende Betrachtung der interessanteren Objekte auf der Erde, und unter diesen zogen naturgemäß die organischen Körper besonders die Auf- merksamkeit auf sich.
Diesem Stadium der positiven Wissenschaften entsprach am besten eine Metaphysik, welche die Formen der Wirklichkeit, wie sie sich in Allgemeinvorstellungen ausdrücken, und die Beziehungen zwischen diesen Formen in Begriffen darstellte sowie als meta- physische Wesenheiten der Erklärung der Wirklichkeit zu Grunde legte. Dagegen war die Atomistik diesem Stadium weniger angemessen. War sie doch in jener Zeit ebenfalls nur ein meta- physisches Theorem, nicht eine Handhabe für Experiment und Rechnung. Ihre Massentheilchen waren begrifflich festgestellte Sub- jekte des Naturzusammenhangs, und zwar erwiesen sich dieselben als unfruchtbar für die Erklärung des Kosmos. Denn die Zwischen- glieder zwischen ihnen und den Naturformen fehlten: angemessene und bestimmte Vorstellungen über Bewegung, Schwere, Druck etc. sowie zusammenhängende Entwicklung solcher Vorstellungen in abstrakten Wissenschaften.
Der Herrschergeist des Aristoteles, durch welchen er sich zwei Jahrtausende unterwarf, lag nun darin, wie er diese dargelegten wissenschaftlichen Bedingungen verknüpfte, wie er demnach die natürliche Stellung der Intelligenz zum Kosmos in ein System brachte, das jeder Anforderung genügte, die innerhalb dieses Stadiums der Wissenschaften gemacht werden konnte. Er war aller positiven Wissenschaften seiner Zeit mächtig (von der Mathematik wissen wir es am wenigsten); in den meisten derselben
1) Vgl. die beachtenswerthen Bemerkungen des Simplicius zu de caelo Schol. p. 491 b 3.
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
heiten in Beziehung ſetzte 1). Begegnen wir doch zuerſt bei Archi- medes einigen angemeſſenen und beſtimmten Vorſtellungen über Mechanik. Unter ſolchen Umſtänden überwog immer noch in der griechiſchen Naturwiſſenſchaft die Betrachtung der Bewegungen der Geſtirne, welche ſich in Folge der großen Entfernung derſelben dem menſchlichen Geiſte von ſelber losgelöſt von den anderen Eigenſchaften dieſer Körper darboten, alsdann die vergleichende Betrachtung der intereſſanteren Objekte auf der Erde, und unter dieſen zogen naturgemäß die organiſchen Körper beſonders die Auf- merkſamkeit auf ſich.
Dieſem Stadium der poſitiven Wiſſenſchaften entſprach am beſten eine Metaphyſik, welche die Formen der Wirklichkeit, wie ſie ſich in Allgemeinvorſtellungen ausdrücken, und die Beziehungen zwiſchen dieſen Formen in Begriffen darſtellte ſowie als meta- phyſiſche Weſenheiten der Erklärung der Wirklichkeit zu Grunde legte. Dagegen war die Atomiſtik dieſem Stadium weniger angemeſſen. War ſie doch in jener Zeit ebenfalls nur ein meta- phyſiſches Theorem, nicht eine Handhabe für Experiment und Rechnung. Ihre Maſſentheilchen waren begrifflich feſtgeſtellte Sub- jekte des Naturzuſammenhangs, und zwar erwieſen ſich dieſelben als unfruchtbar für die Erklärung des Kosmos. Denn die Zwiſchen- glieder zwiſchen ihnen und den Naturformen fehlten: angemeſſene und beſtimmte Vorſtellungen über Bewegung, Schwere, Druck etc. ſowie zuſammenhängende Entwicklung ſolcher Vorſtellungen in abſtrakten Wiſſenſchaften.
Der Herrſchergeiſt des Ariſtoteles, durch welchen er ſich zwei Jahrtauſende unterwarf, lag nun darin, wie er dieſe dargelegten wiſſenſchaftlichen Bedingungen verknüpfte, wie er demnach die natürliche Stellung der Intelligenz zum Kosmos in ein Syſtem brachte, das jeder Anforderung genügte, die innerhalb dieſes Stadiums der Wiſſenſchaften gemacht werden konnte. Er war aller poſitiven Wiſſenſchaften ſeiner Zeit mächtig (von der Mathematik wiſſen wir es am wenigſten); in den meiſten derſelben
1) Vgl. die beachtenswerthen Bemerkungen des Simplicius zu de caelo Schol. p. 491 b 3.
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Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
heiten in Beziehung ſetzte 1). Begegnen wir doch zuerſt bei Archi-
medes einigen angemeſſenen und beſtimmten Vorſtellungen über
Mechanik. Unter ſolchen Umſtänden überwog immer noch in der
griechiſchen Naturwiſſenſchaft die Betrachtung der Bewegungen der
Geſtirne, welche ſich in Folge der großen Entfernung derſelben
dem menſchlichen Geiſte von ſelber losgelöſt von den anderen
Eigenſchaften dieſer Körper darboten, alsdann die vergleichende
Betrachtung der intereſſanteren Objekte auf der Erde, und unter
dieſen zogen naturgemäß die organiſchen Körper beſonders die Auf-
merkſamkeit auf ſich.
Dieſem Stadium der poſitiven Wiſſenſchaften entſprach am
beſten eine Metaphyſik, welche die Formen der Wirklichkeit, wie
ſie ſich in Allgemeinvorſtellungen ausdrücken, und die Beziehungen
zwiſchen dieſen Formen in Begriffen darſtellte ſowie als meta-
phyſiſche Weſenheiten der Erklärung der Wirklichkeit zu
Grunde legte. Dagegen war die Atomiſtik dieſem Stadium weniger
angemeſſen. War ſie doch in jener Zeit ebenfalls nur ein meta-
phyſiſches Theorem, nicht eine Handhabe für Experiment und
Rechnung. Ihre Maſſentheilchen waren begrifflich feſtgeſtellte Sub-
jekte des Naturzuſammenhangs, und zwar erwieſen ſich dieſelben
als unfruchtbar für die Erklärung des Kosmos. Denn die Zwiſchen-
glieder zwiſchen ihnen und den Naturformen fehlten: angemeſſene
und beſtimmte Vorſtellungen über Bewegung, Schwere, Druck etc.
ſowie zuſammenhängende Entwicklung ſolcher Vorſtellungen in
abſtrakten Wiſſenſchaften.
Der Herrſchergeiſt des Ariſtoteles, durch welchen er ſich zwei
Jahrtauſende unterwarf, lag nun darin, wie er dieſe dargelegten
wiſſenſchaftlichen Bedingungen verknüpfte, wie er demnach die
natürliche Stellung der Intelligenz zum Kosmos in ein
Syſtem brachte, das jeder Anforderung genügte, die innerhalb
dieſes Stadiums der Wiſſenſchaften gemacht werden konnte.
Er war aller poſitiven Wiſſenſchaften ſeiner Zeit mächtig (von der
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1) Vgl. die beachtenswerthen Bemerkungen des Simplicius zu de
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/269>, abgerufen am 16.06.2024.
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