"Du bist lange ausgeblieben, Johannes," sagte sie; "ich dachte schon, du hättest dich im Brederholz verirrt."
"Ich bin durch den Föhrengrund gegangen."
"Das ist ja ein weiter Umweg; warum gingst du nicht durch's Brederholz?"
Er sah trübe zu ihr auf: "Die Leute sagten mir, der Wald sei gefällt, und jetzt seien so viele Kreuz- und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht wieder hinauszukommen. Ich werde alt und du- selig," fügte er langsam hinzu. -- "Sahst du wohl," sagte Frau von S. nachher zu ihrem Manne, "wie wunderlich und quer er aus den Augen sah? Ich sage dir, Ernst, das nimmt noch ein schlimmes Ende."
Indessen nahte der September heran. Die Felder waren leer, das Laub begann abzufallen und mancher Hektische fühlte die Scheere an seinem Le- bensfaden. Auch Johannes schien unter dem Ein- flusse des nahen Aequinoctiums zu leiden; die ihn in diesen Tagen sahen, sagten, er habe auffallend verstört ausgesehen und unaufhörlich leise mit sich selber geredet, was er auch sonst mitunter that, aber selten. Endlich kam er eines Abends nicht nach Hause. Man dachte, die Herrschaft habe ihn ver- schickt, am zweiten auch nicht, am dritten ward seine Hausfrau ängstlich. Sie ging in's Schloß und
„Du biſt lange ausgeblieben, Johannes,“ ſagte ſie; „ich dachte ſchon, du hätteſt dich im Brederholz verirrt.“
„Ich bin durch den Föhrengrund gegangen.“
„Das iſt ja ein weiter Umweg; warum gingſt du nicht durch’s Brederholz?“
Er ſah trübe zu ihr auf: „Die Leute ſagten mir, der Wald ſei gefällt, und jetzt ſeien ſo viele Kreuz- und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht wieder hinauszukommen. Ich werde alt und du- ſelig,“ fügte er langſam hinzu. — „Sahſt du wohl,“ ſagte Frau von S. nachher zu ihrem Manne, „wie wunderlich und quer er aus den Augen ſah? Ich ſage dir, Ernſt, das nimmt noch ein ſchlimmes Ende.“
Indeſſen nahte der September heran. Die Felder waren leer, das Laub begann abzufallen und mancher Hektiſche fühlte die Scheere an ſeinem Le- bensfaden. Auch Johannes ſchien unter dem Ein- fluſſe des nahen Aequinoctiums zu leiden; die ihn in dieſen Tagen ſahen, ſagten, er habe auffallend verſtört ausgeſehen und unaufhörlich leiſe mit ſich ſelber geredet, was er auch ſonſt mitunter that, aber ſelten. Endlich kam er eines Abends nicht nach Hauſe. Man dachte, die Herrſchaft habe ihn ver- ſchickt, am zweiten auch nicht, am dritten ward ſeine Hausfrau ängſtlich. Sie ging in’s Schloß und
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„Du biſt lange ausgeblieben, Johannes,“ ſagte
ſie; „ich dachte ſchon, du hätteſt dich im Brederholz
verirrt.“
„Ich bin durch den Föhrengrund gegangen.“
„Das iſt ja ein weiter Umweg; warum gingſt
du nicht durch’s Brederholz?“
Er ſah trübe zu ihr auf: „Die Leute ſagten
mir, der Wald ſei gefällt, und jetzt ſeien ſo viele
Kreuz- und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht
wieder hinauszukommen. Ich werde alt und du-
ſelig,“ fügte er langſam hinzu. — „Sahſt du wohl,“
ſagte Frau von S. nachher zu ihrem Manne, „wie
wunderlich und quer er aus den Augen ſah? Ich
ſage dir, Ernſt, das nimmt noch ein ſchlimmes
Ende.“
Indeſſen nahte der September heran. Die
Felder waren leer, das Laub begann abzufallen und
mancher Hektiſche fühlte die Scheere an ſeinem Le-
bensfaden. Auch Johannes ſchien unter dem Ein-
fluſſe des nahen Aequinoctiums zu leiden; die ihn
in dieſen Tagen ſahen, ſagten, er habe auffallend
verſtört ausgeſehen und unaufhörlich leiſe mit ſich
ſelber geredet, was er auch ſonſt mitunter that, aber
ſelten. Endlich kam er eines Abends nicht nach
Hauſe. Man dachte, die Herrſchaft habe ihn ver-
ſchickt, am zweiten auch nicht, am dritten ward ſeine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/238>, abgerufen am 16.06.2024.
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