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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Diese Versuche führten zu keinem Resultat. Nun kamen aber zwei Umstände hinzu,
welche die Sache endlich zur Entscheidung bringen mußten.

Einmal erfolgte namentlich seit dem Jahre 1821 von Seiten der Negierung
eine Reihe von Eingriffen in die Rechte von Korporationen und Privatpersonen,
theils, um administrative Reformen einseitig durchzuführen, theils aber und haupt¬
sächlich wegen der Verwirrung in den Finanzen. Gegen diese Eingriffe konnte"
die Staatsbürger keine rechtliche Abhülfe finden, da sie kein gesetzliches Organ
besaßen, denn anch die Gerichte wurden terrorisirt. Nur die Wiederherstellung
der ständischen Verfassung konnte ihre Rechte sicher stellen.

Sodann brachte sich die Negierung um allen moralischen Credit durch die
Maitressenwirthschaft, die am Hofe in einem Grade herrschend wurde, wie es nur
noch in deu Zeiten der Pompadour und Dübarry erhört war. Die Negierung
wurde von einer Camarilla geleitet, alle einflußreichen Stellen mit Kreaturen der
Gräfin Reichenbach besetzt, die angesehensten Männer fortwährenden Demüthigun¬
gen ausgesetzt. Es kam dahin, daß die allgemein verehrte Königin sich vom
Hofe entfernen mußte, daß der Thronerbe mit der herrschenden Partei brach.

Eine Regierung, die durch unausgesetzte Gewaltthätigkeiten das Volk aufregt,
die in sich selbst ohne Halt nud Maaß ist, die ihr moralisches Gewicht einbüßt --
eine solche Regierung kann sich auf die Dauer nicht halten. Der Einfluß der
Julirevolution gab der allgemeinen Aufregung Muth, die Excesse deö Militärs
gegen das Volk erzürnten dasselbe nur noch mehr, die Regierung hatte eigentlich
gar keine Partei, und so war -- in den Septembertagen des Jahres 1820 --
factisch ein Zustand der Anarchie eingetreten, als die Behörden von Cassel, die
Alles angewendet hatten, die Aufregung in den gesetzlichen Schranken zu halten,
dem Kurfürsten die Wünsche und Ansprüche des Volkes vortrugen. Der Kurfürst,
zuletzt von den eignen Ministern veranlaßt, ging endlich darauf ein; den 15. Sep¬
tember wurde die Wiederherstellung der Verfassung feierlich zugesagt, der Landtag
den 16. Octbr. nach altherkömmlicher Weise und in deu gesetzliche" Forme" einbe¬
rufn, die Verfassung "ach Grundlage des Entwurfs von 18 > 6 vou demselben be¬
rathen, und so auf dem Wege des Vertrags die neue Verfassungsurkunde zu
Stande gebracht, die am 5. Januar 1831 von dem Kurfürsten unterzeichnet und
de" Ständen übergeben, und von diesen wie von den Civil- und Militärbeamte"
feierlich beschworen wurde.

Diese Verfassung ging nicht aus einer Revolution hervor. Sie war ein Ver¬
trag zwischen dem Kurfürsten nud den legitimen Ständen, die widerrechtlich seit
14 Jahren geruht hatten. Sie war in durchaus rechtliche" Forme" eingeführt.
Sie ist seitdem faktisch und rechtlich in ununterbrochnem Bestehen gewesen. Kur¬
fürst Wilhelm!l. hat sich, weil er in seiner Persönlichkeit gekränkt war, von der
Regierung zurückgezogen und dieselbe seinem Sohn unter dein Titel eiues Mit¬
regenten übergeben, allein das ändert an der Sache nicht das mindeste. Noch in


Diese Versuche führten zu keinem Resultat. Nun kamen aber zwei Umstände hinzu,
welche die Sache endlich zur Entscheidung bringen mußten.

Einmal erfolgte namentlich seit dem Jahre 1821 von Seiten der Negierung
eine Reihe von Eingriffen in die Rechte von Korporationen und Privatpersonen,
theils, um administrative Reformen einseitig durchzuführen, theils aber und haupt¬
sächlich wegen der Verwirrung in den Finanzen. Gegen diese Eingriffe konnte»
die Staatsbürger keine rechtliche Abhülfe finden, da sie kein gesetzliches Organ
besaßen, denn anch die Gerichte wurden terrorisirt. Nur die Wiederherstellung
der ständischen Verfassung konnte ihre Rechte sicher stellen.

Sodann brachte sich die Negierung um allen moralischen Credit durch die
Maitressenwirthschaft, die am Hofe in einem Grade herrschend wurde, wie es nur
noch in deu Zeiten der Pompadour und Dübarry erhört war. Die Negierung
wurde von einer Camarilla geleitet, alle einflußreichen Stellen mit Kreaturen der
Gräfin Reichenbach besetzt, die angesehensten Männer fortwährenden Demüthigun¬
gen ausgesetzt. Es kam dahin, daß die allgemein verehrte Königin sich vom
Hofe entfernen mußte, daß der Thronerbe mit der herrschenden Partei brach.

Eine Regierung, die durch unausgesetzte Gewaltthätigkeiten das Volk aufregt,
die in sich selbst ohne Halt nud Maaß ist, die ihr moralisches Gewicht einbüßt —
eine solche Regierung kann sich auf die Dauer nicht halten. Der Einfluß der
Julirevolution gab der allgemeinen Aufregung Muth, die Excesse deö Militärs
gegen das Volk erzürnten dasselbe nur noch mehr, die Regierung hatte eigentlich
gar keine Partei, und so war — in den Septembertagen des Jahres 1820 —
factisch ein Zustand der Anarchie eingetreten, als die Behörden von Cassel, die
Alles angewendet hatten, die Aufregung in den gesetzlichen Schranken zu halten,
dem Kurfürsten die Wünsche und Ansprüche des Volkes vortrugen. Der Kurfürst,
zuletzt von den eignen Ministern veranlaßt, ging endlich darauf ein; den 15. Sep¬
tember wurde die Wiederherstellung der Verfassung feierlich zugesagt, der Landtag
den 16. Octbr. nach altherkömmlicher Weise und in deu gesetzliche» Forme» einbe¬
rufn, die Verfassung »ach Grundlage des Entwurfs von 18 > 6 vou demselben be¬
rathen, und so auf dem Wege des Vertrags die neue Verfassungsurkunde zu
Stande gebracht, die am 5. Januar 1831 von dem Kurfürsten unterzeichnet und
de» Ständen übergeben, und von diesen wie von den Civil- und Militärbeamte»
feierlich beschworen wurde.

Diese Verfassung ging nicht aus einer Revolution hervor. Sie war ein Ver¬
trag zwischen dem Kurfürsten nud den legitimen Ständen, die widerrechtlich seit
14 Jahren geruht hatten. Sie war in durchaus rechtliche» Forme» eingeführt.
Sie ist seitdem faktisch und rechtlich in ununterbrochnem Bestehen gewesen. Kur¬
fürst Wilhelm!l. hat sich, weil er in seiner Persönlichkeit gekränkt war, von der
Regierung zurückgezogen und dieselbe seinem Sohn unter dein Titel eiues Mit¬
regenten übergeben, allein das ändert an der Sache nicht das mindeste. Noch in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/442>, abgerufen am 26.04.2024.