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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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vor kurzem auf eine so eclatante Weise bei den Communalwahlen ausgedrückt
hat; und seine Zusammensetzung kündigt eine schwache und ungeschickte Ver¬
waltung an. Nichts ist befremdlicher, einer konstitutionellen Regierung weniger
würdig, als der Ursprung des gegenwärtigen Cabinets. Es ist aus einer In¬
trigue hervorgegangen, die in parlamentarischen Ländern bisher ohne Beispiel
war. Mit der Bildung eines Ministeriums beauftragt, wandte sich Herr De-
decker an den Herrn Vicomte V nam XIV., der in seine Combination einzu¬
treten jedoch förmlich verweigerte. Herr Dedecker suchte das ihm,fehlende Ele¬
ment anderswo, und eS gelang ihm, fünf Collegen für die Lenkung der
Staatsbarke zu finden. Aber die Notabilitäten der Rechten verweigerten ihm
ihre Unterstützung, und von Ohnmacht getroffen fiel Herr Dedecker, keineswegs
der parlamentarische, sondern der ministerielle Neuling, unter dem Gewicht des
Lächerlichen. Gezwungen dem Könige die empfangenen Vollmachten zurückzu¬
geben, war er nicht mehr mit dein geringsten Mandat versehen, hatte er nicht
mehr die Qualität, um ein Ministerium zu bilden. Jetzt vertraute der König
die Vollmachten einem Mitgliede der Linken an; Herr Tesch, früher schon
einmal Justizminister, war beauftragt, eine Verwaltung zu formiren. Die
aristokratisch klerikale Partei, welche nicht im Gefolge deS Herrn Dedecker sein
wollte, hatte indessen lebhafte Hoffnungen bewahrt, und ihre Organe verkünde¬
ten: daß die Chancen, eine wahrhaft conservative Verwaltung zu bilden, noch
nicht erschöpft wären. Männer von der Rechten, Aspiranten nach den Porte¬
feuilles, Kandidaten zu dem Steuerruder waren da, und sie erwarteten, daß
man sie beriefe. Aber alle Hoffnungen verschwanden und die Wünsche schei¬
terten; eine liberale Verwaltung konnte das Resultat der Schritte des Herrn
Tesch sein, und die klerikale Partei bedauerte es, Herrn Dedecker zurückgewiesen
zu haben. Plötzlich waren die Dispositionen verändert, die klerikale Presse
hatte andere Befehle bekommen; ihr grollendes Baßregister war verstummt, sie
spielte nur noch in den versöhnlichsten Zauberflötentönen, und die Rechte er¬
klärte sich bereit, ein Ministerium zu unterstützen, welches der Advocat und -
Publicist, der Akademiker und Dichter, der hochachtbare Deputirte von Ter-
monde, Herr Dedecker, bilden würde. Herr Vicomte Vilain XIV., der eS
gänzlich und kategorisch abgeschlagen, sich Herrn Dedecker zuzugefellen, er ge¬
bot seinen Abneigungen Schweigen, er beherrschte seinen Widerwillen, und
herablassend willigte er ein, das Portefeuille des Auswärtigen zu übernehmen.
Es bildete sich eine Combination, und, nach dem arroganten Ausdruck des
Journal de Brurelles, sie ward am lichten Tage zur Schau gestellt. Wer hatte
die Rechte dazu autonsirt, diese Combination zu machen? Wer war derjenige
von ihren politischen Männern, der Mandat hatte, ein Ministerium zu consti-
tuiren? Keiner. Herr Dedecker hatte seine Vollmachten zurückgegeben, statt
seiner hatte sie ein Mitglied der Linken empfangen, und Herr Tesch allein


vor kurzem auf eine so eclatante Weise bei den Communalwahlen ausgedrückt
hat; und seine Zusammensetzung kündigt eine schwache und ungeschickte Ver¬
waltung an. Nichts ist befremdlicher, einer konstitutionellen Regierung weniger
würdig, als der Ursprung des gegenwärtigen Cabinets. Es ist aus einer In¬
trigue hervorgegangen, die in parlamentarischen Ländern bisher ohne Beispiel
war. Mit der Bildung eines Ministeriums beauftragt, wandte sich Herr De-
decker an den Herrn Vicomte V nam XIV., der in seine Combination einzu¬
treten jedoch förmlich verweigerte. Herr Dedecker suchte das ihm,fehlende Ele¬
ment anderswo, und eS gelang ihm, fünf Collegen für die Lenkung der
Staatsbarke zu finden. Aber die Notabilitäten der Rechten verweigerten ihm
ihre Unterstützung, und von Ohnmacht getroffen fiel Herr Dedecker, keineswegs
der parlamentarische, sondern der ministerielle Neuling, unter dem Gewicht des
Lächerlichen. Gezwungen dem Könige die empfangenen Vollmachten zurückzu¬
geben, war er nicht mehr mit dein geringsten Mandat versehen, hatte er nicht
mehr die Qualität, um ein Ministerium zu bilden. Jetzt vertraute der König
die Vollmachten einem Mitgliede der Linken an; Herr Tesch, früher schon
einmal Justizminister, war beauftragt, eine Verwaltung zu formiren. Die
aristokratisch klerikale Partei, welche nicht im Gefolge deS Herrn Dedecker sein
wollte, hatte indessen lebhafte Hoffnungen bewahrt, und ihre Organe verkünde¬
ten: daß die Chancen, eine wahrhaft conservative Verwaltung zu bilden, noch
nicht erschöpft wären. Männer von der Rechten, Aspiranten nach den Porte¬
feuilles, Kandidaten zu dem Steuerruder waren da, und sie erwarteten, daß
man sie beriefe. Aber alle Hoffnungen verschwanden und die Wünsche schei¬
terten; eine liberale Verwaltung konnte das Resultat der Schritte des Herrn
Tesch sein, und die klerikale Partei bedauerte es, Herrn Dedecker zurückgewiesen
zu haben. Plötzlich waren die Dispositionen verändert, die klerikale Presse
hatte andere Befehle bekommen; ihr grollendes Baßregister war verstummt, sie
spielte nur noch in den versöhnlichsten Zauberflötentönen, und die Rechte er¬
klärte sich bereit, ein Ministerium zu unterstützen, welches der Advocat und -
Publicist, der Akademiker und Dichter, der hochachtbare Deputirte von Ter-
monde, Herr Dedecker, bilden würde. Herr Vicomte Vilain XIV., der eS
gänzlich und kategorisch abgeschlagen, sich Herrn Dedecker zuzugefellen, er ge¬
bot seinen Abneigungen Schweigen, er beherrschte seinen Widerwillen, und
herablassend willigte er ein, das Portefeuille des Auswärtigen zu übernehmen.
Es bildete sich eine Combination, und, nach dem arroganten Ausdruck des
Journal de Brurelles, sie ward am lichten Tage zur Schau gestellt. Wer hatte
die Rechte dazu autonsirt, diese Combination zu machen? Wer war derjenige
von ihren politischen Männern, der Mandat hatte, ein Ministerium zu consti-
tuiren? Keiner. Herr Dedecker hatte seine Vollmachten zurückgegeben, statt
seiner hatte sie ein Mitglied der Linken empfangen, und Herr Tesch allein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/221>, abgerufen am 16.05.2024.