stehen, dann einfallen und einen unerträglichen Ge- ruch verbreiten. Brandes glaubte solche unangenehme Nachbarn zu spüren, er wandte sich ein paarmal hin und her, mochte aber doch nicht aufstehen; sein Hund sprang unterdessen umher, kratzte am Stamm der Buche und bellte hinauf. "Was hast du da, Bello? eine Katze?" murmelte Brandes. Er öffnete die Wimper halb und die Judenschrift fiel ihm in's Auge, sehr ausgewachsen, aber doch noch ganz kennt- lich. Er schloß die Augen wieder; der Hund fuhr fort zu bellen und legte endlich seinem Herrn die kalte Schnauze an's Gesicht.
"Laß mich in Ruh! was hast du denn?" Hiebei sah Brandes, wie er so auf dem Rücken lag, in die Höhe, sprang dann mit einem Satze auf und wie besessen in's Gestrüpp hinein.
Todtenbleich kam er auf dem Schlosse an: in der Judenbuche hänge ein Mensch; er habe die Beine gerade über seinem Gesichte hängen sehen. -- "Und du hast ihn nicht abgeschnitten, Esel?" rief der Baron.
"Herr," keuchte Brandes, "wenn Ew. Gnaden da gewesen wären, so wüßten Sie wohl, daß der Mensch nicht mehr lebt. Ich glaubte Anfangs, es seien die Pilze." -- Dennoch trieb der Gutsherr zur größten Eile und zog selbst mit hinaus.
Sie waren unter der Buche angelangt. "Ich
ſtehen, dann einfallen und einen unerträglichen Ge- ruch verbreiten. Brandes glaubte ſolche unangenehme Nachbarn zu ſpüren, er wandte ſich ein paarmal hin und her, mochte aber doch nicht aufſtehen; ſein Hund ſprang unterdeſſen umher, kratzte am Stamm der Buche und bellte hinauf. „Was haſt du da, Bello? eine Katze?“ murmelte Brandes. Er öffnete die Wimper halb und die Judenſchrift fiel ihm in’s Auge, ſehr ausgewachſen, aber doch noch ganz kennt- lich. Er ſchloß die Augen wieder; der Hund fuhr fort zu bellen und legte endlich ſeinem Herrn die kalte Schnauze an’s Geſicht.
„Laß mich in Ruh! was haſt du denn?“ Hiebei ſah Brandes, wie er ſo auf dem Rücken lag, in die Höhe, ſprang dann mit einem Satze auf und wie beſeſſen in’s Geſtrüpp hinein.
Todtenbleich kam er auf dem Schloſſe an: in der Judenbuche hänge ein Menſch; er habe die Beine gerade über ſeinem Geſichte hängen ſehen. — „Und du haſt ihn nicht abgeſchnitten, Eſel?“ rief der Baron.
„Herr,“ keuchte Brandes, „wenn Ew. Gnaden da geweſen wären, ſo wüßten Sie wohl, daß der Menſch nicht mehr lebt. Ich glaubte Anfangs, es ſeien die Pilze.“ — Dennoch trieb der Gutsherr zur größten Eile und zog ſelbſt mit hinaus.
Sie waren unter der Buche angelangt. „Ich
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ſtehen, dann einfallen und einen unerträglichen Ge-
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Nachbarn zu ſpüren, er wandte ſich ein paarmal
hin und her, mochte aber doch nicht aufſtehen; ſein
Hund ſprang unterdeſſen umher, kratzte am Stamm
der Buche und bellte hinauf. „Was haſt du da,
Bello? eine Katze?“ murmelte Brandes. Er öffnete
die Wimper halb und die Judenſchrift fiel ihm in’s
Auge, ſehr ausgewachſen, aber doch noch ganz kennt-
lich. Er ſchloß die Augen wieder; der Hund fuhr
fort zu bellen und legte endlich ſeinem Herrn die
kalte Schnauze an’s Geſicht.
„Laß mich in Ruh! was haſt du denn?“
Hiebei ſah Brandes, wie er ſo auf dem Rücken lag,
in die Höhe, ſprang dann mit einem Satze auf und
wie beſeſſen in’s Geſtrüpp hinein.
Todtenbleich kam er auf dem Schloſſe an: in
der Judenbuche hänge ein Menſch; er habe die
Beine gerade über ſeinem Geſichte hängen ſehen. —
„Und du haſt ihn nicht abgeſchnitten, Eſel?“ rief
der Baron.
„Herr,“ keuchte Brandes, „wenn Ew. Gnaden
da geweſen wären, ſo wüßten Sie wohl, daß der
Menſch nicht mehr lebt. Ich glaubte Anfangs, es
ſeien die Pilze.“ — Dennoch trieb der Gutsherr zur
größten Eile und zog ſelbſt mit hinaus.
Sie waren unter der Buche angelangt. „Ich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/242>, abgerufen am 16.06.2024.
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