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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Bundesgenossen in unnütze und gefährliche Kriege zu verwickeln. Preußen
muß ferner wünschen, daß Italien stark genug werde, um sich dem fran¬
zösischen Einfluß zu entziehen.

Gern geben wir zu. daß es natürlich ist, wenn das völkerrechtswidrige
Verfahren Garibaldis in der Seele jedes gebornen Herrschers gerechte Mißbilli¬
gung hervorruft. Darüber hatte uns schon die preußische Zeitung aufgeklärt.
In dieser Ansicht werden sich die beiden Monarchen in Teplitz begegnet sein. Aber
einmal ist von, diesem Urtheil bis zu einem Entschluß noch ein weiter Schritt.
Einen Entschluß in Bezug auf Neapel scheint Oestreich überhaupt noch nicht
gefaßt zu haben. Vielleicht daher die Uebereinstimmung. Wenn Frankreich
und England gemeinsam die Intervention des Auslands in Italien zurück¬
weisen-- noch ist es nicht geschehn -- so wird in diesem Fall erst zu erfragen
sein, wieweit jene Mißbilligung in einen Entschluß übergehn soll. -- Sodann
ist Garibaldi kein bloßer "Räuberhauptmann" mehr. Eine höchst legitime
Regierung -- die neapolitanische -- stellt ihn auf gleichen Fuß mit sich-, sie
unterhandelt mit ihm, schließt mit ihm einen Waffenstillstand; mit einem Wort,
mehr und mehr lassen die "vollendeten Thatsachen" auf dem rechtlos begon¬
nenen Unternehmen jenes Moos wachsen, das der erste Vorbote werdender
Legitimität ist.

Dann ist noch an eins zu erinnern: Garibaldi, so sehr er "Räuberhaupt¬
mann" genannt werden mag, hat doch ein stark konservatives Moment in sich;
er ist ein Mann der Ordnung, ja der Monarchie. Er leitet, aber er beherrscht
auch und reprimirt jene dunkle Kraft, die in richtige Bahnen geleitet, die
Staaten zum Blühen bringt; die einseitig zurückgehalten, sie zersprengt. Er
beherrscht sie freilich nur local; aber das Gefühl hat er überall für sich. Wir
erwähnen nur Garibaldi, als den zweifelhaftesten Punkt; über die italienische
Sache ist gar kein Zweifel. Und jene dunkle Kraft ist nirgend todt, wenn sie auch
schläft. -- Wir wiederholen: Heil dem Herrscher, der diesen dunkeln, aber
immer mächtiger werdenden Trieb des Nationalitätsprincips zu leiten, sich als
seinen Träger darzustellen weiß! denn seinem Geschlecht gehört die Zukunft.

Was den Orient betrifft, so erinnern wir an eine alte vergessene Ge¬
schichte. Als Ludwig der Vierzehnte Deutschland bedrohte, verfaßte der da¬
mals vicrundzwanzigjährige Leibnitz eine Denkschrift, in welcher eine Föde¬
ration Deutschlands, doch so, daß Oestreich daneben selbständig stehe, und
eine Eroberung Aegyptens durch Frankreich vorgeschlagen wurde. Der Vor¬
schlag hatte keine Folge, wie es denn wol überhaupt schwer sein wird, einem
Beherrscher Frankreichs die Meinung beizubringen, es sei für ihn bequemer,
nach Aegypten als nach dem Rhein zu marschiren. Wenn indessen der Be¬
herrscher Frankreichs zufällig von selbst auf den Gedanken kommt, so scheint
uns das vom deutschen Standpunkt eine ziemlich wünschenswerthe Combina-


Bundesgenossen in unnütze und gefährliche Kriege zu verwickeln. Preußen
muß ferner wünschen, daß Italien stark genug werde, um sich dem fran¬
zösischen Einfluß zu entziehen.

Gern geben wir zu. daß es natürlich ist, wenn das völkerrechtswidrige
Verfahren Garibaldis in der Seele jedes gebornen Herrschers gerechte Mißbilli¬
gung hervorruft. Darüber hatte uns schon die preußische Zeitung aufgeklärt.
In dieser Ansicht werden sich die beiden Monarchen in Teplitz begegnet sein. Aber
einmal ist von, diesem Urtheil bis zu einem Entschluß noch ein weiter Schritt.
Einen Entschluß in Bezug auf Neapel scheint Oestreich überhaupt noch nicht
gefaßt zu haben. Vielleicht daher die Uebereinstimmung. Wenn Frankreich
und England gemeinsam die Intervention des Auslands in Italien zurück¬
weisen— noch ist es nicht geschehn — so wird in diesem Fall erst zu erfragen
sein, wieweit jene Mißbilligung in einen Entschluß übergehn soll. — Sodann
ist Garibaldi kein bloßer „Räuberhauptmann" mehr. Eine höchst legitime
Regierung — die neapolitanische — stellt ihn auf gleichen Fuß mit sich-, sie
unterhandelt mit ihm, schließt mit ihm einen Waffenstillstand; mit einem Wort,
mehr und mehr lassen die „vollendeten Thatsachen" auf dem rechtlos begon¬
nenen Unternehmen jenes Moos wachsen, das der erste Vorbote werdender
Legitimität ist.

Dann ist noch an eins zu erinnern: Garibaldi, so sehr er „Räuberhaupt¬
mann" genannt werden mag, hat doch ein stark konservatives Moment in sich;
er ist ein Mann der Ordnung, ja der Monarchie. Er leitet, aber er beherrscht
auch und reprimirt jene dunkle Kraft, die in richtige Bahnen geleitet, die
Staaten zum Blühen bringt; die einseitig zurückgehalten, sie zersprengt. Er
beherrscht sie freilich nur local; aber das Gefühl hat er überall für sich. Wir
erwähnen nur Garibaldi, als den zweifelhaftesten Punkt; über die italienische
Sache ist gar kein Zweifel. Und jene dunkle Kraft ist nirgend todt, wenn sie auch
schläft. — Wir wiederholen: Heil dem Herrscher, der diesen dunkeln, aber
immer mächtiger werdenden Trieb des Nationalitätsprincips zu leiten, sich als
seinen Träger darzustellen weiß! denn seinem Geschlecht gehört die Zukunft.

Was den Orient betrifft, so erinnern wir an eine alte vergessene Ge¬
schichte. Als Ludwig der Vierzehnte Deutschland bedrohte, verfaßte der da¬
mals vicrundzwanzigjährige Leibnitz eine Denkschrift, in welcher eine Föde¬
ration Deutschlands, doch so, daß Oestreich daneben selbständig stehe, und
eine Eroberung Aegyptens durch Frankreich vorgeschlagen wurde. Der Vor¬
schlag hatte keine Folge, wie es denn wol überhaupt schwer sein wird, einem
Beherrscher Frankreichs die Meinung beizubringen, es sei für ihn bequemer,
nach Aegypten als nach dem Rhein zu marschiren. Wenn indessen der Be¬
herrscher Frankreichs zufällig von selbst auf den Gedanken kommt, so scheint
uns das vom deutschen Standpunkt eine ziemlich wünschenswerthe Combina-


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[0249] Bundesgenossen in unnütze und gefährliche Kriege zu verwickeln. Preußen muß ferner wünschen, daß Italien stark genug werde, um sich dem fran¬ zösischen Einfluß zu entziehen. Gern geben wir zu. daß es natürlich ist, wenn das völkerrechtswidrige Verfahren Garibaldis in der Seele jedes gebornen Herrschers gerechte Mißbilli¬ gung hervorruft. Darüber hatte uns schon die preußische Zeitung aufgeklärt. In dieser Ansicht werden sich die beiden Monarchen in Teplitz begegnet sein. Aber einmal ist von, diesem Urtheil bis zu einem Entschluß noch ein weiter Schritt. Einen Entschluß in Bezug auf Neapel scheint Oestreich überhaupt noch nicht gefaßt zu haben. Vielleicht daher die Uebereinstimmung. Wenn Frankreich und England gemeinsam die Intervention des Auslands in Italien zurück¬ weisen— noch ist es nicht geschehn — so wird in diesem Fall erst zu erfragen sein, wieweit jene Mißbilligung in einen Entschluß übergehn soll. — Sodann ist Garibaldi kein bloßer „Räuberhauptmann" mehr. Eine höchst legitime Regierung — die neapolitanische — stellt ihn auf gleichen Fuß mit sich-, sie unterhandelt mit ihm, schließt mit ihm einen Waffenstillstand; mit einem Wort, mehr und mehr lassen die „vollendeten Thatsachen" auf dem rechtlos begon¬ nenen Unternehmen jenes Moos wachsen, das der erste Vorbote werdender Legitimität ist. Dann ist noch an eins zu erinnern: Garibaldi, so sehr er „Räuberhaupt¬ mann" genannt werden mag, hat doch ein stark konservatives Moment in sich; er ist ein Mann der Ordnung, ja der Monarchie. Er leitet, aber er beherrscht auch und reprimirt jene dunkle Kraft, die in richtige Bahnen geleitet, die Staaten zum Blühen bringt; die einseitig zurückgehalten, sie zersprengt. Er beherrscht sie freilich nur local; aber das Gefühl hat er überall für sich. Wir erwähnen nur Garibaldi, als den zweifelhaftesten Punkt; über die italienische Sache ist gar kein Zweifel. Und jene dunkle Kraft ist nirgend todt, wenn sie auch schläft. — Wir wiederholen: Heil dem Herrscher, der diesen dunkeln, aber immer mächtiger werdenden Trieb des Nationalitätsprincips zu leiten, sich als seinen Träger darzustellen weiß! denn seinem Geschlecht gehört die Zukunft. Was den Orient betrifft, so erinnern wir an eine alte vergessene Ge¬ schichte. Als Ludwig der Vierzehnte Deutschland bedrohte, verfaßte der da¬ mals vicrundzwanzigjährige Leibnitz eine Denkschrift, in welcher eine Föde¬ ration Deutschlands, doch so, daß Oestreich daneben selbständig stehe, und eine Eroberung Aegyptens durch Frankreich vorgeschlagen wurde. Der Vor¬ schlag hatte keine Folge, wie es denn wol überhaupt schwer sein wird, einem Beherrscher Frankreichs die Meinung beizubringen, es sei für ihn bequemer, nach Aegypten als nach dem Rhein zu marschiren. Wenn indessen der Be¬ herrscher Frankreichs zufällig von selbst auf den Gedanken kommt, so scheint uns das vom deutschen Standpunkt eine ziemlich wünschenswerthe Combina-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/249>, abgerufen am 01.11.2024.