sehe wie andere Menschen. Das junge Volk hatte zwar keine Erinnerungen von ihm, aber die Alten fanden seine Züge noch ganz wohl heraus, so er- bärmlich entstellt er auch war.
"Johannes, Johannes, was seid Ihr grau geworden!" sagte eine alte Frau. "Und woher habt Ihr den schiefen Hals?" -- "Vom Holz und Wasser tragen in der Sklaverei," versetzte er.
"Und was ist aus Mergel geworden? Ihr seid doch zusammen fortgelaufen?"
"Freilich wohl; aber ich weiß nicht, wo er ist, wir sind von einander gekommen. Wenn Ihr an ihn denkt, betet für ihn," fügte er hinzu, "er wird es wohl nöthig haben."
Man fragte ihn, warum Friedrich sich denn aus dem Staube gemacht, da er den Juden doch nicht erschlagen? -- "Nicht?" sagte Johannes und horchte gespannt auf, als man ihm erzählte, was der Gutsherr geflissentlich verbreitet hatte, um den Fleck von Mergels Namen zu löschen. -- "Also ganz umsonst," sagte er nachdenkend, "ganz um- sonst so viel ausgestanden!" Er seufzte tief und fragte nun seinerseits nach Manchem. Simon war lange todt, aber zuvor noch ganz verarmt, durch Prozesse und böse Schuldner, die er nicht gerichtlich belangen durfte, weil es, wie man sagte, zwischen ihnen keine reine Sache war.
ſehe wie andere Menſchen. Das junge Volk hatte zwar keine Erinnerungen von ihm, aber die Alten fanden ſeine Züge noch ganz wohl heraus, ſo er- bärmlich entſtellt er auch war.
„Johannes, Johannes, was ſeid Ihr grau geworden!“ ſagte eine alte Frau. „Und woher habt Ihr den ſchiefen Hals?“ — „Vom Holz und Waſſer tragen in der Sklaverei,“ verſetzte er.
„Und was iſt aus Mergel geworden? Ihr ſeid doch zuſammen fortgelaufen?“
„Freilich wohl; aber ich weiß nicht, wo er iſt, wir ſind von einander gekommen. Wenn Ihr an ihn denkt, betet für ihn,“ fügte er hinzu, „er wird es wohl nöthig haben.“
Man fragte ihn, warum Friedrich ſich denn aus dem Staube gemacht, da er den Juden doch nicht erſchlagen? — „Nicht?“ ſagte Johannes und horchte geſpannt auf, als man ihm erzählte, was der Gutsherr gefliſſentlich verbreitet hatte, um den Fleck von Mergels Namen zu löſchen. — „Alſo ganz umſonſt,“ ſagte er nachdenkend, „ganz um- ſonſt ſo viel ausgeſtanden!“ Er ſeufzte tief und fragte nun ſeinerſeits nach Manchem. Simon war lange todt, aber zuvor noch ganz verarmt, durch Prozeſſe und böſe Schuldner, die er nicht gerichtlich belangen durfte, weil es, wie man ſagte, zwiſchen ihnen keine reine Sache war.
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ſehe wie andere Menſchen. Das junge Volk hatte
zwar keine Erinnerungen von ihm, aber die Alten
fanden ſeine Züge noch ganz wohl heraus, ſo er-
bärmlich entſtellt er auch war.
„Johannes, Johannes, was ſeid Ihr grau
geworden!“ ſagte eine alte Frau. „Und woher
habt Ihr den ſchiefen Hals?“ — „Vom Holz
und Waſſer tragen in der Sklaverei,“ verſetzte er.
„Und was iſt aus Mergel geworden? Ihr
ſeid doch zuſammen fortgelaufen?“
„Freilich wohl; aber ich weiß nicht, wo er iſt,
wir ſind von einander gekommen. Wenn Ihr an
ihn denkt, betet für ihn,“ fügte er hinzu, „er wird
es wohl nöthig haben.“
Man fragte ihn, warum Friedrich ſich denn
aus dem Staube gemacht, da er den Juden doch
nicht erſchlagen? — „Nicht?“ ſagte Johannes und
horchte geſpannt auf, als man ihm erzählte, was
der Gutsherr gefliſſentlich verbreitet hatte, um den
Fleck von Mergels Namen zu löſchen. — „Alſo
ganz umſonſt,“ ſagte er nachdenkend, „ganz um-
ſonſt ſo viel ausgeſtanden!“ Er ſeufzte tief und
fragte nun ſeinerſeits nach Manchem. Simon war
lange todt, aber zuvor noch ganz verarmt, durch
Prozeſſe und böſe Schuldner, die er nicht gerichtlich
belangen durfte, weil es, wie man ſagte, zwiſchen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/231>, abgerufen am 16.06.2024.
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