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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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gehört, und mit allgemeinem Applaus begrüßt wurde. Von dieser Rede sage ich
nichts, denn ich habe mir ein für allemal vorgenommen, auf keinen Discours d'appa¬
rat zu hören, und noch weniger einen solchen zu beurtheilen; ich weiß aber, Herr
Stassart macht in dem seinigen eine imaginäre Reise durch alle Provinzen Belgiens und
zollte im Durchflug jeder Lokalität sowie jeder Celebrität das passende Lob. Interessant
war der Vortrag des Herrn Quetelet, man vermißte das Trockne solcher Protokollar¬
beiten, denn was er ablas, war fast eine kurzgefaßte Geschichte der Akademie zumal
unter der gegenwärtigen Regierung. Es muß bemerkt werden, daß von den dreien
Mitgliedern des Ausschusses oder Bureaus, der Direktor Herr Stassart ein Wallone
aus Mons, der Vicepräsident, Herr Gerlache ein Lütticher und der Sekretair Herr
Quetelet ein Flamänder ist, dergestalt daß die drei Hauptbestandtheile der belgischen
Nation würdig repräsentirt sind. Ein komisches Ereigniß störte die ernste Scene. Der
Zufall schien den Beweis geben zu wollen, daß eine Combination von hellen, Tagslicht
mit dem einiger Wachskerzen, von etwa 100 Strahlen Gaslicht und von 30 bis 40 Aka¬
demikern nebst so vieler andrer Gelehrten noch nicht das Non plus ultra vom Erleuch-
tungsstoff darbietet. Das Gas, welches den Saal erleuchtete, hatte sich aus
allen Strahlen der Leuchter eine Oeffnung gebahnt, und stieg in hohen Säu¬
len aus den Gläsern empor, von denen einige platzten; und da es bei dieser wie
bei mancher übermäßigen Beleuchtung nicht an Dampf und Dunst fehlte, so sah das
intellectuelle Licht sich auf kurze Zeit zum Schweigen genöthigt, bis einige Aufwärter
das Gas zum Gehorsam brachten. Ich brauche wohl nicht zu sagen, zu wie vielen
Witzen dieser Zufall allerseits Anlaß gab. Die Unterbrechung hatte, glücklicherweise, nicht
lange gewährt, Herr Roulez endigte noch während der Beschäftigung des Dieners sei¬
nen Bericht, und der Herr Secretair verkündete die Sieger im akademischen Wettstreit.
Die außerordentliche Helle war auch schon ganz wieder verschwunden, als der erste die¬
ser Sieger, ein junger Geistlicher, der Abbe Nameche, Professor an der Universität zu
Löwen, hervorgetreten war, um aus den Händen des Direktors die goldene Medaille
für seine Schrift über die Verdienste des spanischen Gelehrten Vivez, Schüler des be¬
rühmten Erasmus, in Empfang zu nehmen. Für die Bearbeitung einer wichtigen che¬
mischen Frage ward keine goldene Medaille, sondern qua accessit zwei silberne zuer¬
kannt, von denen die Eine von dem anwesenden jungen brüsseler gelehrten Chemiker
Herrn Louqet empfangen, die Andere aber, welche dem Herrn Ververs, Pro¬
fessor an der holländischen Universität zu Groningen, zuerkannt war, dem Niederlande-
schen Gesandten Herrn Falck überhändigt wurde. Daß aber endlich auch deutsche Ge¬
lehrte nicht leer ausgingen, sondern einem jungen Mathematiker Herrn Moritz
Stern zu Göttingen die goldene Medaille für seine Schrift über ein einge-
sandtes mathematisches Memoire zuerkannt wurde, dies war's, worüber auch ich mich
am meisten freute. Die Göttinger Universität bedarf der Verjüngung und des frischen
Nachwuchses.    S.



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gehört, und mit allgemeinem Applaus begrüßt wurde. Von dieser Rede sage ich
nichts, denn ich habe mir ein für allemal vorgenommen, auf keinen Discours d'appa¬
rat zu hören, und noch weniger einen solchen zu beurtheilen; ich weiß aber, Herr
Stassart macht in dem seinigen eine imaginäre Reise durch alle Provinzen Belgiens und
zollte im Durchflug jeder Lokalität sowie jeder Celebrität das passende Lob. Interessant
war der Vortrag des Herrn Quetelet, man vermißte das Trockne solcher Protokollar¬
beiten, denn was er ablas, war fast eine kurzgefaßte Geschichte der Akademie zumal
unter der gegenwärtigen Regierung. Es muß bemerkt werden, daß von den dreien
Mitgliedern des Ausschusses oder Bureaus, der Direktor Herr Stassart ein Wallone
aus Mons, der Vicepräsident, Herr Gerlache ein Lütticher und der Sekretair Herr
Quetelet ein Flamänder ist, dergestalt daß die drei Hauptbestandtheile der belgischen
Nation würdig repräsentirt sind. Ein komisches Ereigniß störte die ernste Scene. Der
Zufall schien den Beweis geben zu wollen, daß eine Combination von hellen, Tagslicht
mit dem einiger Wachskerzen, von etwa 100 Strahlen Gaslicht und von 30 bis 40 Aka¬
demikern nebst so vieler andrer Gelehrten noch nicht das Non plus ultra vom Erleuch-
tungsstoff darbietet. Das Gas, welches den Saal erleuchtete, hatte sich aus
allen Strahlen der Leuchter eine Oeffnung gebahnt, und stieg in hohen Säu¬
len aus den Gläsern empor, von denen einige platzten; und da es bei dieser wie
bei mancher übermäßigen Beleuchtung nicht an Dampf und Dunst fehlte, so sah das
intellectuelle Licht sich auf kurze Zeit zum Schweigen genöthigt, bis einige Aufwärter
das Gas zum Gehorsam brachten. Ich brauche wohl nicht zu sagen, zu wie vielen
Witzen dieser Zufall allerseits Anlaß gab. Die Unterbrechung hatte, glücklicherweise, nicht
lange gewährt, Herr Roulez endigte noch während der Beschäftigung des Dieners sei¬
nen Bericht, und der Herr Secretair verkündete die Sieger im akademischen Wettstreit.
Die außerordentliche Helle war auch schon ganz wieder verschwunden, als der erste die¬
ser Sieger, ein junger Geistlicher, der Abbé Nameche, Professor an der Universität zu
Löwen, hervorgetreten war, um aus den Händen des Direktors die goldene Medaille
für seine Schrift über die Verdienste des spanischen Gelehrten Vivez, Schüler des be¬
rühmten Erasmus, in Empfang zu nehmen. Für die Bearbeitung einer wichtigen che¬
mischen Frage ward keine goldene Medaille, sondern qua accessit zwei silberne zuer¬
kannt, von denen die Eine von dem anwesenden jungen brüsseler gelehrten Chemiker
Herrn Louqet empfangen, die Andere aber, welche dem Herrn Ververs, Pro¬
fessor an der holländischen Universität zu Groningen, zuerkannt war, dem Niederlande-
schen Gesandten Herrn Falck überhändigt wurde. Daß aber endlich auch deutsche Ge¬
lehrte nicht leer ausgingen, sondern einem jungen Mathematiker Herrn Moritz
Stern zu Göttingen die goldene Medaille für seine Schrift über ein einge-
sandtes mathematisches Memoire zuerkannt wurde, dies war's, worüber auch ich mich
am meisten freute. Die Göttinger Universität bedarf der Verjüngung und des frischen
Nachwuchses.    S.



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[277/0285] gehört, und mit allgemeinem Applaus begrüßt wurde. Von dieser Rede sage ich nichts, denn ich habe mir ein für allemal vorgenommen, auf keinen Discours d'appa¬ rat zu hören, und noch weniger einen solchen zu beurtheilen; ich weiß aber, Herr Stassart macht in dem seinigen eine imaginäre Reise durch alle Provinzen Belgiens und zollte im Durchflug jeder Lokalität sowie jeder Celebrität das passende Lob. Interessant war der Vortrag des Herrn Quetelet, man vermißte das Trockne solcher Protokollar¬ beiten, denn was er ablas, war fast eine kurzgefaßte Geschichte der Akademie zumal unter der gegenwärtigen Regierung. Es muß bemerkt werden, daß von den dreien Mitgliedern des Ausschusses oder Bureaus, der Direktor Herr Stassart ein Wallone aus Mons, der Vicepräsident, Herr Gerlache ein Lütticher und der Sekretair Herr Quetelet ein Flamänder ist, dergestalt daß die drei Hauptbestandtheile der belgischen Nation würdig repräsentirt sind. Ein komisches Ereigniß störte die ernste Scene. Der Zufall schien den Beweis geben zu wollen, daß eine Combination von hellen, Tagslicht mit dem einiger Wachskerzen, von etwa 100 Strahlen Gaslicht und von 30 bis 40 Aka¬ demikern nebst so vieler andrer Gelehrten noch nicht das Non plus ultra vom Erleuch- tungsstoff darbietet. Das Gas, welches den Saal erleuchtete, hatte sich aus allen Strahlen der Leuchter eine Oeffnung gebahnt, und stieg in hohen Säu¬ len aus den Gläsern empor, von denen einige platzten; und da es bei dieser wie bei mancher übermäßigen Beleuchtung nicht an Dampf und Dunst fehlte, so sah das intellectuelle Licht sich auf kurze Zeit zum Schweigen genöthigt, bis einige Aufwärter das Gas zum Gehorsam brachten. Ich brauche wohl nicht zu sagen, zu wie vielen Witzen dieser Zufall allerseits Anlaß gab. Die Unterbrechung hatte, glücklicherweise, nicht lange gewährt, Herr Roulez endigte noch während der Beschäftigung des Dieners sei¬ nen Bericht, und der Herr Secretair verkündete die Sieger im akademischen Wettstreit. Die außerordentliche Helle war auch schon ganz wieder verschwunden, als der erste die¬ ser Sieger, ein junger Geistlicher, der Abbé Nameche, Professor an der Universität zu Löwen, hervorgetreten war, um aus den Händen des Direktors die goldene Medaille für seine Schrift über die Verdienste des spanischen Gelehrten Vivez, Schüler des be¬ rühmten Erasmus, in Empfang zu nehmen. Für die Bearbeitung einer wichtigen che¬ mischen Frage ward keine goldene Medaille, sondern qua accessit zwei silberne zuer¬ kannt, von denen die Eine von dem anwesenden jungen brüsseler gelehrten Chemiker Herrn Louqet empfangen, die Andere aber, welche dem Herrn Ververs, Pro¬ fessor an der holländischen Universität zu Groningen, zuerkannt war, dem Niederlande- schen Gesandten Herrn Falck überhändigt wurde. Daß aber endlich auch deutsche Ge¬ lehrte nicht leer ausgingen, sondern einem jungen Mathematiker Herrn Moritz Stern zu Göttingen die goldene Medaille für seine Schrift über ein einge- sandtes mathematisches Memoire zuerkannt wurde, dies war's, worüber auch ich mich am meisten freute. Die Göttinger Universität bedarf der Verjüngung und des frischen Nachwuchses. S. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/285>, abgerufen am 16.05.2024.