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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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mußte ihn vor vielen Andern in die Classe
derjenigen rechnen, welche practische Philoso¬
phen, bewußtlose Weltweisen genannt wurden.

Die Stunde, wo die Gallerie eröffnet
werden sollte, mit Ungeduld erwartet, erschien.
Ich trat in dieses Heiligthum, und meine Ver¬
wunderung überstieg jeden Begriff, den ich
mir gemacht hatte. Dieser in sich selbst wie¬
derkehrende Saal, in welchem Pracht und
Reinlichkeit bey der größten Stille herrschten,
die blendenden Rahmen, alle der Zeit noch
näher, in der sie verguldet wurden, der ge¬
bohnte Fußboden, die mehr von Schauenden
betretenen als von Arbeitenden benutzten Räu¬
me gaben ein Gefühl von Feyerlichkeit, ein¬
zig in seiner Art, das um so mehr der Em¬
pfindung ähnelte, womit man ein Gotteshaus
betritt, als der Schmuck so manches Tem¬
pels, der Gegenstand so mancher Anbetung
hier abermals, nur zu heiligen Kunstzwecken
aufgestellt erschien. Ich ließ mir die cursori¬

mußte ihn vor vielen Andern in die Claſſe
derjenigen rechnen, welche practiſche Philoſo¬
phen, bewußtloſe Weltweiſen genannt wurden.

Die Stunde, wo die Gallerie eroͤffnet
werden ſollte, mit Ungeduld erwartet, erſchien.
Ich trat in dieſes Heiligthum, und meine Ver¬
wunderung uͤberſtieg jeden Begriff, den ich
mir gemacht hatte. Dieſer in ſich ſelbſt wie¬
derkehrende Saal, in welchem Pracht und
Reinlichkeit bey der groͤßten Stille herrſchten,
die blendenden Rahmen, alle der Zeit noch
naͤher, in der ſie verguldet wurden, der ge¬
bohnte Fußboden, die mehr von Schauenden
betretenen als von Arbeitenden benutzten Raͤu¬
me gaben ein Gefuͤhl von Feyerlichkeit, ein¬
zig in ſeiner Art, das um ſo mehr der Em¬
pfindung aͤhnelte, womit man ein Gotteshaus
betritt, als der Schmuck ſo manches Tem¬
pels, der Gegenſtand ſo mancher Anbetung
hier abermals, nur zu heiligen Kunſtzwecken
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[258/0266] mußte ihn vor vielen Andern in die Claſſe derjenigen rechnen, welche practiſche Philoſo¬ phen, bewußtloſe Weltweiſen genannt wurden. Die Stunde, wo die Gallerie eroͤffnet werden ſollte, mit Ungeduld erwartet, erſchien. Ich trat in dieſes Heiligthum, und meine Ver¬ wunderung uͤberſtieg jeden Begriff, den ich mir gemacht hatte. Dieſer in ſich ſelbſt wie¬ derkehrende Saal, in welchem Pracht und Reinlichkeit bey der groͤßten Stille herrſchten, die blendenden Rahmen, alle der Zeit noch naͤher, in der ſie verguldet wurden, der ge¬ bohnte Fußboden, die mehr von Schauenden betretenen als von Arbeitenden benutzten Raͤu¬ me gaben ein Gefuͤhl von Feyerlichkeit, ein¬ zig in ſeiner Art, das um ſo mehr der Em¬ pfindung aͤhnelte, womit man ein Gotteshaus betritt, als der Schmuck ſo manches Tem¬ pels, der Gegenſtand ſo mancher Anbetung hier abermals, nur zu heiligen Kunſtzwecken aufgeſtellt erſchien. Ich ließ mir die curſori¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/266>, abgerufen am 26.04.2024.