Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ches nichts weniger als der Gegensatz des Philisterthums ist, muß ich
doch des Umstandes erwähnen, daß die Studirenden der juristischen
Facultät, welche alljährlich einen glänzenden Ball zu veranstalten pfle¬
gen, der sich sonst stets eines ausgezeichneten Renomves erfreute, dies¬
mal auf den sinnreichen Einfall gerathen waren, in das Festprogramm
die Klausel einzuschalten, daß Nichtjuristen unter fünfzig Lebens-
j.ehren keinen Zutritt haben. D!e nächste Folge dieser komischen Ve-
dingniß war eine trostlose Oede im Ballsaale, in dem meistens nur
ehrwürdige Matronen ihre Reize zur Schau trugen, indeß die junge
Damenw.le diese beleidigende Zurücksetzung der ihr befreundeten Her¬
ren durch ein schnödes Ausbleiben zu rächen wußte.

Sämmtliche Dramen Gutzkows; heißt es hier, würden vom Re-
pertoir der Hofbühne auf den Wunsch des Staatskanzlers entfernt
werden; eine Maaßregel, die in der Verstimmung wurzelt, welche durch
Gutzkows schneidendes Urtheil in den "Wiener Eindrücken" in ge¬
wissen Regionen gegen diesen geistreichen Schriftsteller hervorgerufen
ward. Heute kommt Oehlenschlägers: "Dina" zur Aufführung, eine
Dichtung, der man wenig theatralischen Effect zutraut. Im Theater
an der Wien singt Herr Pischek aus Stuttgart und macht volle Häu¬
ser; Gestalt, Spiel, Organ befähigen diesen ausgezeichneten Künstler
zum ersten Baritonsänger, obschon sein Vortrag an einer gewissen
süßlichen Manier leidet und manchmal in girrende Koketterie überzu¬
gehen pflegt.

Die gefährliche Erkrankung des Erzherzogs Karl, der an einem
Schlagfluß schwer darniederliegt, ließ einige Zeit den Hintritt des grei¬
sen Feldherrn besorgen, allein diese Befürchtung ist bis jetzt nicht in
Erfüllung gegangen und der Kranke bereits wieder auf dem Wege
der Besserung, wenn auch noch nicht alle Gefahr vorüber sein dürste,
da der Erzherzog ein Greis von etlichen siebzig Jahren ist und ein
Rückfall leicht möglich scheint.

"i-. Lepsius ist auf der Rückreise von seiner großen Expedition
nach Egypten über Athen und Trieft hier angekommen, wo ihm die
auszeichnendste Aufnahme zu Theil wurde. Die gelehrten Kreise sehen
der Veröffentlichung der genauen Resultate seiner im Gebiete der
archäologischen Forschungen so reichen Ausbeute mit Begierde entge¬
gen. -- Höchst interessante Beobachtungen hat unlängst Dr. Dittl
in einer gelehrten Versammlung mitgetheilt, die sich auf die Wahr¬
nehmung einer neuen, ganz eigenthümlichen Knochenkrankheit bei den
in den Phosphorzündhölzchen-Fabriken verwendeten Arbeitern bezo¬
gen und die Aufmerksamkeit der Aerzte sowol als der Staatsverwal¬
tung verdienen. -- Ein vielgereister Arzt Dr. Neider dagegen wies
darauf hin, daß die vielbesprochene Kartoffelkrankheit schon in früheren
Perioden dagewesen sei, und daß die Frucht ohne menschliches Zuthun
in den folgenden Jahren wieder gesund, schmackhaft und genießbar


ches nichts weniger als der Gegensatz des Philisterthums ist, muß ich
doch des Umstandes erwähnen, daß die Studirenden der juristischen
Facultät, welche alljährlich einen glänzenden Ball zu veranstalten pfle¬
gen, der sich sonst stets eines ausgezeichneten Renomves erfreute, dies¬
mal auf den sinnreichen Einfall gerathen waren, in das Festprogramm
die Klausel einzuschalten, daß Nichtjuristen unter fünfzig Lebens-
j.ehren keinen Zutritt haben. D!e nächste Folge dieser komischen Ve-
dingniß war eine trostlose Oede im Ballsaale, in dem meistens nur
ehrwürdige Matronen ihre Reize zur Schau trugen, indeß die junge
Damenw.le diese beleidigende Zurücksetzung der ihr befreundeten Her¬
ren durch ein schnödes Ausbleiben zu rächen wußte.

Sämmtliche Dramen Gutzkows; heißt es hier, würden vom Re-
pertoir der Hofbühne auf den Wunsch des Staatskanzlers entfernt
werden; eine Maaßregel, die in der Verstimmung wurzelt, welche durch
Gutzkows schneidendes Urtheil in den „Wiener Eindrücken" in ge¬
wissen Regionen gegen diesen geistreichen Schriftsteller hervorgerufen
ward. Heute kommt Oehlenschlägers: „Dina" zur Aufführung, eine
Dichtung, der man wenig theatralischen Effect zutraut. Im Theater
an der Wien singt Herr Pischek aus Stuttgart und macht volle Häu¬
ser; Gestalt, Spiel, Organ befähigen diesen ausgezeichneten Künstler
zum ersten Baritonsänger, obschon sein Vortrag an einer gewissen
süßlichen Manier leidet und manchmal in girrende Koketterie überzu¬
gehen pflegt.

Die gefährliche Erkrankung des Erzherzogs Karl, der an einem
Schlagfluß schwer darniederliegt, ließ einige Zeit den Hintritt des grei¬
sen Feldherrn besorgen, allein diese Befürchtung ist bis jetzt nicht in
Erfüllung gegangen und der Kranke bereits wieder auf dem Wege
der Besserung, wenn auch noch nicht alle Gefahr vorüber sein dürste,
da der Erzherzog ein Greis von etlichen siebzig Jahren ist und ein
Rückfall leicht möglich scheint.

»i-. Lepsius ist auf der Rückreise von seiner großen Expedition
nach Egypten über Athen und Trieft hier angekommen, wo ihm die
auszeichnendste Aufnahme zu Theil wurde. Die gelehrten Kreise sehen
der Veröffentlichung der genauen Resultate seiner im Gebiete der
archäologischen Forschungen so reichen Ausbeute mit Begierde entge¬
gen. — Höchst interessante Beobachtungen hat unlängst Dr. Dittl
in einer gelehrten Versammlung mitgetheilt, die sich auf die Wahr¬
nehmung einer neuen, ganz eigenthümlichen Knochenkrankheit bei den
in den Phosphorzündhölzchen-Fabriken verwendeten Arbeitern bezo¬
gen und die Aufmerksamkeit der Aerzte sowol als der Staatsverwal¬
tung verdienen. — Ein vielgereister Arzt Dr. Neider dagegen wies
darauf hin, daß die vielbesprochene Kartoffelkrankheit schon in früheren
Perioden dagewesen sei, und daß die Frucht ohne menschliches Zuthun
in den folgenden Jahren wieder gesund, schmackhaft und genießbar


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182048"/>
            <p xml:id="ID_543" prev="#ID_542"> ches nichts weniger als der Gegensatz des Philisterthums ist, muß ich<lb/>
doch des Umstandes erwähnen, daß die Studirenden der juristischen<lb/>
Facultät, welche alljährlich einen glänzenden Ball zu veranstalten pfle¬<lb/>
gen, der sich sonst stets eines ausgezeichneten Renomves erfreute, dies¬<lb/>
mal auf den sinnreichen Einfall gerathen waren, in das Festprogramm<lb/>
die Klausel einzuschalten, daß Nichtjuristen unter fünfzig Lebens-<lb/>
j.ehren keinen Zutritt haben. D!e nächste Folge dieser komischen Ve-<lb/>
dingniß war eine trostlose Oede im Ballsaale, in dem meistens nur<lb/>
ehrwürdige Matronen ihre Reize zur Schau trugen, indeß die junge<lb/>
Damenw.le diese beleidigende Zurücksetzung der ihr befreundeten Her¬<lb/>
ren durch ein schnödes Ausbleiben zu rächen wußte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_544"> Sämmtliche Dramen Gutzkows; heißt es hier, würden vom Re-<lb/>
pertoir der Hofbühne auf den Wunsch des Staatskanzlers entfernt<lb/>
werden; eine Maaßregel, die in der Verstimmung wurzelt, welche durch<lb/>
Gutzkows schneidendes Urtheil in den &#x201E;Wiener Eindrücken" in ge¬<lb/>
wissen Regionen gegen diesen geistreichen Schriftsteller hervorgerufen<lb/>
ward. Heute kommt Oehlenschlägers: &#x201E;Dina" zur Aufführung, eine<lb/>
Dichtung, der man wenig theatralischen Effect zutraut. Im Theater<lb/>
an der Wien singt Herr Pischek aus Stuttgart und macht volle Häu¬<lb/>
ser; Gestalt, Spiel, Organ befähigen diesen ausgezeichneten Künstler<lb/>
zum ersten Baritonsänger, obschon sein Vortrag an einer gewissen<lb/>
süßlichen Manier leidet und manchmal in girrende Koketterie überzu¬<lb/>
gehen pflegt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_545"> Die gefährliche Erkrankung des Erzherzogs Karl, der an einem<lb/>
Schlagfluß schwer darniederliegt, ließ einige Zeit den Hintritt des grei¬<lb/>
sen Feldherrn besorgen, allein diese Befürchtung ist bis jetzt nicht in<lb/>
Erfüllung gegangen und der Kranke bereits wieder auf dem Wege<lb/>
der Besserung, wenn auch noch nicht alle Gefahr vorüber sein dürste,<lb/>
da der Erzherzog ein Greis von etlichen siebzig Jahren ist und ein<lb/>
Rückfall leicht möglich scheint.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_546" next="#ID_547"> »i-. Lepsius ist auf der Rückreise von seiner großen Expedition<lb/>
nach Egypten über Athen und Trieft hier angekommen, wo ihm die<lb/>
auszeichnendste Aufnahme zu Theil wurde. Die gelehrten Kreise sehen<lb/>
der Veröffentlichung der genauen Resultate seiner im Gebiete der<lb/>
archäologischen Forschungen so reichen Ausbeute mit Begierde entge¬<lb/>
gen. &#x2014; Höchst interessante Beobachtungen hat unlängst Dr. Dittl<lb/>
in einer gelehrten Versammlung mitgetheilt, die sich auf die Wahr¬<lb/>
nehmung einer neuen, ganz eigenthümlichen Knochenkrankheit bei den<lb/>
in den Phosphorzündhölzchen-Fabriken verwendeten Arbeitern bezo¬<lb/>
gen und die Aufmerksamkeit der Aerzte sowol als der Staatsverwal¬<lb/>
tung verdienen. &#x2014; Ein vielgereister Arzt Dr. Neider dagegen wies<lb/>
darauf hin, daß die vielbesprochene Kartoffelkrankheit schon in früheren<lb/>
Perioden dagewesen sei, und daß die Frucht ohne menschliches Zuthun<lb/>
in den folgenden Jahren wieder gesund, schmackhaft und genießbar</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0248] ches nichts weniger als der Gegensatz des Philisterthums ist, muß ich doch des Umstandes erwähnen, daß die Studirenden der juristischen Facultät, welche alljährlich einen glänzenden Ball zu veranstalten pfle¬ gen, der sich sonst stets eines ausgezeichneten Renomves erfreute, dies¬ mal auf den sinnreichen Einfall gerathen waren, in das Festprogramm die Klausel einzuschalten, daß Nichtjuristen unter fünfzig Lebens- j.ehren keinen Zutritt haben. D!e nächste Folge dieser komischen Ve- dingniß war eine trostlose Oede im Ballsaale, in dem meistens nur ehrwürdige Matronen ihre Reize zur Schau trugen, indeß die junge Damenw.le diese beleidigende Zurücksetzung der ihr befreundeten Her¬ ren durch ein schnödes Ausbleiben zu rächen wußte. Sämmtliche Dramen Gutzkows; heißt es hier, würden vom Re- pertoir der Hofbühne auf den Wunsch des Staatskanzlers entfernt werden; eine Maaßregel, die in der Verstimmung wurzelt, welche durch Gutzkows schneidendes Urtheil in den „Wiener Eindrücken" in ge¬ wissen Regionen gegen diesen geistreichen Schriftsteller hervorgerufen ward. Heute kommt Oehlenschlägers: „Dina" zur Aufführung, eine Dichtung, der man wenig theatralischen Effect zutraut. Im Theater an der Wien singt Herr Pischek aus Stuttgart und macht volle Häu¬ ser; Gestalt, Spiel, Organ befähigen diesen ausgezeichneten Künstler zum ersten Baritonsänger, obschon sein Vortrag an einer gewissen süßlichen Manier leidet und manchmal in girrende Koketterie überzu¬ gehen pflegt. Die gefährliche Erkrankung des Erzherzogs Karl, der an einem Schlagfluß schwer darniederliegt, ließ einige Zeit den Hintritt des grei¬ sen Feldherrn besorgen, allein diese Befürchtung ist bis jetzt nicht in Erfüllung gegangen und der Kranke bereits wieder auf dem Wege der Besserung, wenn auch noch nicht alle Gefahr vorüber sein dürste, da der Erzherzog ein Greis von etlichen siebzig Jahren ist und ein Rückfall leicht möglich scheint. »i-. Lepsius ist auf der Rückreise von seiner großen Expedition nach Egypten über Athen und Trieft hier angekommen, wo ihm die auszeichnendste Aufnahme zu Theil wurde. Die gelehrten Kreise sehen der Veröffentlichung der genauen Resultate seiner im Gebiete der archäologischen Forschungen so reichen Ausbeute mit Begierde entge¬ gen. — Höchst interessante Beobachtungen hat unlängst Dr. Dittl in einer gelehrten Versammlung mitgetheilt, die sich auf die Wahr¬ nehmung einer neuen, ganz eigenthümlichen Knochenkrankheit bei den in den Phosphorzündhölzchen-Fabriken verwendeten Arbeitern bezo¬ gen und die Aufmerksamkeit der Aerzte sowol als der Staatsverwal¬ tung verdienen. — Ein vielgereister Arzt Dr. Neider dagegen wies darauf hin, daß die vielbesprochene Kartoffelkrankheit schon in früheren Perioden dagewesen sei, und daß die Frucht ohne menschliches Zuthun in den folgenden Jahren wieder gesund, schmackhaft und genießbar

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/248
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/248>, abgerufen am 01.11.2024.