Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Ein Fragment. Leipzig, 1790.Ein Fragment. Erst kam deine Liebeswuth übergeflossen,Wie vom geschmolznen Schnee ein Bächlein übersteigt; Du hast sie ihr in's Herz gegossen, Nun ist dein Bächlein wieder seicht. Mich dünkt, anstatt in Wäldern zu thronen, Ließ es dem großen Herren gut, Das arme affenjunge Blut Für seine Liebe zu belohnen. Die Zeit wird ihr erbärmlich lang; Sie steht am Fenster, sieht die Wolken ziehn Über die alte Stadtmauer hin. Wenn ich ein Vöglein wär'! So geht ihr Ge- sang Taglang, halbe Nächte lang. Einmal ist sie munter, meist betrübt, Einmal recht ausgeweint, Dann wieder ruhig, wie's scheint, Und immer verliebt. Faust. Schlange! Schlange! Ein Fragment. Erſt kam deine Liebeswuth übergefloſſen,Wie vom geſchmolznen Schnee ein Bächlein überſteigt; Du haſt ſie ihr in’s Herz gegoſſen, Nun iſt dein Bächlein wieder ſeicht. Mich dünkt, anſtatt in Wäldern zu thronen, Ließ es dem großen Herren gut, Das arme affenjunge Blut Für ſeine Liebe zu belohnen. Die Zeit wird ihr erbärmlich lang; Sie ſteht am Fenſter, ſieht die Wolken ziehn Über die alte Stadtmauer hin. Wenn ich ein Vöglein wär’! So geht ihr Ge- ſang Taglang, halbe Nächte lang. Einmal iſt ſie munter, meiſt betrübt, Einmal recht ausgeweint, Dann wieder ruhig, wie’s ſcheint, Und immer verliebt. Fauſt. Schlange! Schlange! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#MEP"> <p><pb facs="#f0167" n="157"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ein Fragment</hi>.</fw><lb/> Erſt kam deine Liebeswuth übergefloſſen,<lb/> Wie vom geſchmolznen Schnee ein Bächlein<lb/> überſteigt;<lb/> Du haſt ſie ihr in’s Herz gegoſſen,<lb/> Nun iſt dein Bächlein wieder ſeicht.<lb/> Mich dünkt, anſtatt in Wäldern zu thronen,<lb/> Ließ es dem großen Herren gut,<lb/> Das arme affenjunge Blut<lb/> Für ſeine Liebe zu belohnen.<lb/> Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;<lb/> Sie ſteht am Fenſter, ſieht die Wolken ziehn<lb/> Über die alte Stadtmauer hin.<lb/> Wenn ich ein Vöglein wär’! So geht ihr Ge-<lb/> ſang<lb/> Taglang, halbe Nächte lang.<lb/> Einmal iſt ſie munter, meiſt betrübt,<lb/> Einmal recht ausgeweint,<lb/> Dann wieder ruhig, wie’s ſcheint,<lb/> Und immer verliebt.</p> </sp><lb/> <sp who="#FAU"> <speaker><hi rendition="#g">Fauſt</hi>.</speaker><lb/> <p>Schlange! Schlange!</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [157/0167]
Ein Fragment.
Erſt kam deine Liebeswuth übergefloſſen,
Wie vom geſchmolznen Schnee ein Bächlein
überſteigt;
Du haſt ſie ihr in’s Herz gegoſſen,
Nun iſt dein Bächlein wieder ſeicht.
Mich dünkt, anſtatt in Wäldern zu thronen,
Ließ es dem großen Herren gut,
Das arme affenjunge Blut
Für ſeine Liebe zu belohnen.
Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;
Sie ſteht am Fenſter, ſieht die Wolken ziehn
Über die alte Stadtmauer hin.
Wenn ich ein Vöglein wär’! So geht ihr Ge-
ſang
Taglang, halbe Nächte lang.
Einmal iſt ſie munter, meiſt betrübt,
Einmal recht ausgeweint,
Dann wieder ruhig, wie’s ſcheint,
Und immer verliebt.
Fauſt.
Schlange! Schlange!
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Ein Fragment. Leipzig, 1790, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faustfragment_1790/167>, abgerufen am 15.06.2024. |