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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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Ueberlegung, der Einblick in die Bedingungen des socialen
Wohls die Menschen beeinflussen könne, im Dienste desselben
zu wirken. Und hier ist der Punkt, worin sich Comte's
Altruismus von Feuerbach's Liebe unterscheidet. Appelliert
Feuerbach an das frei aus dem Herzen fließende Wohlwollen,
an die natürliche Menschenliebe, so ruft Comte die Reflektion
zu Hilfe, damit sie zur Ueberwindung des Egoismus mitwirke.
Auch Comte setzt natürliches Wohlwollen voraus, doch
bedarf dasselbe nach seiner Ansicht der Unterstützung durch
den Verstand*), dessen höchstes Verdienst wieder in dieser
Mitwirkung besteht, denn das Herz, das Gefühl haben in
der neuen Lehre die Oberhand über den Jntellekt. Vermag
der Verstand dem Herzen gegen den Egoismus auch Hilfe
zu leisten, so muß er sich dem Herzen doch unterordnen.
War es einst heilsam, daß der Verstand die Herrschaft an
sich riß, damit die Wissenschaften ihre jetzige Höhe erreichen
konnten, so sei doch in dieser Hinsicht das Wichtigste gethan,
und muß der seit dem Mittelalter bestehenden Suprematie
des Verstandes nun ein Ende gemacht werden, indem das
Herz die weitere Führung der Menschheit übernimmt. Comte
bezeichnet den Unterschied zwischen seiner ersten und zweiten
philosophischen Periode in Bezug auf das Verhältniß von
Herz und Geist in der Widmung seiner "Politique positive"
mit den Worten**): "Apres avoir noblement consacre la

*) I. p. 16: Leurascendant spontane peut etre beaucoup seconde par
l'intelligence, quand elle s'applique a consolider la sociabilite en ap-
preciant mieux les vrais rapports naturels, et a les developper en
eclairant son exercice a l'aide des indications du passe sur l'avenir.
C'est dans ce noble service que la nouvelle philosophie fait consister
la principale destination de l'esprit, auquel ainsi elle fournit a la
fois une incomparable consecration et un champ bien plus propre a le
satisfaire profondement que ses vains triomphes academiques et ses
pueriles investigations actuelles."
**) I. p. VII.

Ueberlegung, der Einblick in die Bedingungen des ſocialen
Wohls die Menſchen beeinfluſſen könne, im Dienſte desſelben
zu wirken. Und hier iſt der Punkt, worin ſich Comte’s
Altruismus von Feuerbach’s Liebe unterſcheidet. Appelliert
Feuerbach an das frei aus dem Herzen fließende Wohlwollen,
an die natürliche Menſchenliebe, ſo ruft Comte die Reflektion
zu Hilfe, damit ſie zur Ueberwindung des Egoismus mitwirke.
Auch Comte ſetzt natürliches Wohlwollen voraus, doch
bedarf dasſelbe nach ſeiner Anſicht der Unterſtützung durch
den Verſtand*), deſſen höchſtes Verdienſt wieder in dieſer
Mitwirkung beſteht, denn das Herz, das Gefühl haben in
der neuen Lehre die Oberhand über den Jntellekt. Vermag
der Verſtand dem Herzen gegen den Egoismus auch Hilfe
zu leiſten, ſo muß er ſich dem Herzen doch unterordnen.
War es einſt heilſam, daß der Verſtand die Herrſchaft an
ſich riß, damit die Wiſſenſchaften ihre jetzige Höhe erreichen
konnten, ſo ſei doch in dieſer Hinſicht das Wichtigſte gethan,
und muß der ſeit dem Mittelalter beſtehenden Suprematie
des Verſtandes nun ein Ende gemacht werden, indem das
Herz die weitere Führung der Menſchheit übernimmt. Comte
bezeichnet den Unterſchied zwiſchen ſeiner erſten und zweiten
philoſophiſchen Periode in Bezug auf das Verhältniß von
Herz und Geiſt in der Widmung ſeiner „Politique positive
mit den Worten**): „Après avoir noblement consacré la

*) I. p. 16: Leurascendant spontané peut être beaucoup secondé par
l’intelligence, quand elle s’applique à consolider la sociabilité en ap-
préciant mieux les vrais rapports naturels, et à les développer en
éclairant son exercice à l’aide des indications du passé sur l’avenir.
C’est dans ce noble service que la nouvelle philosophie fait consister
la principale destination de l’esprit, auquel ainsi elle fournit à la
fois une incomparable consécration et un champ bien plus propre à le
satisfaire profondément que ses vains triomphes académiques et ses
puériles investigations actuelles.“
**) I. p. VII.
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[14/0023] Ueberlegung, der Einblick in die Bedingungen des ſocialen Wohls die Menſchen beeinfluſſen könne, im Dienſte desſelben zu wirken. Und hier iſt der Punkt, worin ſich Comte’s Altruismus von Feuerbach’s Liebe unterſcheidet. Appelliert Feuerbach an das frei aus dem Herzen fließende Wohlwollen, an die natürliche Menſchenliebe, ſo ruft Comte die Reflektion zu Hilfe, damit ſie zur Ueberwindung des Egoismus mitwirke. Auch Comte ſetzt natürliches Wohlwollen voraus, doch bedarf dasſelbe nach ſeiner Anſicht der Unterſtützung durch den Verſtand *), deſſen höchſtes Verdienſt wieder in dieſer Mitwirkung beſteht, denn das Herz, das Gefühl haben in der neuen Lehre die Oberhand über den Jntellekt. Vermag der Verſtand dem Herzen gegen den Egoismus auch Hilfe zu leiſten, ſo muß er ſich dem Herzen doch unterordnen. War es einſt heilſam, daß der Verſtand die Herrſchaft an ſich riß, damit die Wiſſenſchaften ihre jetzige Höhe erreichen konnten, ſo ſei doch in dieſer Hinſicht das Wichtigſte gethan, und muß der ſeit dem Mittelalter beſtehenden Suprematie des Verſtandes nun ein Ende gemacht werden, indem das Herz die weitere Führung der Menſchheit übernimmt. Comte bezeichnet den Unterſchied zwiſchen ſeiner erſten und zweiten philoſophiſchen Periode in Bezug auf das Verhältniß von Herz und Geiſt in der Widmung ſeiner „Politique positive“ mit den Worten **): „Après avoir noblement consacré la *) I. p. 16: Leurascendant spontané peut être beaucoup secondé par l’intelligence, quand elle s’applique à consolider la sociabilité en ap- préciant mieux les vrais rapports naturels, et à les développer en éclairant son exercice à l’aide des indications du passé sur l’avenir. C’est dans ce noble service que la nouvelle philosophie fait consister la principale destination de l’esprit, auquel ainsi elle fournit à la fois une incomparable consécration et un champ bien plus propre à le satisfaire profondément que ses vains triomphes académiques et ses puériles investigations actuelles.“ **) I. p. VII.

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/23>, abgerufen am 26.04.2024.