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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Gesäße folgte, und ihm schlössen die neugeweihten sich an, während der Ober¬
priester in der Vorhalle stehen blieb.

Jene überschritten die Schwelle der Cella, und man sah, wie das Bild
der Isis sich schwebend vor der Jupiterstatue erhob, so daß sie diese ver¬
deckte. Zugleich erdröhnte ein erschütternder Schlag, und die noch im rasenden
Tanze begriffenen Frommen lagen auf den Knieen, mit der Stirn den Boden
berührend. Der Oberpriester trat an den Rand der Treppe vor. streckte das
Sistrum mit der Rechten weit vor und rief mit einer über den ganzen Platz
vernehmlichen Stimme:

"Die Stunde ist vorüber; die Heilige entläßt den Lichtwandelnden; eilet
von hinnen!"

In einem Augenblick waren die Knieenden sämmtlich aufgesprungen und
zerstoben nach allen Seiten über das Forum. Ein dichter Rauch hüllte die
Treppe und die Vorhalle ein, aus dem nur das geschwungene Schwert des
Schwarzen hervorblitzte. Das Licht erlosch. Donnernd schlugen die Thüren
des Tempels zu, und als ich um mich schaute, war der Platz völlig geleert.
Ein leichter Nebel schwebte, seltsame Gestalten bildend, vor den Gebäuden
und Säulen, den Thorbogen und den hohen Postamenten. Ich schritt die
Treppe des Tempels hinauf zu der Vorhalle; auch sie war leer. Die Cella
stand offen und unbedacht, ihre Mauern waren ohne Bekleidung und Schmuck,
die Säulen verwittert, zum Theil gestürzt und gebrochen.

Ich wandte mich um und schritt über das Forum. Es war, wie ich es
oft gesehen, groß und gewaltig, aber in Trümmern, öde und einsam. Die
Säulen lagen am Boden, die Wände der Prachtgebäude waren nackt und
grau; von Bogen und Treppen fehlte die schimmernde Bekleidung. Der
Mond stand hoch darüber und übergoß Alles mit magischem Schimmer. --
Er leuchtete mir, als ich durch Straßen, ebenso einsam und trümmevhaft,
zum Thore zurückkehrte. Kein wachhaltender Krieger stand mehr dort; kein
Thorflügel schloß das weite Gewölbe, und zertrümmert lagen zu beiden
Seiten, von Erdreich bedeckt und von Gestrüpp überwachsen, die schwarzgrauen
Quadern der uralten Mauer. --

Noch oft bin ich an sonnigen Abenden und in Mondnächten nach Pom¬
peji gewandert, aber ich habe das alte Leben in den Straßen der Römerstadt
nicht mehr aufleben sehen.


Dr. R. Schoener.


Gesäße folgte, und ihm schlössen die neugeweihten sich an, während der Ober¬
priester in der Vorhalle stehen blieb.

Jene überschritten die Schwelle der Cella, und man sah, wie das Bild
der Isis sich schwebend vor der Jupiterstatue erhob, so daß sie diese ver¬
deckte. Zugleich erdröhnte ein erschütternder Schlag, und die noch im rasenden
Tanze begriffenen Frommen lagen auf den Knieen, mit der Stirn den Boden
berührend. Der Oberpriester trat an den Rand der Treppe vor. streckte das
Sistrum mit der Rechten weit vor und rief mit einer über den ganzen Platz
vernehmlichen Stimme:

„Die Stunde ist vorüber; die Heilige entläßt den Lichtwandelnden; eilet
von hinnen!"

In einem Augenblick waren die Knieenden sämmtlich aufgesprungen und
zerstoben nach allen Seiten über das Forum. Ein dichter Rauch hüllte die
Treppe und die Vorhalle ein, aus dem nur das geschwungene Schwert des
Schwarzen hervorblitzte. Das Licht erlosch. Donnernd schlugen die Thüren
des Tempels zu, und als ich um mich schaute, war der Platz völlig geleert.
Ein leichter Nebel schwebte, seltsame Gestalten bildend, vor den Gebäuden
und Säulen, den Thorbogen und den hohen Postamenten. Ich schritt die
Treppe des Tempels hinauf zu der Vorhalle; auch sie war leer. Die Cella
stand offen und unbedacht, ihre Mauern waren ohne Bekleidung und Schmuck,
die Säulen verwittert, zum Theil gestürzt und gebrochen.

Ich wandte mich um und schritt über das Forum. Es war, wie ich es
oft gesehen, groß und gewaltig, aber in Trümmern, öde und einsam. Die
Säulen lagen am Boden, die Wände der Prachtgebäude waren nackt und
grau; von Bogen und Treppen fehlte die schimmernde Bekleidung. Der
Mond stand hoch darüber und übergoß Alles mit magischem Schimmer. —
Er leuchtete mir, als ich durch Straßen, ebenso einsam und trümmevhaft,
zum Thore zurückkehrte. Kein wachhaltender Krieger stand mehr dort; kein
Thorflügel schloß das weite Gewölbe, und zertrümmert lagen zu beiden
Seiten, von Erdreich bedeckt und von Gestrüpp überwachsen, die schwarzgrauen
Quadern der uralten Mauer. —

Noch oft bin ich an sonnigen Abenden und in Mondnächten nach Pom¬
peji gewandert, aber ich habe das alte Leben in den Straßen der Römerstadt
nicht mehr aufleben sehen.


Dr. R. Schoener.


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[0314] Gesäße folgte, und ihm schlössen die neugeweihten sich an, während der Ober¬ priester in der Vorhalle stehen blieb. Jene überschritten die Schwelle der Cella, und man sah, wie das Bild der Isis sich schwebend vor der Jupiterstatue erhob, so daß sie diese ver¬ deckte. Zugleich erdröhnte ein erschütternder Schlag, und die noch im rasenden Tanze begriffenen Frommen lagen auf den Knieen, mit der Stirn den Boden berührend. Der Oberpriester trat an den Rand der Treppe vor. streckte das Sistrum mit der Rechten weit vor und rief mit einer über den ganzen Platz vernehmlichen Stimme: „Die Stunde ist vorüber; die Heilige entläßt den Lichtwandelnden; eilet von hinnen!" In einem Augenblick waren die Knieenden sämmtlich aufgesprungen und zerstoben nach allen Seiten über das Forum. Ein dichter Rauch hüllte die Treppe und die Vorhalle ein, aus dem nur das geschwungene Schwert des Schwarzen hervorblitzte. Das Licht erlosch. Donnernd schlugen die Thüren des Tempels zu, und als ich um mich schaute, war der Platz völlig geleert. Ein leichter Nebel schwebte, seltsame Gestalten bildend, vor den Gebäuden und Säulen, den Thorbogen und den hohen Postamenten. Ich schritt die Treppe des Tempels hinauf zu der Vorhalle; auch sie war leer. Die Cella stand offen und unbedacht, ihre Mauern waren ohne Bekleidung und Schmuck, die Säulen verwittert, zum Theil gestürzt und gebrochen. Ich wandte mich um und schritt über das Forum. Es war, wie ich es oft gesehen, groß und gewaltig, aber in Trümmern, öde und einsam. Die Säulen lagen am Boden, die Wände der Prachtgebäude waren nackt und grau; von Bogen und Treppen fehlte die schimmernde Bekleidung. Der Mond stand hoch darüber und übergoß Alles mit magischem Schimmer. — Er leuchtete mir, als ich durch Straßen, ebenso einsam und trümmevhaft, zum Thore zurückkehrte. Kein wachhaltender Krieger stand mehr dort; kein Thorflügel schloß das weite Gewölbe, und zertrümmert lagen zu beiden Seiten, von Erdreich bedeckt und von Gestrüpp überwachsen, die schwarzgrauen Quadern der uralten Mauer. — Noch oft bin ich an sonnigen Abenden und in Mondnächten nach Pom¬ peji gewandert, aber ich habe das alte Leben in den Straßen der Römerstadt nicht mehr aufleben sehen. Dr. R. Schoener.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/314>, abgerufen am 31.10.2024.