Nein. Sie liebte ihn gar nicht. Es lag einmal in ihrer Natur, wer kann was dafür? --
Nach einigen Wochen fand sie sich allein. Er war fortgezogen -- nach seiner fernen Heimath. Nicht ein¬ mal Lebewohl hatte er ihr gesagt, -- ob aus Schmerz oder Scham, ich weiß es nicht. Aber er hatte sie ver¬ lassen, für immer verlassen, und -- Andere hätten es vielleicht ebenso gemacht. Es ist auch einerlei.
Sie hatte ihn nie geliebt, und seit ihrem Fall sogar verabscheut. Daher vermißte sie ihn jetzt nur wenig. Sie hatte ihn zuletzt gleichgültig, ja mit mißtrauischem Haß betrachtet, und als er, der dies veränderte Beneh¬ men ihrem tiefen Schamgefühl zuschrieb, sie zu trösten versuchte, hatte sie ihm voll Ekel den Rücken gedreht.
Jetzt war er fort, und die Zeit verrollte ihr wieder im alten Gleis. Sie war ruhig und still, sie dachte nicht mehr an ihn. Aber bald zeigten sich die Folgen ihres Fehltritts, und ein neues Gefühl bemächtigte sich ihres ganzen Wesens.
Die Suͤnderin.
Nein. Sie liebte ihn gar nicht. Es lag einmal in ihrer Natur, wer kann was dafuͤr? —
Nach einigen Wochen fand ſie ſich allein. Er war fortgezogen — nach ſeiner fernen Heimath. Nicht ein¬ mal Lebewohl hatte er ihr geſagt, — ob aus Schmerz oder Scham, ich weiß es nicht. Aber er hatte ſie ver¬ laſſen, fuͤr immer verlaſſen, und — Andere haͤtten es vielleicht ebenſo gemacht. Es iſt auch einerlei.
Sie hatte ihn nie geliebt, und ſeit ihrem Fall ſogar verabſcheut. Daher vermißte ſie ihn jetzt nur wenig. Sie hatte ihn zuletzt gleichguͤltig, ja mit mißtrauiſchem Haß betrachtet, und als er, der dies veraͤnderte Beneh¬ men ihrem tiefen Schamgefuͤhl zuſchrieb, ſie zu troͤſten verſuchte, hatte ſie ihm voll Ekel den Ruͤcken gedreht.
Jetzt war er fort, und die Zeit verrollte ihr wieder im alten Gleis. Sie war ruhig und ſtill, ſie dachte nicht mehr an ihn. Aber bald zeigten ſich die Folgen ihres Fehltritts, und ein neues Gefuͤhl bemaͤchtigte ſich ihres ganzen Weſens.
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Die Suͤnderin.
Nein. Sie liebte ihn gar nicht. Es lag einmal in ihrer
Natur, wer kann was dafuͤr? —
Nach einigen Wochen fand ſie ſich allein. Er war
fortgezogen — nach ſeiner fernen Heimath. Nicht ein¬
mal Lebewohl hatte er ihr geſagt, — ob aus Schmerz
oder Scham, ich weiß es nicht. Aber er hatte ſie ver¬
laſſen, fuͤr immer verlaſſen, und — Andere haͤtten es
vielleicht ebenſo gemacht. Es iſt auch einerlei.
Sie hatte ihn nie geliebt, und ſeit ihrem Fall ſogar
verabſcheut. Daher vermißte ſie ihn jetzt nur wenig.
Sie hatte ihn zuletzt gleichguͤltig, ja mit mißtrauiſchem
Haß betrachtet, und als er, der dies veraͤnderte Beneh¬
men ihrem tiefen Schamgefuͤhl zuſchrieb, ſie zu troͤſten
verſuchte, hatte ſie ihm voll Ekel den Ruͤcken gedreht.
Jetzt war er fort, und die Zeit verrollte ihr wieder
im alten Gleis. Sie war ruhig und ſtill, ſie dachte
nicht mehr an ihn. Aber bald zeigten ſich die Folgen
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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/89>, abgerufen am 17.06.2024.
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