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Fouqué, Friedrich de la Motte: Undine, eine Erzählung. In: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahrsschrift für romantische Dichtungen, 1811, Frühlings-Heft, S. 1–189.

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geborne gedankt; ich müßte auch lügen, wenn
ich sagen wollte, mir wäre auf dem Hin- oder
Rückwege durch den Wald irgend etwas bedenk-
licheres aufgestoßen, als sonst, wie ich denn nie
etwas Unheimliches dorten gesehn habe. Der
Herr war immer mit mir in den verwunderli-
chen Schatten.

Da zog er sein Mützchen von dem kahlen
Schädel, und blieb eine Zeitlang in betenden
Gedanken sitzen. Dann bedeckte er sich wieder,
und sprach fort:

Dießeits des Waldes, ach dießeits, da zog
mir das Elend entgegen. Meine Frau kam ge-
gangen mit strömenden Augen wie zwei Bäche;
sie hatte Trauerkleider angelegt. -- O lieber
Gott, ächzte ich, wo ist unser liebes Kind? Sag'
an! -- Bei dem, den Du rufest, lieber Mann
entgegnete sie, und wir gingen nun stillweinend
mit einander in die Hütte. Ich suchte nach der
kleinen Leiche; da erfuhr ich erst, wie Alles ge-
kommen war. Am Seeufer hatte meine Frau
mit dem Kinde gesessen, und wie sie so recht

geborne gedankt; ich muͤßte auch luͤgen, wenn
ich ſagen wollte, mir waͤre auf dem Hin- oder
Ruͤckwege durch den Wald irgend etwas bedenk-
licheres aufgeſtoßen, als ſonſt, wie ich denn nie
etwas Unheimliches dorten geſehn habe. Der
Herr war immer mit mir in den verwunderli-
chen Schatten.

Da zog er ſein Muͤtzchen von dem kahlen
Schaͤdel, und blieb eine Zeitlang in betenden
Gedanken ſitzen. Dann bedeckte er ſich wieder,
und ſprach fort:

Dießeits des Waldes, ach dießeits, da zog
mir das Elend entgegen. Meine Frau kam ge-
gangen mit ſtroͤmenden Augen wie zwei Baͤche;
ſie hatte Trauerkleider angelegt. — O lieber
Gott, aͤchzte ich, wo iſt unſer liebes Kind? Sag’
an! — Bei dem, den Du rufeſt, lieber Mann
entgegnete ſie, und wir gingen nun ſtillweinend
mit einander in die Huͤtte. Ich ſuchte nach der
kleinen Leiche; da erfuhr ich erſt, wie Alles ge-
kommen war. Am Seeufer hatte meine Frau
mit dem Kinde geſeſſen, und wie ſie ſo recht

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[21/0035] geborne gedankt; ich muͤßte auch luͤgen, wenn ich ſagen wollte, mir waͤre auf dem Hin- oder Ruͤckwege durch den Wald irgend etwas bedenk- licheres aufgeſtoßen, als ſonſt, wie ich denn nie etwas Unheimliches dorten geſehn habe. Der Herr war immer mit mir in den verwunderli- chen Schatten. Da zog er ſein Muͤtzchen von dem kahlen Schaͤdel, und blieb eine Zeitlang in betenden Gedanken ſitzen. Dann bedeckte er ſich wieder, und ſprach fort: Dießeits des Waldes, ach dießeits, da zog mir das Elend entgegen. Meine Frau kam ge- gangen mit ſtroͤmenden Augen wie zwei Baͤche; ſie hatte Trauerkleider angelegt. — O lieber Gott, aͤchzte ich, wo iſt unſer liebes Kind? Sag’ an! — Bei dem, den Du rufeſt, lieber Mann entgegnete ſie, und wir gingen nun ſtillweinend mit einander in die Huͤtte. Ich ſuchte nach der kleinen Leiche; da erfuhr ich erſt, wie Alles ge- kommen war. Am Seeufer hatte meine Frau mit dem Kinde geſeſſen, und wie ſie ſo recht

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Zitationshilfe: Fouqué, Friedrich de la Motte: Undine, eine Erzählung. In: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahrsschrift für romantische Dichtungen, 1811, Frühlings-Heft, S. 1–189, hier S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_undine_1811/35>, abgerufen am 30.04.2024.