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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
begonnen hatte, nun auf die Jungfrau Maria über. Bis dahin
nur gefeiert als die Gottesmutter, wird ihr jetzt als der Jungfrau,
als der Frau ein völlig selbstständiger Dienst geweiht. Sie wird
zur Himmelskaiserin, zur Königin der Frauen, zum Ideal aller
irdischen Schönheit. Wie das Herz des Mannes auch in weiter
Ferne der Geliebten in beständigem Sehnen still gedenkt und ihr
oft selbst erträumtes Bild im Innern unverlöschlich mit sich trägt,
so gedenket die fromme Seele in stiller, verzückter Andacht der
Jungfrau Maria. Der arme geistliche Schüler, da er der irdischen
Minne entsagen muß, widmet all seine Inbrunst, sein sehnendes
Verlangen ihrem wunderschönen Bilde, das seine Seele träume-
risch erfüllt. Und die hohe Himmelskönigin läßt sich herab, wie
die frommen Legenden erzählen, gnadenvoll in das Leben des
liebenden Schülers persönlich einzugreifen. In lichter Schönheit,
die den Wald durchleuchtet und der Sonne den Schein nimmt,
angethan mit kostbaren, strahlenden Gewändern, erscheint sie ihm
und mit ihrer "schneeweißen Hand" -- wie die Legende nie zu
sagen vergißt -- setzt sie ihm den Rosenkranz auf das Haupt, oder
führt den Armen vor den Augen der staunenden Gläubigen als
Priester an ihren Altar.

In demselben Sinne wird auch das Ritterthum durch die
veränderte Stellung der Frau umgeschaffen, ja es erhält durch sie
erst seine Eigenthümlichkeit, denn der Frauendienst ist des ritter-
lichen Lebens edlere, milde und menschliche Seite, er ist seine
Seele. Im unmittelbaren Dienst schöner und edler Frauen wächst
der adlige Knabe heran; zum Manne erstarkt, widmet er sich und
seine Thaten einer auserwählten Geliebten. Beim Ritterschlag
legt sie ihm die goldenen Sporen an und umgürtet ihn mit dem
Schwert; er gelobt sie zu schützen und zu schirmen, ihren Ruhm
auszubreiten; ihre Farbe trägt er im Kampf, und aus ihrer Hand
empfängt er wieder den Preis seiner Siege. Unter ihrem beleben-
den und verfeinernden Einfluß wird das Ritterthum ein lustiges,
farbenbuntes und poesiereiches Wesen. Die Schilde, die Helme,
die Waffenröcke, die wallenden Pferdedecken überziehen sich mit hel-
len Farben und heitern Wappenbildern, Feste auf Feste werden

1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
begonnen hatte, nun auf die Jungfrau Maria über. Bis dahin
nur gefeiert als die Gottesmutter, wird ihr jetzt als der Jungfrau,
als der Frau ein völlig ſelbſtſtändiger Dienſt geweiht. Sie wird
zur Himmelskaiſerin, zur Königin der Frauen, zum Ideal aller
irdiſchen Schönheit. Wie das Herz des Mannes auch in weiter
Ferne der Geliebten in beſtändigem Sehnen ſtill gedenkt und ihr
oft ſelbſt erträumtes Bild im Innern unverlöſchlich mit ſich trägt,
ſo gedenket die fromme Seele in ſtiller, verzückter Andacht der
Jungfrau Maria. Der arme geiſtliche Schüler, da er der irdiſchen
Minne entſagen muß, widmet all ſeine Inbrunſt, ſein ſehnendes
Verlangen ihrem wunderſchönen Bilde, das ſeine Seele träume-
riſch erfüllt. Und die hohe Himmelskönigin läßt ſich herab, wie
die frommen Legenden erzählen, gnadenvoll in das Leben des
liebenden Schülers perſönlich einzugreifen. In lichter Schönheit,
die den Wald durchleuchtet und der Sonne den Schein nimmt,
angethan mit koſtbaren, ſtrahlenden Gewändern, erſcheint ſie ihm
und mit ihrer „ſchneeweißen Hand“ — wie die Legende nie zu
ſagen vergißt — ſetzt ſie ihm den Roſenkranz auf das Haupt, oder
führt den Armen vor den Augen der ſtaunenden Gläubigen als
Prieſter an ihren Altar.

In demſelben Sinne wird auch das Ritterthum durch die
veränderte Stellung der Frau umgeſchaffen, ja es erhält durch ſie
erſt ſeine Eigenthümlichkeit, denn der Frauendienſt iſt des ritter-
lichen Lebens edlere, milde und menſchliche Seite, er iſt ſeine
Seele. Im unmittelbaren Dienſt ſchöner und edler Frauen wächſt
der adlige Knabe heran; zum Manne erſtarkt, widmet er ſich und
ſeine Thaten einer auserwählten Geliebten. Beim Ritterſchlag
legt ſie ihm die goldenen Sporen an und umgürtet ihn mit dem
Schwert; er gelobt ſie zu ſchützen und zu ſchirmen, ihren Ruhm
auszubreiten; ihre Farbe trägt er im Kampf, und aus ihrer Hand
empfängt er wieder den Preis ſeiner Siege. Unter ihrem beleben-
den und verfeinernden Einfluß wird das Ritterthum ein luſtiges,
farbenbuntes und poeſiereiches Weſen. Die Schilde, die Helme,
die Waffenröcke, die wallenden Pferdedecken überziehen ſich mit hel-
len Farben und heitern Wappenbildern, Feſte auf Feſte werden

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[77/0095] 1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. begonnen hatte, nun auf die Jungfrau Maria über. Bis dahin nur gefeiert als die Gottesmutter, wird ihr jetzt als der Jungfrau, als der Frau ein völlig ſelbſtſtändiger Dienſt geweiht. Sie wird zur Himmelskaiſerin, zur Königin der Frauen, zum Ideal aller irdiſchen Schönheit. Wie das Herz des Mannes auch in weiter Ferne der Geliebten in beſtändigem Sehnen ſtill gedenkt und ihr oft ſelbſt erträumtes Bild im Innern unverlöſchlich mit ſich trägt, ſo gedenket die fromme Seele in ſtiller, verzückter Andacht der Jungfrau Maria. Der arme geiſtliche Schüler, da er der irdiſchen Minne entſagen muß, widmet all ſeine Inbrunſt, ſein ſehnendes Verlangen ihrem wunderſchönen Bilde, das ſeine Seele träume- riſch erfüllt. Und die hohe Himmelskönigin läßt ſich herab, wie die frommen Legenden erzählen, gnadenvoll in das Leben des liebenden Schülers perſönlich einzugreifen. In lichter Schönheit, die den Wald durchleuchtet und der Sonne den Schein nimmt, angethan mit koſtbaren, ſtrahlenden Gewändern, erſcheint ſie ihm und mit ihrer „ſchneeweißen Hand“ — wie die Legende nie zu ſagen vergißt — ſetzt ſie ihm den Roſenkranz auf das Haupt, oder führt den Armen vor den Augen der ſtaunenden Gläubigen als Prieſter an ihren Altar. In demſelben Sinne wird auch das Ritterthum durch die veränderte Stellung der Frau umgeſchaffen, ja es erhält durch ſie erſt ſeine Eigenthümlichkeit, denn der Frauendienſt iſt des ritter- lichen Lebens edlere, milde und menſchliche Seite, er iſt ſeine Seele. Im unmittelbaren Dienſt ſchöner und edler Frauen wächſt der adlige Knabe heran; zum Manne erſtarkt, widmet er ſich und ſeine Thaten einer auserwählten Geliebten. Beim Ritterſchlag legt ſie ihm die goldenen Sporen an und umgürtet ihn mit dem Schwert; er gelobt ſie zu ſchützen und zu ſchirmen, ihren Ruhm auszubreiten; ihre Farbe trägt er im Kampf, und aus ihrer Hand empfängt er wieder den Preis ſeiner Siege. Unter ihrem beleben- den und verfeinernden Einfluß wird das Ritterthum ein luſtiges, farbenbuntes und poeſiereiches Weſen. Die Schilde, die Helme, die Waffenröcke, die wallenden Pferdedecken überziehen ſich mit hel- len Farben und heitern Wappenbildern, Feſte auf Feſte werden

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/95>, abgerufen am 30.04.2024.