Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Das Mittelalter.
plötzlich umwendet, und er die Blutstropfen aus dem Auge ver-
liert. Da der Ritter vom Rosse gestochen, fesselt ihn aufs Neue
die Macht der Minne durch den blutigen Schnee. Sprachlos hält
er wieder, versunken und verloren, daß ihn der zweite Ritter erst
durch einen Schlag aus dem Zauber herausreißen muß. Als auch
dieser im Kampf erlegen, vermag erst der dritte den Bann zu
lösen, mit dem der Minne Allgewalt den Helden verstrickt hält,
indem er ein Tuch über die Blutstropfen deckt: da kehrt Sprache
und Besinnung zurück.

Die Lyrik, von der Minne geschaffen, athmet denselben Geist
wie das Epos in noch höherem Grade, ja fast ausschließlich. In
dem engen, ewig neuen und schönen Kreise der Liebe und des
Frühlings drehen sich fast alle Gedanken der lyrischen Dichter und
variiren unermüdlich dasselbe Thema in unendlicher Weise. Sie
schwelgen in Gefühlen bis zur Liebeskrankheit, an welcher die
ganze Zeit leidet, sie wissen aber sehr wohl, daß von der Liebe
nur die Liebe heilt, wie die Worte sagen:

"Süßer, rosenfarbner Mund,
Komm und mache mich gesund."

Diese verliebte Stimmung weiß auch die Kunst mit den ge-
ringsten Mitteln aufs sprechendste wiederzugeben, so vielfach un-
beholfen sie sonst noch ist, namentlich die Malerei, und es ihr
unendliche Mühe kostet, Köpfe und Hände und Füße zu zeichnen.
Alle Sentimentalität, alles Schmachten und Sehnen liegt in einer
schwanken Haltung und Biegung des Körpers, in dem leisen Nei-
gen des Kopfes zur Seite, in den langgezogenen Augen mit den
herabhängenden Liedern, oft in einem Blick, der nur durch einen
Druck der Feder hervorgebracht erscheint.

In diese zur geistigen Erregung so geneigte Zeit brachte der
Verkehr mit dem Orient, der sich bisher auf die Handelsverbin-
dungen und die Berührungen in Sicilien und Spanien beschränkt
hatte, durch die Kreuzzüge noch ein eigenthümliches Element.
Schon ohnehin ist der deutsche Geist zur Phantastik geneigt und
wird gleich gereizt von abenteuerlichen, wundersamen Formen.
von südlicher Farbengluth wie von der geheimnißvollen Welt des

II. Das Mittelalter.
plötzlich umwendet, und er die Blutstropfen aus dem Auge ver-
liert. Da der Ritter vom Roſſe geſtochen, feſſelt ihn aufs Neue
die Macht der Minne durch den blutigen Schnee. Sprachlos hält
er wieder, verſunken und verloren, daß ihn der zweite Ritter erſt
durch einen Schlag aus dem Zauber herausreißen muß. Als auch
dieſer im Kampf erlegen, vermag erſt der dritte den Bann zu
löſen, mit dem der Minne Allgewalt den Helden verſtrickt hält,
indem er ein Tuch über die Blutstropfen deckt: da kehrt Sprache
und Beſinnung zurück.

Die Lyrik, von der Minne geſchaffen, athmet denſelben Geiſt
wie das Epos in noch höherem Grade, ja faſt ausſchließlich. In
dem engen, ewig neuen und ſchönen Kreiſe der Liebe und des
Frühlings drehen ſich faſt alle Gedanken der lyriſchen Dichter und
variiren unermüdlich daſſelbe Thema in unendlicher Weiſe. Sie
ſchwelgen in Gefühlen bis zur Liebeskrankheit, an welcher die
ganze Zeit leidet, ſie wiſſen aber ſehr wohl, daß von der Liebe
nur die Liebe heilt, wie die Worte ſagen:

„Süßer, roſenfarbner Mund,
Komm und mache mich geſund.“

Dieſe verliebte Stimmung weiß auch die Kunſt mit den ge-
ringſten Mitteln aufs ſprechendſte wiederzugeben, ſo vielfach un-
beholfen ſie ſonſt noch iſt, namentlich die Malerei, und es ihr
unendliche Mühe koſtet, Köpfe und Hände und Füße zu zeichnen.
Alle Sentimentalität, alles Schmachten und Sehnen liegt in einer
ſchwanken Haltung und Biegung des Körpers, in dem leiſen Nei-
gen des Kopfes zur Seite, in den langgezogenen Augen mit den
herabhängenden Liedern, oft in einem Blick, der nur durch einen
Druck der Feder hervorgebracht erſcheint.

In dieſe zur geiſtigen Erregung ſo geneigte Zeit brachte der
Verkehr mit dem Orient, der ſich bisher auf die Handelsverbin-
dungen und die Berührungen in Sicilien und Spanien beſchränkt
hatte, durch die Kreuzzüge noch ein eigenthümliches Element.
Schon ohnehin iſt der deutſche Geiſt zur Phantaſtik geneigt und
wird gleich gereizt von abenteuerlichen, wunderſamen Formen.
von ſüdlicher Farbengluth wie von der geheimnißvollen Welt des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0098" n="80"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/>
plötzlich umwendet, und er die Blutstropfen aus dem Auge ver-<lb/>
liert. Da der Ritter vom Ro&#x017F;&#x017F;e ge&#x017F;tochen, fe&#x017F;&#x017F;elt ihn aufs Neue<lb/>
die Macht der Minne durch den blutigen Schnee. Sprachlos hält<lb/>
er wieder, ver&#x017F;unken und verloren, daß ihn der zweite Ritter er&#x017F;t<lb/>
durch einen Schlag aus dem Zauber herausreißen muß. Als auch<lb/>
die&#x017F;er im Kampf erlegen, vermag er&#x017F;t der dritte den Bann zu<lb/>&#x017F;en, mit dem der Minne Allgewalt den Helden ver&#x017F;trickt hält,<lb/>
indem er ein Tuch über die Blutstropfen deckt: da kehrt Sprache<lb/>
und Be&#x017F;innung zurück.</p><lb/>
            <p>Die Lyrik, von der Minne ge&#x017F;chaffen, athmet den&#x017F;elben Gei&#x017F;t<lb/>
wie das Epos in noch höherem Grade, ja fa&#x017F;t aus&#x017F;chließlich. In<lb/>
dem engen, ewig neuen und &#x017F;chönen Krei&#x017F;e der Liebe und des<lb/>
Frühlings drehen &#x017F;ich fa&#x017F;t alle Gedanken der lyri&#x017F;chen Dichter und<lb/>
variiren unermüdlich da&#x017F;&#x017F;elbe Thema in unendlicher Wei&#x017F;e. Sie<lb/>
&#x017F;chwelgen in Gefühlen bis zur Liebeskrankheit, an welcher die<lb/>
ganze Zeit leidet, &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;en aber &#x017F;ehr wohl, daß von der Liebe<lb/>
nur die Liebe heilt, wie die Worte &#x017F;agen:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>&#x201E;Süßer, ro&#x017F;enfarbner Mund,</l><lb/>
              <l>Komm und mache mich ge&#x017F;und.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <p>Die&#x017F;e verliebte Stimmung weiß auch die Kun&#x017F;t mit den ge-<lb/>
ring&#x017F;ten Mitteln aufs &#x017F;prechend&#x017F;te wiederzugeben, &#x017F;o vielfach un-<lb/>
beholfen &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t noch i&#x017F;t, namentlich die Malerei, und es ihr<lb/>
unendliche Mühe ko&#x017F;tet, Köpfe und Hände und Füße zu zeichnen.<lb/>
Alle Sentimentalität, alles Schmachten und Sehnen liegt in einer<lb/>
&#x017F;chwanken Haltung und Biegung des Körpers, in dem lei&#x017F;en Nei-<lb/>
gen des Kopfes zur Seite, in den langgezogenen Augen mit den<lb/>
herabhängenden Liedern, oft in einem Blick, der nur durch einen<lb/>
Druck der Feder hervorgebracht er&#x017F;cheint.</p><lb/>
            <p>In die&#x017F;e zur gei&#x017F;tigen Erregung &#x017F;o geneigte Zeit brachte der<lb/>
Verkehr mit dem Orient, der &#x017F;ich bisher auf die Handelsverbin-<lb/>
dungen und die Berührungen in Sicilien und Spanien be&#x017F;chränkt<lb/>
hatte, durch die Kreuzzüge noch ein eigenthümliches Element.<lb/>
Schon ohnehin i&#x017F;t der deut&#x017F;che Gei&#x017F;t zur Phanta&#x017F;tik geneigt und<lb/>
wird gleich gereizt von abenteuerlichen, wunder&#x017F;amen Formen.<lb/>
von &#x017F;üdlicher Farbengluth wie von der geheimnißvollen Welt des<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0098] II. Das Mittelalter. plötzlich umwendet, und er die Blutstropfen aus dem Auge ver- liert. Da der Ritter vom Roſſe geſtochen, feſſelt ihn aufs Neue die Macht der Minne durch den blutigen Schnee. Sprachlos hält er wieder, verſunken und verloren, daß ihn der zweite Ritter erſt durch einen Schlag aus dem Zauber herausreißen muß. Als auch dieſer im Kampf erlegen, vermag erſt der dritte den Bann zu löſen, mit dem der Minne Allgewalt den Helden verſtrickt hält, indem er ein Tuch über die Blutstropfen deckt: da kehrt Sprache und Beſinnung zurück. Die Lyrik, von der Minne geſchaffen, athmet denſelben Geiſt wie das Epos in noch höherem Grade, ja faſt ausſchließlich. In dem engen, ewig neuen und ſchönen Kreiſe der Liebe und des Frühlings drehen ſich faſt alle Gedanken der lyriſchen Dichter und variiren unermüdlich daſſelbe Thema in unendlicher Weiſe. Sie ſchwelgen in Gefühlen bis zur Liebeskrankheit, an welcher die ganze Zeit leidet, ſie wiſſen aber ſehr wohl, daß von der Liebe nur die Liebe heilt, wie die Worte ſagen: „Süßer, roſenfarbner Mund, Komm und mache mich geſund.“ Dieſe verliebte Stimmung weiß auch die Kunſt mit den ge- ringſten Mitteln aufs ſprechendſte wiederzugeben, ſo vielfach un- beholfen ſie ſonſt noch iſt, namentlich die Malerei, und es ihr unendliche Mühe koſtet, Köpfe und Hände und Füße zu zeichnen. Alle Sentimentalität, alles Schmachten und Sehnen liegt in einer ſchwanken Haltung und Biegung des Körpers, in dem leiſen Nei- gen des Kopfes zur Seite, in den langgezogenen Augen mit den herabhängenden Liedern, oft in einem Blick, der nur durch einen Druck der Feder hervorgebracht erſcheint. In dieſe zur geiſtigen Erregung ſo geneigte Zeit brachte der Verkehr mit dem Orient, der ſich bisher auf die Handelsverbin- dungen und die Berührungen in Sicilien und Spanien beſchränkt hatte, durch die Kreuzzüge noch ein eigenthümliches Element. Schon ohnehin iſt der deutſche Geiſt zur Phantaſtik geneigt und wird gleich gereizt von abenteuerlichen, wunderſamen Formen. von ſüdlicher Farbengluth wie von der geheimnißvollen Welt des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/98
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/98>, abgerufen am 30.04.2024.